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Sulzer, Johann Georg: Beschreibung einiger Merckwüdigkeiten, Welche er in einer Ao. 1742. gemachten Berg-Reise durch einige Oerter der Schweitz beobachtet hat. Zürich, 1742.

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Vorbericht.
nesten. Es ist mir zwar nicht unbekannt/ daß verschiedene Na-
turforscher sich einbilden/ es in diesem Stück weit gebracht zu ha-
ben. Sie bilden sich ein, vollständige Capitel von der Meteoro-
logie in ihren Lehr-Büchern zu haben/ weil sie die Natur nach ihrer
Art erklären und zufrieden sind/ einige scheinbare Möglichkeiten
zu sehen. Jch bitte aber/ solche Philosophen mir deutlich zu er-
klären/ woher doch eigentlich die oft so schnelle Veränderungen der
Luft kommen/ daß die Athmosphär heute so mercklich schwerer
oder leichter ist/ als sie gestern gewesen/ worauf die Haupt-Sache
ankommt; woher es eigentlich komme/ daß eine gewisse Art der
Witterung meistens mit einem gewissen Wind verknüpfet ist/ ob
der Wind das truckene oder nasse Wetter/ oder ob das Wetter
den Wind erzeuget/ oder ob Wetter und Wind beyde von einer
dritten uns noch unbekannten Ursache herkommen u. dergl. Die-
ses erklären sie nur so/ daß mir kein Zweifel mehr übrig bleibt/
alsdenn sollen sie in meinen Augen grosse Leute seyn.

Es kommt in dieser Sache nicht auf angenommene Hypothe-
sen an. Man muß der Natur auf dem Fuß nachgehen/ und ihr
nicht voreilen/ wenn man was gründliches wissen will. Dazu
aber sind die bergichten Gegenden vor allen andern geschickt/ weil
man so zu sagen auf den Bergen die Natur in der Nähe hat/ und
siehet/ wie sie Hand anleget. Wer aber in dieser Sache was gründ-
liches erfahren will/ der muß auf den Bergen und in den Thälern
auf alle Bewegungen der Natur/ die sie in der Luft hervor bringt/
genau acht haben. Es kommt hier auf folgende Haupt-Stücke
an; 1. auf die Veränderung der Luft/ in Ansehung der Schwere;
2. auf die Wärme und Kälte; 3. auf die Winde/ und 4. auf die
Erzeugung der Dünste. Die Veränderungen der Luft können
theils durch das Auge wahrgenommen und gefühlt werden/ theils
aber müssen sie durch Jnstrumente angezeiget werden/ welche die
Grade der Veränderung mit einer mathematischen Gewißheit be-
stimmen. Das blosse Auge zeiget uns oft die Veränderung der
Schwere der Luft. Die Berge sind natürliche Barometer/ an
welchen die Dünste und Wolcken bald hoch bald niedrig stehen.
Wer nun reiset/ der muß auf alle Bewegungen der Dünste und

Wol-
B 3

Vorbericht.
neſten. Es iſt mir zwar nicht unbekannt/ daß verſchiedene Na-
turforſcher ſich einbilden/ es in dieſem Stuͤck weit gebracht zu ha-
ben. Sie bilden ſich ein, vollſtaͤndige Capitel von der Meteoro-
logie in ihren Lehr-Buͤchern zu haben/ weil ſie die Natur nach ihrer
Art erklaͤren und zufrieden ſind/ einige ſcheinbare Moͤglichkeiten
zu ſehen. Jch bitte aber/ ſolche Philoſophen mir deutlich zu er-
klaͤren/ woher doch eigentlich die oft ſo ſchnelle Veraͤnderungen der
Luft kommen/ daß die Athmosphaͤr heute ſo mercklich ſchwerer
oder leichter iſt/ als ſie geſtern geweſen/ worauf die Haupt-Sache
ankommt; woher es eigentlich komme/ daß eine gewiſſe Art der
Witterung meiſtens mit einem gewiſſen Wind verknuͤpfet iſt/ ob
der Wind das truckene oder naſſe Wetter/ oder ob das Wetter
den Wind erzeuget/ oder ob Wetter und Wind beyde von einer
dritten uns noch unbekannten Urſache herkommen u. dergl. Die-
ſes erklaͤren ſie nur ſo/ daß mir kein Zweifel mehr uͤbrig bleibt/
alsdenn ſollen ſie in meinen Augen groſſe Leute ſeyn.

Es kommt in dieſer Sache nicht auf angenommene Hypothe-
ſen an. Man muß der Natur auf dem Fuß nachgehen/ und ihr
nicht voreilen/ wenn man was gruͤndliches wiſſen will. Dazu
aber ſind die bergichten Gegenden vor allen andern geſchickt/ weil
man ſo zu ſagen auf den Bergen die Natur in der Naͤhe hat/ und
ſiehet/ wie ſie Hand anleget. Wer aber in dieſer Sache was gruͤnd-
liches erfahren will/ der muß auf den Bergen und in den Thaͤlern
auf alle Bewegungen der Natur/ die ſie in der Luft hervor bringt/
genau acht haben. Es kommt hier auf folgende Haupt-Stuͤcke
an; 1. auf die Veraͤnderung der Luft/ in Anſehung der Schwere;
2. auf die Waͤrme und Kaͤlte; 3. auf die Winde/ und 4. auf die
Erzeugung der Duͤnſte. Die Veraͤnderungen der Luft koͤnnen
theils durch das Auge wahrgenommen und gefuͤhlt werden/ theils
aber muͤſſen ſie durch Jnſtrumente angezeiget werden/ welche die
Grade der Veraͤnderung mit einer mathematiſchen Gewißheit be-
ſtimmen. Das bloſſe Auge zeiget uns oft die Veraͤnderung der
Schwere der Luft. Die Berge ſind natuͤrliche Barometer/ an
welchen die Duͤnſte und Wolcken bald hoch bald niedrig ſtehen.
Wer nun reiſet/ der muß auf alle Bewegungen der Duͤnſte und

Wol-
B 3
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[13/0017] Vorbericht. neſten. Es iſt mir zwar nicht unbekannt/ daß verſchiedene Na- turforſcher ſich einbilden/ es in dieſem Stuͤck weit gebracht zu ha- ben. Sie bilden ſich ein, vollſtaͤndige Capitel von der Meteoro- logie in ihren Lehr-Buͤchern zu haben/ weil ſie die Natur nach ihrer Art erklaͤren und zufrieden ſind/ einige ſcheinbare Moͤglichkeiten zu ſehen. Jch bitte aber/ ſolche Philoſophen mir deutlich zu er- klaͤren/ woher doch eigentlich die oft ſo ſchnelle Veraͤnderungen der Luft kommen/ daß die Athmosphaͤr heute ſo mercklich ſchwerer oder leichter iſt/ als ſie geſtern geweſen/ worauf die Haupt-Sache ankommt; woher es eigentlich komme/ daß eine gewiſſe Art der Witterung meiſtens mit einem gewiſſen Wind verknuͤpfet iſt/ ob der Wind das truckene oder naſſe Wetter/ oder ob das Wetter den Wind erzeuget/ oder ob Wetter und Wind beyde von einer dritten uns noch unbekannten Urſache herkommen u. dergl. Die- ſes erklaͤren ſie nur ſo/ daß mir kein Zweifel mehr uͤbrig bleibt/ alsdenn ſollen ſie in meinen Augen groſſe Leute ſeyn. Es kommt in dieſer Sache nicht auf angenommene Hypothe- ſen an. Man muß der Natur auf dem Fuß nachgehen/ und ihr nicht voreilen/ wenn man was gruͤndliches wiſſen will. Dazu aber ſind die bergichten Gegenden vor allen andern geſchickt/ weil man ſo zu ſagen auf den Bergen die Natur in der Naͤhe hat/ und ſiehet/ wie ſie Hand anleget. Wer aber in dieſer Sache was gruͤnd- liches erfahren will/ der muß auf den Bergen und in den Thaͤlern auf alle Bewegungen der Natur/ die ſie in der Luft hervor bringt/ genau acht haben. Es kommt hier auf folgende Haupt-Stuͤcke an; 1. auf die Veraͤnderung der Luft/ in Anſehung der Schwere; 2. auf die Waͤrme und Kaͤlte; 3. auf die Winde/ und 4. auf die Erzeugung der Duͤnſte. Die Veraͤnderungen der Luft koͤnnen theils durch das Auge wahrgenommen und gefuͤhlt werden/ theils aber muͤſſen ſie durch Jnſtrumente angezeiget werden/ welche die Grade der Veraͤnderung mit einer mathematiſchen Gewißheit be- ſtimmen. Das bloſſe Auge zeiget uns oft die Veraͤnderung der Schwere der Luft. Die Berge ſind natuͤrliche Barometer/ an welchen die Duͤnſte und Wolcken bald hoch bald niedrig ſtehen. Wer nun reiſet/ der muß auf alle Bewegungen der Duͤnſte und Wol- B 3

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Beschreibung einiger Merckwüdigkeiten, Welche er in einer Ao. 1742. gemachten Berg-Reise durch einige Oerter der Schweitz beobachtet hat. Zürich, 1742, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1742/17>, abgerufen am 29.03.2024.