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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Viertes Kapitel. §. 62.
die Billigung, die er ausspricht, als das Volk ihn mit kö-
niglichem Gruss empfängt; das gewaltsame Verfahren,
welches er sich sofort im Tempel erlaubt; die scharfe Rede
endlich gegen den hohen Rath (Matth. 23.), an deren
Schluss er sich die Anerkennung als messianischer König
durch die Drohung, sich dem Volk sonst gar nicht mehr
zu zeigen, erzwingen will.

§. 62.
Data für einen rein geistigen Messiasplan Jesu.
Ausgleichung.

Nirgends findet sich jedoch in unsern evangelischen
Darstellungen eine Spur, dass Jesus politisch Partei zu
machen gesucht hätte. Vielmehr hat er sich der Aufre-
gung des Volks, das ihn zum König machen wollte, entzo-
gen (Joh. 6, 15.), hat erklärt, dass das Messiasreich nicht
meta paratereseos komme, sondern im Innern der Men-
schen zu suchen sei (Luc. 17, 20 f.); Vereinigung des Ge-
horsams gegen Gott und gegen die, wenn auch heidnische,
Obrigkeit ist sein Grundsatz (Matth. 22, 21.), und was er
vor seinem Richter behauptet, dass sein Reich ouk enteuthen,
ouk ek tou kosmou toutou sei (Joh. 18, 36.), darüber haben wir
nicht Ursache, weder ihn noch den Evangelisten Lügen zu
strafen.

Wie nun unter diesen sich entgegenstehenden Indicien
die Gegner des kirchlichen Christenthums ausschliesslich
die ersteren festhielten, welche für einen politischen und
näher revolutionären Plan Jesu zu sprechen scheinen: so
die orthodoxen Theologen nur die lezteren, welche für sich
auf einen rein geistigen Plan Jesu führen würden 1), und
jede Partei hat sich bemüht, die ihr entgegenstehenden

1) So Reinhard, über den Plan, welchen der Stifter der christ-
lichen Religion zum Besten der Menschheit entwarf. S. 57 ff.
(4te Aufl.)

Viertes Kapitel. §. 62.
die Billigung, die er ausspricht, als das Volk ihn mit kö-
niglichem Gruſs empfängt; das gewaltsame Verfahren,
welches er sich sofort im Tempel erlaubt; die scharfe Rede
endlich gegen den hohen Rath (Matth. 23.), an deren
Schluſs er sich die Anerkennung als messianischer König
durch die Drohung, sich dem Volk sonst gar nicht mehr
zu zeigen, erzwingen will.

§. 62.
Data für einen rein geistigen Messiasplan Jesu.
Ausgleichung.

Nirgends findet sich jedoch in unsern evangelischen
Darstellungen eine Spur, daſs Jesus politisch Partei zu
machen gesucht hätte. Vielmehr hat er sich der Aufre-
gung des Volks, das ihn zum König machen wollte, entzo-
gen (Joh. 6, 15.), hat erklärt, daſs das Messiasreich nicht
μετὰ παρατηρήσεως komme, sondern im Innern der Men-
schen zu suchen sei (Luc. 17, 20 f.); Vereinigung des Ge-
horsams gegen Gott und gegen die, wenn auch heidnische,
Obrigkeit ist sein Grundsatz (Matth. 22, 21.), und was er
vor seinem Richter behauptet, daſs sein Reich οὐκ ἐντεῦϑεν,
οὐκ ἐκ τοῦ κόσμου τούτου sei (Joh. 18, 36.), darüber haben wir
nicht Ursache, weder ihn noch den Evangelisten Lügen zu
strafen.

Wie nun unter diesen sich entgegenstehenden Indicien
die Gegner des kirchlichen Christenthums ausschlieſslich
die ersteren festhielten, welche für einen politischen und
näher revolutionären Plan Jesu zu sprechen scheinen: so
die orthodoxen Theologen nur die lezteren, welche für sich
auf einen rein geistigen Plan Jesu führen würden 1), und
jede Partei hat sich bemüht, die ihr entgegenstehenden

1) So Reinhard, über den Plan, welchen der Stifter der christ-
lichen Religion zum Besten der Menschheit entwarf. S. 57 ff.
(4te Aufl.)
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[491/0515] Viertes Kapitel. §. 62. die Billigung, die er ausspricht, als das Volk ihn mit kö- niglichem Gruſs empfängt; das gewaltsame Verfahren, welches er sich sofort im Tempel erlaubt; die scharfe Rede endlich gegen den hohen Rath (Matth. 23.), an deren Schluſs er sich die Anerkennung als messianischer König durch die Drohung, sich dem Volk sonst gar nicht mehr zu zeigen, erzwingen will. §. 62. Data für einen rein geistigen Messiasplan Jesu. Ausgleichung. Nirgends findet sich jedoch in unsern evangelischen Darstellungen eine Spur, daſs Jesus politisch Partei zu machen gesucht hätte. Vielmehr hat er sich der Aufre- gung des Volks, das ihn zum König machen wollte, entzo- gen (Joh. 6, 15.), hat erklärt, daſs das Messiasreich nicht μετὰ παρατηρήσεως komme, sondern im Innern der Men- schen zu suchen sei (Luc. 17, 20 f.); Vereinigung des Ge- horsams gegen Gott und gegen die, wenn auch heidnische, Obrigkeit ist sein Grundsatz (Matth. 22, 21.), und was er vor seinem Richter behauptet, daſs sein Reich οὐκ ἐντεῦϑεν, οὐκ ἐκ τοῦ κόσμου τούτου sei (Joh. 18, 36.), darüber haben wir nicht Ursache, weder ihn noch den Evangelisten Lügen zu strafen. Wie nun unter diesen sich entgegenstehenden Indicien die Gegner des kirchlichen Christenthums ausschlieſslich die ersteren festhielten, welche für einen politischen und näher revolutionären Plan Jesu zu sprechen scheinen: so die orthodoxen Theologen nur die lezteren, welche für sich auf einen rein geistigen Plan Jesu führen würden 1), und jede Partei hat sich bemüht, die ihr entgegenstehenden 1) So Reinhard, über den Plan, welchen der Stifter der christ- lichen Religion zum Besten der Menschheit entwarf. S. 57 ff. (4te Aufl.)

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 491. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/515>, abgerufen am 29.03.2024.