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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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[Spaltenumbruch]

Kna Kno
unter seinem Namen näher beschrieben worden.
Unser deutsche Baumeister Goldman, einer der
verständigsten und scharfsinnigsten Männer in dieser
Kunst, der seine Vorschriften überall aus guten
Grundsätzen hergeleitet hat, setzet zweyerley Grös-
sen für die verschiedenen Arten des Knauffs feste.
Jn den niedrigen Ordnungen (*) giebt er der höhe
eines jedem Knauffs einen Model, in den höhern
aber 2 1/3 Model.

Knoten.
(Schöne künste.)

Jn der Kunstsprache wird dieses Wort insgemein
gebraucht, um in der epischen und dramatischen
Handlung eine solche Verwiklung zu bezeichnen, aus
welcher beträchtliche Schwierigkeiten entstehen, wo-
durch die handelnden Personen veranlasset werden,
ihre Kräfte zu verdoppeln, um sie zu überwinden,
und die Hinternisse aus dem Wege zu räumen:
Aber der Begriff muß erweitert, oder allgemeiner
gemacht werden.

Wir begreiffen unter diesem Worte alles, was in
der Folge der Vorstellungen über eine Sache, eine
solche Aufhaltung macht, die eine Aufhäufung der
zum Theil gegen einander streitenden Gedanken be-
würkt, wodurch die Vorstellung lebhafter und inte-
ressanter wird, nach einigem Streit der Gedanken
aber, sich entwikelt. Bey unsern Vorstellungen
über geschehene Sachen, oder bey Beobachtungen
und Untersuchungen, können die Begriffe so auf ein-
ander folgen, daß uns nichts reizt auf die Art wie
sie auf einander folgen, oder auf die Quellen woraus
sie entspringen, Achtung zu geben. Alsdenn flies-
sen unsre Gedanken, wie ein sanfter durch nichts
aufgehaltener Strohm stille fort. Die Vorstellungs-
kraft wird durch nichts gereizt. Findet sich hinge-
gen in der Folge der Vorstellungen irgendwo etwas,
das uns aufhält, das uns auf die Folge aufmerk-
sam macht; wobey wir gleichsam stille stehen, um
das Gegenwärtige mit dem, was folgen könnte zu
vergleichen; wo wir ungewiß werden, wie die Sa-
che fortgehen, oder wie das folgende entstehen wird;
da liegt ein Knoten, wobey die Gedanken sich zu-
sammen drängen, gegen einander streiten, bis einer
die Oberhand bekommt und der Sache einen Fort-
gang verschaft.

Knoten sind also bey Unternehmungen, wo Hin-
ternisse aufstoßen, die man aus dem Wege zu räu-
[Spaltenumbruch]

Kno
men hat; bey Untersuchungen, wo sich Schwierig-
keiten zeigen, die eine neue Anstrengung des Geistes
erfodern, um sich aus denselben heraus zu wikeln;
bey Betrachtung der Begebenheiten, wo die wür-
kende Ursache durch große und ungewöhnliche Kräfte,
die unsre Aufmerksamkeit an sich ziehen, allmählig
die Stärke bekommt, den Ausgang der Sachen zu
bewürken. Ein solcher Knoten bewürkt in den
bey den Sachen intereßirten Personen eine neue
bisweilen ausserordentliche Anstrengung der Kräfte;
bey denen aber, die blos Zeugen oder Zuschauer da-
bey sind, reizet er die Aufmerksamkeit und die Neu-
gierde, wodurch die Sache weit interessanter wird,
als sie ohnedem würde gewesen seyn.

Jn den Werken der schönen Künste hat der Kno-
ten eben diese doppelte sehr vortheilhafte Würkung.
Das Werk selbst wird dadurch reicher an Vorstel-
lungen. Handelnde Personen z. B. strengen ihre
Kräfte mehr an; ihr Genie, ihr Gemüth und ihr
ganzer Charakter zeiget sich dabey in einem vollen
Lichte; der Künstler hat nöthig auch sein Genie stär-
ker anzustrengen, um Auswege zu finden: dadurch
wird also für den, der das Werk der Kunst genies-
sen soll, alles interessanter und lebhafter. Darum
ist es nöthig, daß wir über eine so wichtige Sache
uns hier etwas weitläuftig einlassen.

Man hat hiebey auf drey Dinge Achtung zu ge-
ben, auf die Natur des Knotens, auf seine Knü-
pfung und auf die Entwiklung desselben.

Zuerst muß man auf die Beschaffenheit des Kno-
tens Achtung geben, der bey Handlungen, oder bey
Untersuchungen und dem lehrenden Vortrag vorkom-
men kann. Bey Handlungen kann er von zweyer-
ley Art seyn. Erstlich kann die Handlung an sich
selbst ein sehr gefährliches oder mit ausserordentlichen
Schwierigkeiten begleitetes Unternehmen seyn, wo-
durch der Knoten sich von selbst knüpfet, indem es
höchst schwer ist, der Unternehmung einen glükli-
chen Ausgang zu geben. Von dieser Art ist der
Hauptknoten der Odyssee, wo die Heimreise des
Ulysses und die Wegschaffung einer ganzen Schaar
muthwilliger und zum Theil mächtiger Liebhaber
der Penelope für einen einzeln Menschen ein höchst-
schweeres Unternehmen war. Auch gehört der
Hauptknoten der Aeneis hieher; worauf der Dichter
gleich Anfangs unsre Aufmerksamkeit lenket:

Tantae molis erat Romanam condere gentem.

Je
(*) S.
Ordnung.
F f f f 3

[Spaltenumbruch]

Kna Kno
unter ſeinem Namen naͤher beſchrieben worden.
Unſer deutſche Baumeiſter Goldman, einer der
verſtaͤndigſten und ſcharfſinnigſten Maͤnner in dieſer
Kunſt, der ſeine Vorſchriften uͤberall aus guten
Grundſaͤtzen hergeleitet hat, ſetzet zweyerley Groͤſ-
ſen fuͤr die verſchiedenen Arten des Knauffs feſte.
Jn den niedrigen Ordnungen (*) giebt er der hoͤhe
eines jedem Knauffs einen Model, in den hoͤhern
aber 2 ⅓ Model.

Knoten.
(Schoͤne kuͤnſte.)

Jn der Kunſtſprache wird dieſes Wort insgemein
gebraucht, um in der epiſchen und dramatiſchen
Handlung eine ſolche Verwiklung zu bezeichnen, aus
welcher betraͤchtliche Schwierigkeiten entſtehen, wo-
durch die handelnden Perſonen veranlaſſet werden,
ihre Kraͤfte zu verdoppeln, um ſie zu uͤberwinden,
und die Hinterniſſe aus dem Wege zu raͤumen:
Aber der Begriff muß erweitert, oder allgemeiner
gemacht werden.

Wir begreiffen unter dieſem Worte alles, was in
der Folge der Vorſtellungen uͤber eine Sache, eine
ſolche Aufhaltung macht, die eine Aufhaͤufung der
zum Theil gegen einander ſtreitenden Gedanken be-
wuͤrkt, wodurch die Vorſtellung lebhafter und inte-
reſſanter wird, nach einigem Streit der Gedanken
aber, ſich entwikelt. Bey unſern Vorſtellungen
uͤber geſchehene Sachen, oder bey Beobachtungen
und Unterſuchungen, koͤnnen die Begriffe ſo auf ein-
ander folgen, daß uns nichts reizt auf die Art wie
ſie auf einander folgen, oder auf die Quellen woraus
ſie entſpringen, Achtung zu geben. Alsdenn flieſ-
ſen unſre Gedanken, wie ein ſanfter durch nichts
aufgehaltener Strohm ſtille fort. Die Vorſtellungs-
kraft wird durch nichts gereizt. Findet ſich hinge-
gen in der Folge der Vorſtellungen irgendwo etwas,
das uns aufhaͤlt, das uns auf die Folge aufmerk-
ſam macht; wobey wir gleichſam ſtille ſtehen, um
das Gegenwaͤrtige mit dem, was folgen koͤnnte zu
vergleichen; wo wir ungewiß werden, wie die Sa-
che fortgehen, oder wie das folgende entſtehen wird;
da liegt ein Knoten, wobey die Gedanken ſich zu-
ſammen draͤngen, gegen einander ſtreiten, bis einer
die Oberhand bekommt und der Sache einen Fort-
gang verſchaft.

Knoten ſind alſo bey Unternehmungen, wo Hin-
terniſſe aufſtoßen, die man aus dem Wege zu raͤu-
[Spaltenumbruch]

Kno
men hat; bey Unterſuchungen, wo ſich Schwierig-
keiten zeigen, die eine neue Anſtrengung des Geiſtes
erfodern, um ſich aus denſelben heraus zu wikeln;
bey Betrachtung der Begebenheiten, wo die wuͤr-
kende Urſache durch große und ungewoͤhnliche Kraͤfte,
die unſre Aufmerkſamkeit an ſich ziehen, allmaͤhlig
die Staͤrke bekommt, den Ausgang der Sachen zu
bewuͤrken. Ein ſolcher Knoten bewuͤrkt in den
bey den Sachen intereßirten Perſonen eine neue
bisweilen auſſerordentliche Anſtrengung der Kraͤfte;
bey denen aber, die blos Zeugen oder Zuſchauer da-
bey ſind, reizet er die Aufmerkſamkeit und die Neu-
gierde, wodurch die Sache weit intereſſanter wird,
als ſie ohnedem wuͤrde geweſen ſeyn.

Jn den Werken der ſchoͤnen Kuͤnſte hat der Kno-
ten eben dieſe doppelte ſehr vortheilhafte Wuͤrkung.
Das Werk ſelbſt wird dadurch reicher an Vorſtel-
lungen. Handelnde Perſonen z. B. ſtrengen ihre
Kraͤfte mehr an; ihr Genie, ihr Gemuͤth und ihr
ganzer Charakter zeiget ſich dabey in einem vollen
Lichte; der Kuͤnſtler hat noͤthig auch ſein Genie ſtaͤr-
ker anzuſtrengen, um Auswege zu finden: dadurch
wird alſo fuͤr den, der das Werk der Kunſt genieſ-
ſen ſoll, alles intereſſanter und lebhafter. Darum
iſt es noͤthig, daß wir uͤber eine ſo wichtige Sache
uns hier etwas weitlaͤuftig einlaſſen.

Man hat hiebey auf drey Dinge Achtung zu ge-
ben, auf die Natur des Knotens, auf ſeine Knuͤ-
pfung und auf die Entwiklung deſſelben.

Zuerſt muß man auf die Beſchaffenheit des Kno-
tens Achtung geben, der bey Handlungen, oder bey
Unterſuchungen und dem lehrenden Vortrag vorkom-
men kann. Bey Handlungen kann er von zweyer-
ley Art ſeyn. Erſtlich kann die Handlung an ſich
ſelbſt ein ſehr gefaͤhrliches oder mit auſſerordentlichen
Schwierigkeiten begleitetes Unternehmen ſeyn, wo-
durch der Knoten ſich von ſelbſt knuͤpfet, indem es
hoͤchſt ſchwer iſt, der Unternehmung einen gluͤkli-
chen Ausgang zu geben. Von dieſer Art iſt der
Hauptknoten der Odyſſee, wo die Heimreiſe des
Ulyſſes und die Wegſchaffung einer ganzen Schaar
muthwilliger und zum Theil maͤchtiger Liebhaber
der Penelope fuͤr einen einzeln Menſchen ein hoͤchſt-
ſchweeres Unternehmen war. Auch gehoͤrt der
Hauptknoten der Aeneis hieher; worauf der Dichter
gleich Anfangs unſre Aufmerkſamkeit lenket:

Tantæ molis erat Romanam condere gentem.

Je
(*) S.
Ordnung.
F f f f 3
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[597/0032] Kna Kno Kno unter ſeinem Namen naͤher beſchrieben worden. Unſer deutſche Baumeiſter Goldman, einer der verſtaͤndigſten und ſcharfſinnigſten Maͤnner in dieſer Kunſt, der ſeine Vorſchriften uͤberall aus guten Grundſaͤtzen hergeleitet hat, ſetzet zweyerley Groͤſ- ſen fuͤr die verſchiedenen Arten des Knauffs feſte. Jn den niedrigen Ordnungen (*) giebt er der hoͤhe eines jedem Knauffs einen Model, in den hoͤhern aber 2 ⅓ Model. Knoten. (Schoͤne kuͤnſte.) Jn der Kunſtſprache wird dieſes Wort insgemein gebraucht, um in der epiſchen und dramatiſchen Handlung eine ſolche Verwiklung zu bezeichnen, aus welcher betraͤchtliche Schwierigkeiten entſtehen, wo- durch die handelnden Perſonen veranlaſſet werden, ihre Kraͤfte zu verdoppeln, um ſie zu uͤberwinden, und die Hinterniſſe aus dem Wege zu raͤumen: Aber der Begriff muß erweitert, oder allgemeiner gemacht werden. Wir begreiffen unter dieſem Worte alles, was in der Folge der Vorſtellungen uͤber eine Sache, eine ſolche Aufhaltung macht, die eine Aufhaͤufung der zum Theil gegen einander ſtreitenden Gedanken be- wuͤrkt, wodurch die Vorſtellung lebhafter und inte- reſſanter wird, nach einigem Streit der Gedanken aber, ſich entwikelt. Bey unſern Vorſtellungen uͤber geſchehene Sachen, oder bey Beobachtungen und Unterſuchungen, koͤnnen die Begriffe ſo auf ein- ander folgen, daß uns nichts reizt auf die Art wie ſie auf einander folgen, oder auf die Quellen woraus ſie entſpringen, Achtung zu geben. Alsdenn flieſ- ſen unſre Gedanken, wie ein ſanfter durch nichts aufgehaltener Strohm ſtille fort. Die Vorſtellungs- kraft wird durch nichts gereizt. Findet ſich hinge- gen in der Folge der Vorſtellungen irgendwo etwas, das uns aufhaͤlt, das uns auf die Folge aufmerk- ſam macht; wobey wir gleichſam ſtille ſtehen, um das Gegenwaͤrtige mit dem, was folgen koͤnnte zu vergleichen; wo wir ungewiß werden, wie die Sa- che fortgehen, oder wie das folgende entſtehen wird; da liegt ein Knoten, wobey die Gedanken ſich zu- ſammen draͤngen, gegen einander ſtreiten, bis einer die Oberhand bekommt und der Sache einen Fort- gang verſchaft. Knoten ſind alſo bey Unternehmungen, wo Hin- terniſſe aufſtoßen, die man aus dem Wege zu raͤu- men hat; bey Unterſuchungen, wo ſich Schwierig- keiten zeigen, die eine neue Anſtrengung des Geiſtes erfodern, um ſich aus denſelben heraus zu wikeln; bey Betrachtung der Begebenheiten, wo die wuͤr- kende Urſache durch große und ungewoͤhnliche Kraͤfte, die unſre Aufmerkſamkeit an ſich ziehen, allmaͤhlig die Staͤrke bekommt, den Ausgang der Sachen zu bewuͤrken. Ein ſolcher Knoten bewuͤrkt in den bey den Sachen intereßirten Perſonen eine neue bisweilen auſſerordentliche Anſtrengung der Kraͤfte; bey denen aber, die blos Zeugen oder Zuſchauer da- bey ſind, reizet er die Aufmerkſamkeit und die Neu- gierde, wodurch die Sache weit intereſſanter wird, als ſie ohnedem wuͤrde geweſen ſeyn. Jn den Werken der ſchoͤnen Kuͤnſte hat der Kno- ten eben dieſe doppelte ſehr vortheilhafte Wuͤrkung. Das Werk ſelbſt wird dadurch reicher an Vorſtel- lungen. Handelnde Perſonen z. B. ſtrengen ihre Kraͤfte mehr an; ihr Genie, ihr Gemuͤth und ihr ganzer Charakter zeiget ſich dabey in einem vollen Lichte; der Kuͤnſtler hat noͤthig auch ſein Genie ſtaͤr- ker anzuſtrengen, um Auswege zu finden: dadurch wird alſo fuͤr den, der das Werk der Kunſt genieſ- ſen ſoll, alles intereſſanter und lebhafter. Darum iſt es noͤthig, daß wir uͤber eine ſo wichtige Sache uns hier etwas weitlaͤuftig einlaſſen. Man hat hiebey auf drey Dinge Achtung zu ge- ben, auf die Natur des Knotens, auf ſeine Knuͤ- pfung und auf die Entwiklung deſſelben. Zuerſt muß man auf die Beſchaffenheit des Kno- tens Achtung geben, der bey Handlungen, oder bey Unterſuchungen und dem lehrenden Vortrag vorkom- men kann. Bey Handlungen kann er von zweyer- ley Art ſeyn. Erſtlich kann die Handlung an ſich ſelbſt ein ſehr gefaͤhrliches oder mit auſſerordentlichen Schwierigkeiten begleitetes Unternehmen ſeyn, wo- durch der Knoten ſich von ſelbſt knuͤpfet, indem es hoͤchſt ſchwer iſt, der Unternehmung einen gluͤkli- chen Ausgang zu geben. Von dieſer Art iſt der Hauptknoten der Odyſſee, wo die Heimreiſe des Ulyſſes und die Wegſchaffung einer ganzen Schaar muthwilliger und zum Theil maͤchtiger Liebhaber der Penelope fuͤr einen einzeln Menſchen ein hoͤchſt- ſchweeres Unternehmen war. Auch gehoͤrt der Hauptknoten der Aeneis hieher; worauf der Dichter gleich Anfangs unſre Aufmerkſamkeit lenket: Tantæ molis erat Romanam condere gentem. Je (*) S. Ordnung. F f f f 3

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 597. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/32>, abgerufen am 28.03.2024.