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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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und Freyheit.
3.

Dritte Beobachtung. "Wo wir uns selbst be-
"stimmen zu einer Aktion, oder sie wollen, da ist die-
"jenige Aeusserung der Kraft, welche das Bestimmen
"ausmacht, ein stärkeres Bestreben auf die Vorstellung
"von der Aktion; und von diesem Bestreben ist es eine
"Wirkung, daß jene Vorstellung völliger reproducirt
"wird, und in eine volle Aktion, wenigstens in eine
"innere, übergehet. Und dieß Bestreben zur Ent-
"wickelung der Vorstellung ist eine Selbstthätigkeit,
"welche nicht unmittelbar auf das Gefallen erfolget."

Nicht alle Kraftäußerungen der Seele bestehen in
Reproduktionen und Bearbeitungen der Vorstellungen,
ja keine einzige bestehet ganz allein darinn. *) Aber da,
wo wir selbst uns zu etwas bestimmen, da bestehet das
Wollen in einer Tendenz, eine vorhandene Vorstellung
von einer Aktion bis zur Empfindung zu erheben. Mit
dieser sind zugleich Gefühle und Empfindungen verbun-
den, durch welche wiederum unmittelbare, instinktartige
Thätigkeiten veranlasset werden, wovon neue Modifika-
tionen in der Seele abhangen. Niemals ist eine ganze
individuelle Kraftanwendung der Seele eine Selbst-
bestimmung. Aber soweit sie eine solche ist, bestehet
sie in einem Ansatz, eine Vorstellung von einer Aktion
völliger bis zur Empfindung zu entwickeln.

Diese reproducirende Aktion ist nicht unmittelbar
die nächste Folge von der Affektion, welche wir das
Gefallen nennen, und welche instinktartig hervorgehet.
Das Gefallen kann aus der Vorstellung von dem Objekt
der Handlung entspringen, und dann unmittelbar die
Jdee von der Aktion selbst erwecken; oder, wenn diese
schon erweckt ist, solche noch mehr gegenwärtig machen.
Bis dahin werden wir bestimmt. Nur ist dieß noch

nicht
*) Zehnter Versuch IV. 2.
F 5
und Freyheit.
3.

Dritte Beobachtung. „Wo wir uns ſelbſt be-
„ſtimmen zu einer Aktion, oder ſie wollen, da iſt die-
„jenige Aeuſſerung der Kraft, welche das Beſtimmen
„ausmacht, ein ſtaͤrkeres Beſtreben auf die Vorſtellung
„von der Aktion; und von dieſem Beſtreben iſt es eine
„Wirkung, daß jene Vorſtellung voͤlliger reproducirt
„wird, und in eine volle Aktion, wenigſtens in eine
innere, uͤbergehet. Und dieß Beſtreben zur Ent-
„wickelung der Vorſtellung iſt eine Selbſtthaͤtigkeit,
„welche nicht unmittelbar auf das Gefallen erfolget.‟

Nicht alle Kraftaͤußerungen der Seele beſtehen in
Reproduktionen und Bearbeitungen der Vorſtellungen,
ja keine einzige beſtehet ganz allein darinn. *) Aber da,
wo wir ſelbſt uns zu etwas beſtimmen, da beſtehet das
Wollen in einer Tendenz, eine vorhandene Vorſtellung
von einer Aktion bis zur Empfindung zu erheben. Mit
dieſer ſind zugleich Gefuͤhle und Empfindungen verbun-
den, durch welche wiederum unmittelbare, inſtinktartige
Thaͤtigkeiten veranlaſſet werden, wovon neue Modifika-
tionen in der Seele abhangen. Niemals iſt eine ganze
individuelle Kraftanwendung der Seele eine Selbſt-
beſtimmung. Aber ſoweit ſie eine ſolche iſt, beſtehet
ſie in einem Anſatz, eine Vorſtellung von einer Aktion
voͤlliger bis zur Empfindung zu entwickeln.

Dieſe reproducirende Aktion iſt nicht unmittelbar
die naͤchſte Folge von der Affektion, welche wir das
Gefallen nennen, und welche inſtinktartig hervorgehet.
Das Gefallen kann aus der Vorſtellung von dem Objekt
der Handlung entſpringen, und dann unmittelbar die
Jdee von der Aktion ſelbſt erwecken; oder, wenn dieſe
ſchon erweckt iſt, ſolche noch mehr gegenwaͤrtig machen.
Bis dahin werden wir beſtimmt. Nur iſt dieß noch

nicht
*) Zehnter Verſuch IV. 2.
F 5
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[89/0119] und Freyheit. 3. Dritte Beobachtung. „Wo wir uns ſelbſt be- „ſtimmen zu einer Aktion, oder ſie wollen, da iſt die- „jenige Aeuſſerung der Kraft, welche das Beſtimmen „ausmacht, ein ſtaͤrkeres Beſtreben auf die Vorſtellung „von der Aktion; und von dieſem Beſtreben iſt es eine „Wirkung, daß jene Vorſtellung voͤlliger reproducirt „wird, und in eine volle Aktion, wenigſtens in eine „innere, uͤbergehet. Und dieß Beſtreben zur Ent- „wickelung der Vorſtellung iſt eine Selbſtthaͤtigkeit, „welche nicht unmittelbar auf das Gefallen erfolget.‟ Nicht alle Kraftaͤußerungen der Seele beſtehen in Reproduktionen und Bearbeitungen der Vorſtellungen, ja keine einzige beſtehet ganz allein darinn. *) Aber da, wo wir ſelbſt uns zu etwas beſtimmen, da beſtehet das Wollen in einer Tendenz, eine vorhandene Vorſtellung von einer Aktion bis zur Empfindung zu erheben. Mit dieſer ſind zugleich Gefuͤhle und Empfindungen verbun- den, durch welche wiederum unmittelbare, inſtinktartige Thaͤtigkeiten veranlaſſet werden, wovon neue Modifika- tionen in der Seele abhangen. Niemals iſt eine ganze individuelle Kraftanwendung der Seele eine Selbſt- beſtimmung. Aber ſoweit ſie eine ſolche iſt, beſtehet ſie in einem Anſatz, eine Vorſtellung von einer Aktion voͤlliger bis zur Empfindung zu entwickeln. Dieſe reproducirende Aktion iſt nicht unmittelbar die naͤchſte Folge von der Affektion, welche wir das Gefallen nennen, und welche inſtinktartig hervorgehet. Das Gefallen kann aus der Vorſtellung von dem Objekt der Handlung entſpringen, und dann unmittelbar die Jdee von der Aktion ſelbſt erwecken; oder, wenn dieſe ſchon erweckt iſt, ſolche noch mehr gegenwaͤrtig machen. Bis dahin werden wir beſtimmt. Nur iſt dieß noch nicht *) Zehnter Verſuch IV. 2. F 5

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/119>, abgerufen am 29.03.2024.