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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Erstes Kapitel. §. 111.
Nicht als ob sie diess mit schlauer Absichtlichkeit, und
selbst von der Nichtigkeit ihrer Auslegungs- und Schluss-
weise überzeugt, gethan hätten, wie der Wolfenbüttler
Fragmentist und Andre seines gleichen lästern: sondern
wie es dem, der in die Sonne gesehen, ergeht, dass er noch
längere Zeit, wo er hinsieht, ihr Bild erblickt: so sahen
sie, durch ihre Begeisterung für den neuen Messias ge-
blendet, in dem einzigen Buche, das sie lasen. dem A. T.,
ihn überall, und ihre, in dem wahren Gefühl der Befrie-
digung tiefster Bedürfnisse gegründete Überzeugung, dass
Jesus der Messias sei, ein Gefühl und eine Überzeugung,
die auch wir noch ehren, griff, sobald es sich um refle-
xionsmässige Beweise handelte, nach Stützen, welche längst
gebrochen sind, und selbst durch das eifrigste Bemühen
einer hinter der Zeit zurückgebliebenen Exegese nicht
mehr haltbar gemacht werden können.

§. 111.
Die Reden Jesu von seiner Parusie. Kritik der verschie-
denen Auslegungen.

Doch nicht allein dass er drei Tage nach seinem To-
de wieder aufleben werde, um sich seinen Freunden zu
zeigen, sondern auch, dass er später einmal, mitten in der
Drangsalszeit, welche auch die Zerstörung des Tempels in
Jerusalem herbeiführen sollte, in den Wolken des Himmels
kommen werde, um die gegenwärtige Weltperiode abzu-
schliessen, und durch ein allgemeines Gericht die künftige
zu beginnen, hat Jesus den evangelischen Nachrichten zu-
folge vorausgesagt (Matth. 24. und 25. Mare. 13. Lue. 17,
22--37. 21, 5--36.).

Als Jesus zum leztenmale aus dem Tempel gieng (Lu-
kas hat diese Bestimmung nicht) und seine Jünger (Lu-
kas unbestimmt: Einige) ihn auf den herrlichen Bau be-
wundernd anfmerksam machten, gab er ihnen die Versi-
cherung, dass alles, wie sie es da sehen, von Grund aus

Erstes Kapitel. §. 111.
Nicht als ob sie dieſs mit schlauer Absichtlichkeit, und
selbst von der Nichtigkeit ihrer Auslegungs- und Schluſs-
weise überzeugt, gethan hätten, wie der Wolfenbüttler
Fragmentist und Andre seines gleichen lästern: sondern
wie es dem, der in die Sonne gesehen, ergeht, daſs er noch
längere Zeit, wo er hinsieht, ihr Bild erblickt: so sahen
sie, durch ihre Begeisterung für den neuen Messias ge-
blendet, in dem einzigen Buche, das sie lasen. dem A. T.,
ihn überall, und ihre, in dem wahren Gefühl der Befrie-
digung tiefster Bedürfnisse gegründete Überzeugung, daſs
Jesus der Messias sei, ein Gefühl und eine Überzeugung,
die auch wir noch ehren, griff, sobald es sich um refle-
xionsmäſsige Beweise handelte, nach Stützen, welche längst
gebrochen sind, und selbst durch das eifrigste Bemühen
einer hinter der Zeit zurückgebliebenen Exegese nicht
mehr haltbar gemacht werden können.

§. 111.
Die Reden Jesu von seiner Parusie. Kritik der verschie-
denen Auslegungen.

Doch nicht allein daſs er drei Tage nach seinem To-
de wieder aufleben werde, um sich seinen Freunden zu
zeigen, sondern auch, daſs er später einmal, mitten in der
Drangsalszeit, welche auch die Zerstörung des Tempels in
Jerusalem herbeiführen sollte, in den Wolken des Himmels
kommen werde, um die gegenwärtige Weltperiode abzu-
schlieſsen, und durch ein allgemeines Gericht die künftige
zu beginnen, hat Jesus den evangelischen Nachrichten zu-
folge vorausgesagt (Matth. 24. und 25. Mare. 13. Lue. 17,
22—37. 21, 5—36.).

Als Jesus zum leztenmale aus dem Tempel gieng (Lu-
kas hat diese Bestimmung nicht) und seine Jünger (Lu-
kas unbestimmt: Einige) ihn auf den herrlichen Bau be-
wundernd anfmerksam machten, gab er ihnen die Versi-
cherung, daſs alles, wie sie es da sehen, von Grund aus

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[341/0360] Erstes Kapitel. §. 111. Nicht als ob sie dieſs mit schlauer Absichtlichkeit, und selbst von der Nichtigkeit ihrer Auslegungs- und Schluſs- weise überzeugt, gethan hätten, wie der Wolfenbüttler Fragmentist und Andre seines gleichen lästern: sondern wie es dem, der in die Sonne gesehen, ergeht, daſs er noch längere Zeit, wo er hinsieht, ihr Bild erblickt: so sahen sie, durch ihre Begeisterung für den neuen Messias ge- blendet, in dem einzigen Buche, das sie lasen. dem A. T., ihn überall, und ihre, in dem wahren Gefühl der Befrie- digung tiefster Bedürfnisse gegründete Überzeugung, daſs Jesus der Messias sei, ein Gefühl und eine Überzeugung, die auch wir noch ehren, griff, sobald es sich um refle- xionsmäſsige Beweise handelte, nach Stützen, welche längst gebrochen sind, und selbst durch das eifrigste Bemühen einer hinter der Zeit zurückgebliebenen Exegese nicht mehr haltbar gemacht werden können. §. 111. Die Reden Jesu von seiner Parusie. Kritik der verschie- denen Auslegungen. Doch nicht allein daſs er drei Tage nach seinem To- de wieder aufleben werde, um sich seinen Freunden zu zeigen, sondern auch, daſs er später einmal, mitten in der Drangsalszeit, welche auch die Zerstörung des Tempels in Jerusalem herbeiführen sollte, in den Wolken des Himmels kommen werde, um die gegenwärtige Weltperiode abzu- schlieſsen, und durch ein allgemeines Gericht die künftige zu beginnen, hat Jesus den evangelischen Nachrichten zu- folge vorausgesagt (Matth. 24. und 25. Mare. 13. Lue. 17, 22—37. 21, 5—36.). Als Jesus zum leztenmale aus dem Tempel gieng (Lu- kas hat diese Bestimmung nicht) und seine Jünger (Lu- kas unbestimmt: Einige) ihn auf den herrlichen Bau be- wundernd anfmerksam machten, gab er ihnen die Versi- cherung, daſs alles, wie sie es da sehen, von Grund aus

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/360>, abgerufen am 29.03.2024.