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Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774.

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[Spaltenumbruch]

Ton
Durtonart (*), zur Belustigung, zum lermenden
und kriegerischen; zum gefälligen, zärtlichen, scherz-
haften; oft zum blos ernsthaften Ausdruk am besten
zu gebrauchen sind. Die weniger reinen Töne sind
nach dem Grad ihrer wenigern Reinigkeit allezeit
würksamer zu vermischten Empfindungen, deren Aus-
druk in den härtesten Dur- und den weichsten Moll-
tönen von der gewaltsamsten Würkung ist.

Hieraus erhellet hinlänglich, daß der Tonsezer
nicht blos in der Wahl der Tonart, ob er die harte
oder weiche zu nehmen habe, sondern auch des To-
nes selbst, sehr sorgfältig seyn müsse. Die Stüke
derer, die eine solche sorgfältige Wahl getroffen ha-
ben, lassen sich deswegen nie ohne Schaden in an-
dere Töne versezen, deren Reinigkeit merklich von
der verschieden ist, nach der sie ursprünglich gesezt
worden. Dieses kann jeder erfahren, der die an-
derswo (*) vorgeschlagene Probe mit dem Chor
Mora, aus der Oper Jphigenia, oder mit dem Xe-
nophon
des Herrn Bach aus dem musikalischen Al-
lerley
(*) machen will.

Ton.
(Redende Künste.)

Jst eigentlich der Klang der Stimme in so fern sie
für sich, ohne Betrachtung des Bedeutenden der
Wörter, etwas sittliches oder leidenschaftliches hat.
Man erkennt nämlich, wenn man auch in einer un-
bekannten Sprache reden hört, den kläglichen, oder
muntern, weinerlichen oder freudigen Jnhalt der
Rede aus dem Ton, womit sie vorgetragen wird.
Man kann aber nach dem Beyspiehl der griechischen
Kunstrichter den ganzen Charakter der Rede, in so
fern dieselbe durch ganz undeutliche Vorstellung die
Empfindung des Sittlichen oder Leidenschaftlichen
erwekt, den Ton der Rede nennen.

Um dieses genau zu verstehen, müssen wir be-
denken, daß jede Gemüthsfassung und jede Leiden-
schaft, nicht nur eine ihr eigene Stimme, ihren
eigenen Vortrag, sondern auch ihre eigene Sprach
und eigene Wendung habe. Die Einfalt, die Un-
schuld, der Schmerz, die Liebe, der Zorn haben je-
der eine Stimme, einen Vortrag, eine Wendung,
die ihr eigen ist. Alles was dazu gehört, kön-
nen wir den Ton der Rede nennen. Wenn man
[Spaltenumbruch]

Ton
von einem Menschen sagt, er habe in einem hohen
Ton gesprochen, so versteht man dieses nicht nur
von einer lauten festen Stimme, sondern auch von
dem Dreisten oder Kühnen, das in Gedanken und in
der Wahl der Worte liegt; und ein pöbelhafter Ton,
ist nicht blos eine schlechte pöbelhafte Aussprache,
sondern alles in der Rede, was uns anschauend die
Vorstellung des Niedrigen und Pöbelhaften erwekt.
Daher bemerken wir die Art des Tons auch in Re-
den, die wir blos lesen, ohne sie zu hören.

Zum Ton gehört demnach alles, was wir recht
sinnlich von dem Charakter der Rede empfinden;
und hieraus läßt sich die Wichtigkeit des Tones er-
kennen, der vielleicht mehr würkt, als die klareren
Vorstellungen selbst. Ofte macht ein einziges Wort,
ein Ja oder Nein, durch den Ton, den man ihm
giebt, einen sehr starken Eindruk. Ueberhaupt liegt
in dem Ton etwas ganz verführerisches, dem man
um so weniger wiedersteht, je dunkeler die Gründe
der Würkung sind. Es ist ein Ton der Ueberzeu-
gung, der keinem Zweifel statt läßt, und ein Ton
der Falschheit und Verstellung, der den kräftigsten
Beweisgründen alle Würkungen benihmt. Die deut-
lichsten Beweise von der Beleidigung, die uns eine
geliebte Person angethan, könnten durch zwey Worte,
in dem wahren Ton der Unschuld vorgebracht, gänz-
lich zernichtet werden.

Darum ist der Ton ein höchstwichtiges Stük der
vollkommenen Rede, wenn er mit dem Jnhalt und
der Absicht der Vorstellungen übereinkommt. Der
Redner, der diesen nicht trift, verliehrt seine Arbeit.
Es ist aber höchst schweer die Betrachtungen, die
hieher gehören, auseinander zu sezen. Wir werden
uns bemühen, diejenigen die hierüber genauer nach-
denken wollen, auf die Spuhr zu führen.

Zum Ton gehört zuerst, als ein ganz wesentli-
ches Stük, die Stimme, oder, was man im eigent-
lichen Sinn den Ton der Rede nennt. Quintilian,
der weitläuftig von der Stimme handelt, theilet
das, was er darüber zu sagen hat, in zwey Punkte.
Der erste betrift die Beschaffenheit der Stimme, der
zweyte ihren Gebrauch. (+) Jn Ansehung des ersten
Punkts unterscheidet er zweyerley Eigenschaften; die
Stärke und die ästhetische Beschaffenheit der Stim-
me. (++) Was über die Stärke zu sagen ist, hat wenig

Schwie-
(*) S.
Tonart.
(*) S.
Tempera-
tur.
(*) S. 10.
(+) Prima observatio est, qualem (vocem) habeas; se-
cunda quo modo utaris. Inst. L. XI. c.
3, 14.
(++) Natura vocis spectatur quantitate et qualitate. Ib.

[Spaltenumbruch]

Ton
Durtonart (*), zur Beluſtigung, zum lermenden
und kriegeriſchen; zum gefaͤlligen, zaͤrtlichen, ſcherz-
haften; oft zum blos ernſthaften Ausdruk am beſten
zu gebrauchen ſind. Die weniger reinen Toͤne ſind
nach dem Grad ihrer wenigern Reinigkeit allezeit
wuͤrkſamer zu vermiſchten Empfindungen, deren Aus-
druk in den haͤrteſten Dur- und den weichſten Moll-
toͤnen von der gewaltſamſten Wuͤrkung iſt.

Hieraus erhellet hinlaͤnglich, daß der Tonſezer
nicht blos in der Wahl der Tonart, ob er die harte
oder weiche zu nehmen habe, ſondern auch des To-
nes ſelbſt, ſehr ſorgfaͤltig ſeyn muͤſſe. Die Stuͤke
derer, die eine ſolche ſorgfaͤltige Wahl getroffen ha-
ben, laſſen ſich deswegen nie ohne Schaden in an-
dere Toͤne verſezen, deren Reinigkeit merklich von
der verſchieden iſt, nach der ſie urſpruͤnglich geſezt
worden. Dieſes kann jeder erfahren, der die an-
derswo (*) vorgeſchlagene Probe mit dem Chor
Mora, aus der Oper Jphigenia, oder mit dem Xe-
nophon
des Herrn Bach aus dem muſikaliſchen Al-
lerley
(*) machen will.

Ton.
(Redende Kuͤnſte.)

Jſt eigentlich der Klang der Stimme in ſo fern ſie
fuͤr ſich, ohne Betrachtung des Bedeutenden der
Woͤrter, etwas ſittliches oder leidenſchaftliches hat.
Man erkennt naͤmlich, wenn man auch in einer un-
bekannten Sprache reden hoͤrt, den klaͤglichen, oder
muntern, weinerlichen oder freudigen Jnhalt der
Rede aus dem Ton, womit ſie vorgetragen wird.
Man kann aber nach dem Beyſpiehl der griechiſchen
Kunſtrichter den ganzen Charakter der Rede, in ſo
fern dieſelbe durch ganz undeutliche Vorſtellung die
Empfindung des Sittlichen oder Leidenſchaftlichen
erwekt, den Ton der Rede nennen.

Um dieſes genau zu verſtehen, muͤſſen wir be-
denken, daß jede Gemuͤthsfaſſung und jede Leiden-
ſchaft, nicht nur eine ihr eigene Stimme, ihren
eigenen Vortrag, ſondern auch ihre eigene Sprach
und eigene Wendung habe. Die Einfalt, die Un-
ſchuld, der Schmerz, die Liebe, der Zorn haben je-
der eine Stimme, einen Vortrag, eine Wendung,
die ihr eigen iſt. Alles was dazu gehoͤrt, koͤn-
nen wir den Ton der Rede nennen. Wenn man
[Spaltenumbruch]

Ton
von einem Menſchen ſagt, er habe in einem hohen
Ton geſprochen, ſo verſteht man dieſes nicht nur
von einer lauten feſten Stimme, ſondern auch von
dem Dreiſten oder Kuͤhnen, das in Gedanken und in
der Wahl der Worte liegt; und ein poͤbelhafter Ton,
iſt nicht blos eine ſchlechte poͤbelhafte Ausſprache,
ſondern alles in der Rede, was uns anſchauend die
Vorſtellung des Niedrigen und Poͤbelhaften erwekt.
Daher bemerken wir die Art des Tons auch in Re-
den, die wir blos leſen, ohne ſie zu hoͤren.

Zum Ton gehoͤrt demnach alles, was wir recht
ſinnlich von dem Charakter der Rede empfinden;
und hieraus laͤßt ſich die Wichtigkeit des Tones er-
kennen, der vielleicht mehr wuͤrkt, als die klareren
Vorſtellungen ſelbſt. Ofte macht ein einziges Wort,
ein Ja oder Nein, durch den Ton, den man ihm
giebt, einen ſehr ſtarken Eindruk. Ueberhaupt liegt
in dem Ton etwas ganz verfuͤhreriſches, dem man
um ſo weniger wiederſteht, je dunkeler die Gruͤnde
der Wuͤrkung ſind. Es iſt ein Ton der Ueberzeu-
gung, der keinem Zweifel ſtatt laͤßt, und ein Ton
der Falſchheit und Verſtellung, der den kraͤftigſten
Beweisgruͤnden alle Wuͤrkungen benihmt. Die deut-
lichſten Beweiſe von der Beleidigung, die uns eine
geliebte Perſon angethan, koͤnnten durch zwey Worte,
in dem wahren Ton der Unſchuld vorgebracht, gaͤnz-
lich zernichtet werden.

Darum iſt der Ton ein hoͤchſtwichtiges Stuͤk der
vollkommenen Rede, wenn er mit dem Jnhalt und
der Abſicht der Vorſtellungen uͤbereinkommt. Der
Redner, der dieſen nicht trift, verliehrt ſeine Arbeit.
Es iſt aber hoͤchſt ſchweer die Betrachtungen, die
hieher gehoͤren, auseinander zu ſezen. Wir werden
uns bemuͤhen, diejenigen die hieruͤber genauer nach-
denken wollen, auf die Spuhr zu fuͤhren.

Zum Ton gehoͤrt zuerſt, als ein ganz weſentli-
ches Stuͤk, die Stimme, oder, was man im eigent-
lichen Sinn den Ton der Rede nennt. Quintilian,
der weitlaͤuftig von der Stimme handelt, theilet
das, was er daruͤber zu ſagen hat, in zwey Punkte.
Der erſte betrift die Beſchaffenheit der Stimme, der
zweyte ihren Gebrauch. (†) Jn Anſehung des erſten
Punkts unterſcheidet er zweyerley Eigenſchaften; die
Staͤrke und die aͤſthetiſche Beſchaffenheit der Stim-
me. (††) Was uͤber die Staͤrke zu ſagen iſt, hat wenig

Schwie-
(*) S.
Tonart.
(*) S.
Tempera-
tur.
(*) S. 10.
(†) Prima obſervatio eſt, qualem (vocem) habeas; ſe-
cunda quo modo utaris. Inſt. L. XI. c.
3, 14.
(††) Natura vocis ſpectatur quantitate et qualitate. Ib.
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[1158[1140]/0587] Ton Ton Durtonart (*), zur Beluſtigung, zum lermenden und kriegeriſchen; zum gefaͤlligen, zaͤrtlichen, ſcherz- haften; oft zum blos ernſthaften Ausdruk am beſten zu gebrauchen ſind. Die weniger reinen Toͤne ſind nach dem Grad ihrer wenigern Reinigkeit allezeit wuͤrkſamer zu vermiſchten Empfindungen, deren Aus- druk in den haͤrteſten Dur- und den weichſten Moll- toͤnen von der gewaltſamſten Wuͤrkung iſt. Hieraus erhellet hinlaͤnglich, daß der Tonſezer nicht blos in der Wahl der Tonart, ob er die harte oder weiche zu nehmen habe, ſondern auch des To- nes ſelbſt, ſehr ſorgfaͤltig ſeyn muͤſſe. Die Stuͤke derer, die eine ſolche ſorgfaͤltige Wahl getroffen ha- ben, laſſen ſich deswegen nie ohne Schaden in an- dere Toͤne verſezen, deren Reinigkeit merklich von der verſchieden iſt, nach der ſie urſpruͤnglich geſezt worden. Dieſes kann jeder erfahren, der die an- derswo (*) vorgeſchlagene Probe mit dem Chor Mora, aus der Oper Jphigenia, oder mit dem Xe- nophon des Herrn Bach aus dem muſikaliſchen Al- lerley (*) machen will. Ton. (Redende Kuͤnſte.) Jſt eigentlich der Klang der Stimme in ſo fern ſie fuͤr ſich, ohne Betrachtung des Bedeutenden der Woͤrter, etwas ſittliches oder leidenſchaftliches hat. Man erkennt naͤmlich, wenn man auch in einer un- bekannten Sprache reden hoͤrt, den klaͤglichen, oder muntern, weinerlichen oder freudigen Jnhalt der Rede aus dem Ton, womit ſie vorgetragen wird. Man kann aber nach dem Beyſpiehl der griechiſchen Kunſtrichter den ganzen Charakter der Rede, in ſo fern dieſelbe durch ganz undeutliche Vorſtellung die Empfindung des Sittlichen oder Leidenſchaftlichen erwekt, den Ton der Rede nennen. Um dieſes genau zu verſtehen, muͤſſen wir be- denken, daß jede Gemuͤthsfaſſung und jede Leiden- ſchaft, nicht nur eine ihr eigene Stimme, ihren eigenen Vortrag, ſondern auch ihre eigene Sprach und eigene Wendung habe. Die Einfalt, die Un- ſchuld, der Schmerz, die Liebe, der Zorn haben je- der eine Stimme, einen Vortrag, eine Wendung, die ihr eigen iſt. Alles was dazu gehoͤrt, koͤn- nen wir den Ton der Rede nennen. Wenn man von einem Menſchen ſagt, er habe in einem hohen Ton geſprochen, ſo verſteht man dieſes nicht nur von einer lauten feſten Stimme, ſondern auch von dem Dreiſten oder Kuͤhnen, das in Gedanken und in der Wahl der Worte liegt; und ein poͤbelhafter Ton, iſt nicht blos eine ſchlechte poͤbelhafte Ausſprache, ſondern alles in der Rede, was uns anſchauend die Vorſtellung des Niedrigen und Poͤbelhaften erwekt. Daher bemerken wir die Art des Tons auch in Re- den, die wir blos leſen, ohne ſie zu hoͤren. Zum Ton gehoͤrt demnach alles, was wir recht ſinnlich von dem Charakter der Rede empfinden; und hieraus laͤßt ſich die Wichtigkeit des Tones er- kennen, der vielleicht mehr wuͤrkt, als die klareren Vorſtellungen ſelbſt. Ofte macht ein einziges Wort, ein Ja oder Nein, durch den Ton, den man ihm giebt, einen ſehr ſtarken Eindruk. Ueberhaupt liegt in dem Ton etwas ganz verfuͤhreriſches, dem man um ſo weniger wiederſteht, je dunkeler die Gruͤnde der Wuͤrkung ſind. Es iſt ein Ton der Ueberzeu- gung, der keinem Zweifel ſtatt laͤßt, und ein Ton der Falſchheit und Verſtellung, der den kraͤftigſten Beweisgruͤnden alle Wuͤrkungen benihmt. Die deut- lichſten Beweiſe von der Beleidigung, die uns eine geliebte Perſon angethan, koͤnnten durch zwey Worte, in dem wahren Ton der Unſchuld vorgebracht, gaͤnz- lich zernichtet werden. Darum iſt der Ton ein hoͤchſtwichtiges Stuͤk der vollkommenen Rede, wenn er mit dem Jnhalt und der Abſicht der Vorſtellungen uͤbereinkommt. Der Redner, der dieſen nicht trift, verliehrt ſeine Arbeit. Es iſt aber hoͤchſt ſchweer die Betrachtungen, die hieher gehoͤren, auseinander zu ſezen. Wir werden uns bemuͤhen, diejenigen die hieruͤber genauer nach- denken wollen, auf die Spuhr zu fuͤhren. Zum Ton gehoͤrt zuerſt, als ein ganz weſentli- ches Stuͤk, die Stimme, oder, was man im eigent- lichen Sinn den Ton der Rede nennt. Quintilian, der weitlaͤuftig von der Stimme handelt, theilet das, was er daruͤber zu ſagen hat, in zwey Punkte. Der erſte betrift die Beſchaffenheit der Stimme, der zweyte ihren Gebrauch. (†) Jn Anſehung des erſten Punkts unterſcheidet er zweyerley Eigenſchaften; die Staͤrke und die aͤſthetiſche Beſchaffenheit der Stim- me. (††) Was uͤber die Staͤrke zu ſagen iſt, hat wenig Schwie- (*) S. Tonart. (*) S. Tempera- tur. (*) S. 10. (†) Prima obſervatio eſt, qualem (vocem) habeas; ſe- cunda quo modo utaris. Inſt. L. XI. c. 3, 14. (††) Natura vocis ſpectatur quantitate et qualitate. Ib.

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Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Allgemeine Theorie der Schönen Künste. Bd. 2. Leipzig, 1774, S. 1158[1140]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_theorie02_1774/587>, abgerufen am 19.04.2024.