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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Erste Abschnitt.
und statt der in der jüdischen Vorstellung gegebenen mes-
sianischen Königsrolle unterzog, ist gleicherweise als an-
erkannt zu betrachten 13). In dem eignen Ausspruch Jesu,
er habe nicht pou ten kephalen kline (Matth. 8. 20.), kann
möglicherweise auch nur die freiwillige Resignation auf
ruhigen Gütergenuss zum Behuf seines messianischen Wan-
derlebens liegen, so dass nur noch die Eine Nachricht
(Luc. 2, 24.) übrig bleibt, dass Maria als Reinigungsopfer
Tauben, also nach 3. Mos. 12, 8. das Opfer der Armen, darge-
bracht habe, welche allerdings beweist, dass der Verfasser
jenes Abschnitts sich die Eltern Jesu in keineswegs glän-
zenden Verhältnissen vorstellte 14); allein wer bürgt uns,
dass nicht auch ihn schon unhistorische Gründe zu dieser
Darstellung bewogen haben? Indessen haben wir ebenso-
wenig von dem Umgekehrten, dass Jesus Vermögen beses-
sen habe, haltbare Spuren; wenigstens auf den ungenäh-
ten Leibrock Joh. 19, 23. wollen wir uns nicht beru-
fen 15), ehe wir unten genauer untersucht haben werden,
was es mit demselben für eine Bewandtniss hat.

§. 39.
Jesu geistige Ausbildung.

Waren über die äussere Existenz Jesu während sei-
ner Jugend die Nachrichten äusserst dürftig: so fehlen sie
über seine geistige Entwicklung beinahe ganz. Denn auf
die in der Kindheitsgeschichte bei Lukas sich wiederholen-
de Phrase von seinem geistigen Erstarken und Zunehmen
an Weisheit wird man doch kein Gewicht legen wollen;
auf die Erwartungen aber, welche seine Eltern schon vor
seiner Geburt von ihm gehabt, und auf die Gesinnungen,

13) s. Hase, Leben Jesu, §. 42. Winer, bibl. Realwörterbuch 1,
S. 665.
14) Winer a. a. O.
15) Wie diess die genannten beiden Theologen a. d. a. OO. thun.

Erste Abschnitt.
und statt der in der jüdischen Vorstellung gegebenen mes-
sianischen Königsrolle unterzog, ist gleicherweise als an-
erkannt zu betrachten 13). In dem eignen Ausspruch Jesu,
er habe nicht ποῦ τὴν κεφαλὴν κλίνῃ (Matth. 8. 20.), kann
möglicherweise auch nur die freiwillige Resignation auf
ruhigen Gütergenuſs zum Behuf seines messianischen Wan-
derlebens liegen, so daſs nur noch die Eine Nachricht
(Luc. 2, 24.) übrig bleibt, daſs Maria als Reinigungsopfer
Tauben, also nach 3. Mos. 12, 8. das Opfer der Armen, darge-
bracht habe, welche allerdings beweist, daſs der Verfasser
jenes Abschnitts sich die Eltern Jesu in keineswegs glän-
zenden Verhältnissen vorstellte 14); allein wer bürgt uns,
daſs nicht auch ihn schon unhistorische Gründe zu dieser
Darstellung bewogen haben? Indessen haben wir ebenso-
wenig von dem Umgekehrten, daſs Jesus Vermögen beses-
sen habe, haltbare Spuren; wenigstens auf den ungenäh-
ten Leibrock Joh. 19, 23. wollen wir uns nicht beru-
fen 15), ehe wir unten genauer untersucht haben werden,
was es mit demselben für eine Bewandtniſs hat.

§. 39.
Jesu geistige Ausbildung.

Waren über die äussere Existenz Jesu während sei-
ner Jugend die Nachrichten äusserst dürftig: so fehlen sie
über seine geistige Entwicklung beinahe ganz. Denn auf
die in der Kindheitsgeschichte bei Lukas sich wiederholen-
de Phrase von seinem geistigen Erstarken und Zunehmen
an Weisheit wird man doch kein Gewicht legen wollen;
auf die Erwartungen aber, welche seine Eltern schon vor
seiner Geburt von ihm gehabt, und auf die Gesinnungen,

13) s. Hase, Leben Jesu, §. 42. Winer, bibl. Realwörterbuch 1,
S. 665.
14) Winer a. a. O.
15) Wie diess die genannten beiden Theologen a. d. a. OO. thun.
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[298/0322] Erste Abschnitt. und statt der in der jüdischen Vorstellung gegebenen mes- sianischen Königsrolle unterzog, ist gleicherweise als an- erkannt zu betrachten 13). In dem eignen Ausspruch Jesu, er habe nicht ποῦ τὴν κεφαλὴν κλίνῃ (Matth. 8. 20.), kann möglicherweise auch nur die freiwillige Resignation auf ruhigen Gütergenuſs zum Behuf seines messianischen Wan- derlebens liegen, so daſs nur noch die Eine Nachricht (Luc. 2, 24.) übrig bleibt, daſs Maria als Reinigungsopfer Tauben, also nach 3. Mos. 12, 8. das Opfer der Armen, darge- bracht habe, welche allerdings beweist, daſs der Verfasser jenes Abschnitts sich die Eltern Jesu in keineswegs glän- zenden Verhältnissen vorstellte 14); allein wer bürgt uns, daſs nicht auch ihn schon unhistorische Gründe zu dieser Darstellung bewogen haben? Indessen haben wir ebenso- wenig von dem Umgekehrten, daſs Jesus Vermögen beses- sen habe, haltbare Spuren; wenigstens auf den ungenäh- ten Leibrock Joh. 19, 23. wollen wir uns nicht beru- fen 15), ehe wir unten genauer untersucht haben werden, was es mit demselben für eine Bewandtniſs hat. §. 39. Jesu geistige Ausbildung. Waren über die äussere Existenz Jesu während sei- ner Jugend die Nachrichten äusserst dürftig: so fehlen sie über seine geistige Entwicklung beinahe ganz. Denn auf die in der Kindheitsgeschichte bei Lukas sich wiederholen- de Phrase von seinem geistigen Erstarken und Zunehmen an Weisheit wird man doch kein Gewicht legen wollen; auf die Erwartungen aber, welche seine Eltern schon vor seiner Geburt von ihm gehabt, und auf die Gesinnungen, 13) s. Hase, Leben Jesu, §. 42. Winer, bibl. Realwörterbuch 1, S. 665. 14) Winer a. a. O. 15) Wie diess die genannten beiden Theologen a. d. a. OO. thun.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/322>, abgerufen am 29.03.2024.