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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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zu ihrer Bildung beygetragen hat, kann andern zu
wichtigen Lehren dienen.

Stukkatur.
(Baukunst.)

Das Wort kommt vom italiänischen Stucco, wel-
ches eine Art Mörtel bedeutet, der aus Kalk und
fein gestoßenen Marmor gemacht wird. Aus die-
sem Stuk, werden allerhand Zierrathen der Bau-
kunst, als Laubwerk, Festone, Blumen und Früchte,
Cartuschen u. d. gl. verfertiget, die man überhaupt
Stukkaturarbeit nennt. Jn den Gebäuden wer-
den vornehmlich die Gesimse und Dekken der Zim-
mer mit Stukkaturarbeiten verziehret; man kann
sie aber auch an den Außenseiten anbringen, wenn
sie nur dem Regen nicht allzusehr ausgesezt sind.
Hier zu Lande wird blos aus dem gemeinen Kalk-
mörtel, wie die Maurer ihn brauchen, und gebrann-
tem Gyps ein Stuk gemacht, der auch außen an
den Gebäuden sehr dauerhaft ist. Es scheinet, daß
Vitruvius von der Stukkaturarbeit unter dem Na-
men Coronarium opus spreche.

Der Stuk ist weich, wie Thon, und läßt sich also
mit kleinen eisernen Spatheln bearbeiten. Wenn
er frisch angemacht ist, wozu weiter nichts erfodert
wird, als daß man unter frischen Maurermörtel
etwa die Hälfte (auch mehr oder weniger) gebrann-
ten frischen Gyps mischt, so ist er ganz weich, und
wird allmählig auf die Stelle, wo man Zierrathen
anbringen will, aufgetragen. Nach einer kurzen
Frist wird er etwas steifer, so daß man ihn entweder
in Formen drüken, oder auf andre Weise nach Be-
lieben bilden kann: währender Arbeit aber wird er
immer steifer, so daß man ihn zulezt mit verschiede-
nen eisernen Jnstrumenten beschneiden, und bescha-
ben kann, um allerhand feine Zierrathen herauszu-
bringen. Nach wenig Tagen ist er schon so hart,
wie ein trokener Thon, und mit der Zeit nihmt er
auch eine mittelmäßige Steinhärte an. Wird er
fleißig und sorgfältig, auch zu einer Zeit gemacht,
da er völlig hart werden kann, ehe Frost oder Re-
gen darüber geht, so ist er auch von außen sehr
dauerhaft, wie an vielen Häusern in Berlin zu sehen,
wo dergleichen Arbeit zu Verziehrungen der Fenster-
einfassungen sehr gewöhnlich ist.

Diese Arbeit ist deswegen schäzbar, weil sie in
Vergleichung dessen, was ähnliche Zierrathen in har-
ten Stein, oder auch nur in Holz geschnizt, kosten,
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sehr geringen Aufwand erfodert. Aber wenn sie
auch so gemißbraucht wird, wie seit etlichen Jahren
in Berlin geschieht, daß man die Außenseiten der
Häuser ganz damit überladet, so wird sie dem Auge
des Kenners sehr zum Ekel.

Stumme Spiehl.

Der Theil der Vorstellung des Schauspiehles, der
ohne Reden geschieht. Man wagt es noch selten
einen etwas beträchtlichen Theil der Handlung auf
der Bühne stillschweigend fortgehen zu lassen; daher
das stumme Spiehl nach der izigen Beschaffenheit der
Bühne, vornehmlich bey den Personen statt hat,
welche währender Zeit, da andre sprechen, entwe-
der als Zuhörer, oder in andern Beschäftigungen
auf der Bühne sind. Die Furcht vor dem Still-
schweigen hat indessen gar ofte bey Dichtern sehr
schwache frostige Seenen veranlasset. Es trift sich
bisweilen, daß die Leidenschaften auf das höchste ge-
stiegen sind, oder daß sich ein unvermutheter, aber
höchst merkwürdiger Zufall ereignet, da das Still-
schweigen sehr natürlich wird. Dieses zu verhin-
dern, läßt der Dichter bisweilen Nebenpersonen
reden, aber so schwach und so frostig, daß ein gan-
zer Auftritt dadurch verdorben wird.

Jn wichtigen Auftritten geschieht es ganz natür-
lich, daß die Hauptpersonen in einem etwas langen
und wichtigen Stillschweigen sind. Läßt man als-
denn Nebenpersonen reden, so wird unsre Aufmerk-
famkeit von dem abgezogen, worauf sie allein sollte
gerichtet seyn. Daher scheinet es schlechterdings
nothwendig, daß bisweilen ganze Auftritte, oder
doch Theile derselben stumm seyen.

Es sey aber, daß ein Auftritt ganz oder nur zum
Theil stumm ist, so ist allemal das stumme Spiehl ein sehr
wichtiger Theil der Kunst des Schauspiehlers. Denn
es kommt gar oft vor, daß wenigstens ein Theil der vor-
handenen Personen eine Zeitlang entweder blos zu-
hören, oder sonst keinen Antheil an der Unterredung
haben. Alsdenn kann ihr stummes Spiehl viel ver-
derben oder gut machen. Es spricht entweder gar
keiner, oder nur einer, und alle andre hören zu,
oder es unterreden sich zwey und andre hören zu, oder
es sind Personen da, die weder reden noch zuhören,
sondern für sich in Gedanken beschäftiget sind. Dies
sind die vier Fälle des stummen Spiehls.

Jn den drey ersten Fällen, muß schlechterdings
alles auf den Jnhalt der Rede übereinstimmen. Die,

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zu ihrer Bildung beygetragen hat, kann andern zu
wichtigen Lehren dienen.

Stukkatur.
(Baukunſt.)

Das Wort kommt vom italiaͤniſchen Stucco, wel-
ches eine Art Moͤrtel bedeutet, der aus Kalk und
fein geſtoßenen Marmor gemacht wird. Aus die-
ſem Stuk, werden allerhand Zierrathen der Bau-
kunſt, als Laubwerk, Feſtone, Blumen und Fruͤchte,
Cartuſchen u. d. gl. verfertiget, die man uͤberhaupt
Stukkaturarbeit nennt. Jn den Gebaͤuden wer-
den vornehmlich die Geſimſe und Dekken der Zim-
mer mit Stukkaturarbeiten verziehret; man kann
ſie aber auch an den Außenſeiten anbringen, wenn
ſie nur dem Regen nicht allzuſehr ausgeſezt ſind.
Hier zu Lande wird blos aus dem gemeinen Kalk-
moͤrtel, wie die Maurer ihn brauchen, und gebrann-
tem Gyps ein Stuk gemacht, der auch außen an
den Gebaͤuden ſehr dauerhaft iſt. Es ſcheinet, daß
Vitruvius von der Stukkaturarbeit unter dem Na-
men Coronarium opus ſpreche.

Der Stuk iſt weich, wie Thon, und laͤßt ſich alſo
mit kleinen eiſernen Spatheln bearbeiten. Wenn
er friſch angemacht iſt, wozu weiter nichts erfodert
wird, als daß man unter friſchen Maurermoͤrtel
etwa die Haͤlfte (auch mehr oder weniger) gebrann-
ten friſchen Gyps miſcht, ſo iſt er ganz weich, und
wird allmaͤhlig auf die Stelle, wo man Zierrathen
anbringen will, aufgetragen. Nach einer kurzen
Friſt wird er etwas ſteifer, ſo daß man ihn entweder
in Formen druͤken, oder auf andre Weiſe nach Be-
lieben bilden kann: waͤhrender Arbeit aber wird er
immer ſteifer, ſo daß man ihn zulezt mit verſchiede-
nen eiſernen Jnſtrumenten beſchneiden, und beſcha-
ben kann, um allerhand feine Zierrathen herauszu-
bringen. Nach wenig Tagen iſt er ſchon ſo hart,
wie ein trokener Thon, und mit der Zeit nihmt er
auch eine mittelmaͤßige Steinhaͤrte an. Wird er
fleißig und ſorgfaͤltig, auch zu einer Zeit gemacht,
da er voͤllig hart werden kann, ehe Froſt oder Re-
gen daruͤber geht, ſo iſt er auch von außen ſehr
dauerhaft, wie an vielen Haͤuſern in Berlin zu ſehen,
wo dergleichen Arbeit zu Verziehrungen der Fenſter-
einfaſſungen ſehr gewoͤhnlich iſt.

Dieſe Arbeit iſt deswegen ſchaͤzbar, weil ſie in
Vergleichung deſſen, was aͤhnliche Zierrathen in har-
ten Stein, oder auch nur in Holz geſchnizt, koſten,
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ſehr geringen Aufwand erfodert. Aber wenn ſie
auch ſo gemißbraucht wird, wie ſeit etlichen Jahren
in Berlin geſchieht, daß man die Außenſeiten der
Haͤuſer ganz damit uͤberladet, ſo wird ſie dem Auge
des Kenners ſehr zum Ekel.

Stumme Spiehl.

Der Theil der Vorſtellung des Schauſpiehles, der
ohne Reden geſchieht. Man wagt es noch ſelten
einen etwas betraͤchtlichen Theil der Handlung auf
der Buͤhne ſtillſchweigend fortgehen zu laſſen; daher
das ſtumme Spiehl nach der izigen Beſchaffenheit der
Buͤhne, vornehmlich bey den Perſonen ſtatt hat,
welche waͤhrender Zeit, da andre ſprechen, entwe-
der als Zuhoͤrer, oder in andern Beſchaͤftigungen
auf der Buͤhne ſind. Die Furcht vor dem Still-
ſchweigen hat indeſſen gar ofte bey Dichtern ſehr
ſchwache froſtige Seenen veranlaſſet. Es trift ſich
bisweilen, daß die Leidenſchaften auf das hoͤchſte ge-
ſtiegen ſind, oder daß ſich ein unvermutheter, aber
hoͤchſt merkwuͤrdiger Zufall ereignet, da das Still-
ſchweigen ſehr natuͤrlich wird. Dieſes zu verhin-
dern, laͤßt der Dichter bisweilen Nebenperſonen
reden, aber ſo ſchwach und ſo froſtig, daß ein gan-
zer Auftritt dadurch verdorben wird.

Jn wichtigen Auftritten geſchieht es ganz natuͤr-
lich, daß die Hauptperſonen in einem etwas langen
und wichtigen Stillſchweigen ſind. Laͤßt man als-
denn Nebenperſonen reden, ſo wird unſre Aufmerk-
famkeit von dem abgezogen, worauf ſie allein ſollte
gerichtet ſeyn. Daher ſcheinet es ſchlechterdings
nothwendig, daß bisweilen ganze Auftritte, oder
doch Theile derſelben ſtumm ſeyen.

Es ſey aber, daß ein Auftritt ganz oder nur zum
Theil ſtum̃ iſt, ſo iſt allemal das ſtumme Spiehl ein ſehr
wichtiger Theil der Kunſt des Schauſpiehlers. Denn
es kommt gar oft vor, daß wenigſtens ein Theil der vor-
handenen Perſonen eine Zeitlang entweder blos zu-
hoͤren, oder ſonſt keinen Antheil an der Unterredung
haben. Alsdenn kann ihr ſtummes Spiehl viel ver-
derben oder gut machen. Es ſpricht entweder gar
keiner, oder nur einer, und alle andre hoͤren zu,
oder es unterreden ſich zwey und andre hoͤren zu, oder
es ſind Perſonen da, die weder reden noch zuhoͤren,
ſondern fuͤr ſich in Gedanken beſchaͤftiget ſind. Dies
ſind die vier Faͤlle des ſtummen Spiehls.

Jn den drey erſten Faͤllen, muß ſchlechterdings
alles auf den Jnhalt der Rede uͤbereinſtimmen. Die,

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[1118[1100]/0547] Stu Stu zu ihrer Bildung beygetragen hat, kann andern zu wichtigen Lehren dienen. Stukkatur. (Baukunſt.) Das Wort kommt vom italiaͤniſchen Stucco, wel- ches eine Art Moͤrtel bedeutet, der aus Kalk und fein geſtoßenen Marmor gemacht wird. Aus die- ſem Stuk, werden allerhand Zierrathen der Bau- kunſt, als Laubwerk, Feſtone, Blumen und Fruͤchte, Cartuſchen u. d. gl. verfertiget, die man uͤberhaupt Stukkaturarbeit nennt. Jn den Gebaͤuden wer- den vornehmlich die Geſimſe und Dekken der Zim- mer mit Stukkaturarbeiten verziehret; man kann ſie aber auch an den Außenſeiten anbringen, wenn ſie nur dem Regen nicht allzuſehr ausgeſezt ſind. Hier zu Lande wird blos aus dem gemeinen Kalk- moͤrtel, wie die Maurer ihn brauchen, und gebrann- tem Gyps ein Stuk gemacht, der auch außen an den Gebaͤuden ſehr dauerhaft iſt. Es ſcheinet, daß Vitruvius von der Stukkaturarbeit unter dem Na- men Coronarium opus ſpreche. Der Stuk iſt weich, wie Thon, und laͤßt ſich alſo mit kleinen eiſernen Spatheln bearbeiten. Wenn er friſch angemacht iſt, wozu weiter nichts erfodert wird, als daß man unter friſchen Maurermoͤrtel etwa die Haͤlfte (auch mehr oder weniger) gebrann- ten friſchen Gyps miſcht, ſo iſt er ganz weich, und wird allmaͤhlig auf die Stelle, wo man Zierrathen anbringen will, aufgetragen. Nach einer kurzen Friſt wird er etwas ſteifer, ſo daß man ihn entweder in Formen druͤken, oder auf andre Weiſe nach Be- lieben bilden kann: waͤhrender Arbeit aber wird er immer ſteifer, ſo daß man ihn zulezt mit verſchiede- nen eiſernen Jnſtrumenten beſchneiden, und beſcha- ben kann, um allerhand feine Zierrathen herauszu- bringen. Nach wenig Tagen iſt er ſchon ſo hart, wie ein trokener Thon, und mit der Zeit nihmt er auch eine mittelmaͤßige Steinhaͤrte an. Wird er fleißig und ſorgfaͤltig, auch zu einer Zeit gemacht, da er voͤllig hart werden kann, ehe Froſt oder Re- gen daruͤber geht, ſo iſt er auch von außen ſehr dauerhaft, wie an vielen Haͤuſern in Berlin zu ſehen, wo dergleichen Arbeit zu Verziehrungen der Fenſter- einfaſſungen ſehr gewoͤhnlich iſt. Dieſe Arbeit iſt deswegen ſchaͤzbar, weil ſie in Vergleichung deſſen, was aͤhnliche Zierrathen in har- ten Stein, oder auch nur in Holz geſchnizt, koſten, ſehr geringen Aufwand erfodert. Aber wenn ſie auch ſo gemißbraucht wird, wie ſeit etlichen Jahren in Berlin geſchieht, daß man die Außenſeiten der Haͤuſer ganz damit uͤberladet, ſo wird ſie dem Auge des Kenners ſehr zum Ekel. Stumme Spiehl. Der Theil der Vorſtellung des Schauſpiehles, der ohne Reden geſchieht. Man wagt es noch ſelten einen etwas betraͤchtlichen Theil der Handlung auf der Buͤhne ſtillſchweigend fortgehen zu laſſen; daher das ſtumme Spiehl nach der izigen Beſchaffenheit der Buͤhne, vornehmlich bey den Perſonen ſtatt hat, welche waͤhrender Zeit, da andre ſprechen, entwe- der als Zuhoͤrer, oder in andern Beſchaͤftigungen auf der Buͤhne ſind. Die Furcht vor dem Still- ſchweigen hat indeſſen gar ofte bey Dichtern ſehr ſchwache froſtige Seenen veranlaſſet. Es trift ſich bisweilen, daß die Leidenſchaften auf das hoͤchſte ge- ſtiegen ſind, oder daß ſich ein unvermutheter, aber hoͤchſt merkwuͤrdiger Zufall ereignet, da das Still- ſchweigen ſehr natuͤrlich wird. Dieſes zu verhin- dern, laͤßt der Dichter bisweilen Nebenperſonen reden, aber ſo ſchwach und ſo froſtig, daß ein gan- zer Auftritt dadurch verdorben wird. Jn wichtigen Auftritten geſchieht es ganz natuͤr- lich, daß die Hauptperſonen in einem etwas langen und wichtigen Stillſchweigen ſind. Laͤßt man als- denn Nebenperſonen reden, ſo wird unſre Aufmerk- famkeit von dem abgezogen, worauf ſie allein ſollte gerichtet ſeyn. Daher ſcheinet es ſchlechterdings nothwendig, daß bisweilen ganze Auftritte, oder doch Theile derſelben ſtumm ſeyen. Es ſey aber, daß ein Auftritt ganz oder nur zum Theil ſtum̃ iſt, ſo iſt allemal das ſtumme Spiehl ein ſehr wichtiger Theil der Kunſt des Schauſpiehlers. Denn es kommt gar oft vor, daß wenigſtens ein Theil der vor- handenen Perſonen eine Zeitlang entweder blos zu- hoͤren, oder ſonſt keinen Antheil an der Unterredung haben. Alsdenn kann ihr ſtummes Spiehl viel ver- derben oder gut machen. Es ſpricht entweder gar keiner, oder nur einer, und alle andre hoͤren zu, oder es unterreden ſich zwey und andre hoͤren zu, oder es ſind Perſonen da, die weder reden noch zuhoͤren, ſondern fuͤr ſich in Gedanken beſchaͤftiget ſind. Dies ſind die vier Faͤlle des ſtummen Spiehls. Jn den drey erſten Faͤllen, muß ſchlechterdings alles auf den Jnhalt der Rede uͤbereinſtimmen. Die, wel-

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 1118[1100]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/547>, abgerufen am 28.03.2024.