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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Zweites Kapitel. §. 48.
wir nur recht zusehen, auch bei ihm nicht. Wenn es näm-
lich 1, 33. heisst: o pempsas me baptizein -- ekeinos moi eipen;
eph' on an ides to pneuma katabainon -- ou`~tos esin o bapti-
zon en pneumati agio: so haben wir hier nicht allein den-
selben wesentlichen Inhalt mit der synoptischen Himmels-
stimme, sondern auch ebenso einen göttlichen Ausspruch,
nur dass dieser hier ausschliessend dem Johannes und schon
vor der Taufe Jesu zu Theil wird. Diess hieng aber genau
mit dem Gewichte zusammen, welches der vierte Evange-
list auf das Verhältniss des Täufers zu Jesu legte, und
welchem zufolge demselben bei seiner Berufung schon
mit der Nähe des Messiasreiches auch die Kriterien des
messianischen Individuums geoffenbart sein mussten.

§. 48.
Verhältniss des Übernatürlichen bei der Taufe Jesu zu dem
Übernatürlichen bei seiner Erzeugung.

Wie im Eingang dieses Kapitels nach der subjektiven
Absicht gefragt worden ist, welche Jesus bei Annahme der
johanneischen Taufe haben konnte: so kann hier zum
Schlusse dieser Materie nach dem objektiven Zwecke ge-
fragt werden, welchem das Wunderbare bei Jesu Taufe
dienen sollte? Die gewöhnliche Antwort ist: Jesus sollte
dadurch in sein öffentliches Amt eingeführt und für den
Messias erklärt werden 1), d. h. es sollte durch dasselbe
ihm nicht noch etwas gegeben, sondern nur das, was er
schon war, den Übrigen kund get[h]an werden. Es fragt
sich aber, ob diese Abstraktion im Sinn unsrer Berichte
ist? Eine unter göttlicher Mitwirkung vollzogene Einwei-
hung in ein Amt betrachtete das Alterthum immer zugleich
als eine Verleihung göttlicher Kräfte zu Führung dessel-
ben; daher erfüllt im A. T. die Könige, sobald sie gesalbt
sind, Gottes Geist (1. Sam. 10, 6. 10. 16, 13.), und auch

1) Hess, Geschichte Jesu, 1, S. 120.

Zweites Kapitel. §. 48.
wir nur recht zusehen, auch bei ihm nicht. Wenn es näm-
lich 1, 33. heiſst: ὁ πέμψας με βαπτίζειν — ἐκεῖνός μοι εἶπεν·
ἐφ' ὃν ἂν ϊδῃς τὸ πνεῦμα καταβαῖνον — ου῟τός ἐςιν ὁ βαπτί-
ζων ἐν πνεύματι ἁγίῳ: so haben wir hier nicht allein den-
selben wesentlichen Inhalt mit der synoptischen Himmels-
stimme, sondern auch ebenso einen göttlichen Ausspruch,
nur daſs dieser hier ausschlieſsend dem Johannes und schon
vor der Taufe Jesu zu Theil wird. Dieſs hieng aber genau
mit dem Gewichte zusammen, welches der vierte Evange-
list auf das Verhältniſs des Täufers zu Jesu legte, und
welchem zufolge demselben bei seiner Berufung schon
mit der Nähe des Messiasreiches auch die Kriterien des
messianischen Individuums geoffenbart sein muſsten.

§. 48.
Verhältniss des Übernatürlichen bei der Taufe Jesu zu dem
Übernatürlichen bei seiner Erzeugung.

Wie im Eingang dieses Kapitels nach der subjektiven
Absicht gefragt worden ist, welche Jesus bei Annahme der
johanneischen Taufe haben konnte: so kann hier zum
Schlusse dieser Materie nach dem objektiven Zwecke ge-
fragt werden, welchem das Wunderbare bei Jesu Taufe
dienen sollte? Die gewöhnliche Antwort ist: Jesus sollte
dadurch in sein öffentliches Amt eingeführt und für den
Messias erklärt werden 1), d. h. es sollte durch dasselbe
ihm nicht noch etwas gegeben, sondern nur das, was er
schon war, den Übrigen kund get[h]an werden. Es fragt
sich aber, ob diese Abstraktion im Sinn unsrer Berichte
ist? Eine unter göttlicher Mitwirkung vollzogene Einwei-
hung in ein Amt betrachtete das Alterthum immer zugleich
als eine Verleihung göttlicher Kräfte zu Führung dessel-
ben; daher erfüllt im A. T. die Könige, sobald sie gesalbt
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[391/0415] Zweites Kapitel. §. 48. wir nur recht zusehen, auch bei ihm nicht. Wenn es näm- lich 1, 33. heiſst: ὁ πέμψας με βαπτίζειν — ἐκεῖνός μοι εἶπεν· ἐφ' ὃν ἂν ϊδῃς τὸ πνεῦμα καταβαῖνον — ου῟τός ἐςιν ὁ βαπτί- ζων ἐν πνεύματι ἁγίῳ: so haben wir hier nicht allein den- selben wesentlichen Inhalt mit der synoptischen Himmels- stimme, sondern auch ebenso einen göttlichen Ausspruch, nur daſs dieser hier ausschlieſsend dem Johannes und schon vor der Taufe Jesu zu Theil wird. Dieſs hieng aber genau mit dem Gewichte zusammen, welches der vierte Evange- list auf das Verhältniſs des Täufers zu Jesu legte, und welchem zufolge demselben bei seiner Berufung schon mit der Nähe des Messiasreiches auch die Kriterien des messianischen Individuums geoffenbart sein muſsten. §. 48. Verhältniss des Übernatürlichen bei der Taufe Jesu zu dem Übernatürlichen bei seiner Erzeugung. Wie im Eingang dieses Kapitels nach der subjektiven Absicht gefragt worden ist, welche Jesus bei Annahme der johanneischen Taufe haben konnte: so kann hier zum Schlusse dieser Materie nach dem objektiven Zwecke ge- fragt werden, welchem das Wunderbare bei Jesu Taufe dienen sollte? Die gewöhnliche Antwort ist: Jesus sollte dadurch in sein öffentliches Amt eingeführt und für den Messias erklärt werden 1), d. h. es sollte durch dasselbe ihm nicht noch etwas gegeben, sondern nur das, was er schon war, den Übrigen kund gethan werden. Es fragt sich aber, ob diese Abstraktion im Sinn unsrer Berichte ist? Eine unter göttlicher Mitwirkung vollzogene Einwei- hung in ein Amt betrachtete das Alterthum immer zugleich als eine Verleihung göttlicher Kräfte zu Führung dessel- ben; daher erfüllt im A. T. die Könige, sobald sie gesalbt sind, Gottes Geist (1. Sam. 10, 6. 10. 16, 13.), und auch 1) Hess, Geschichte Jesu, 1, S. 120.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 391. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/415>, abgerufen am 19.04.2024.