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Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777.

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im Menschen.
genauer zu betrachten Gelegenheit haben werde. Dieß
sind ohne Zweifel Fakta, wodurch die Association der
materiellen Jdeen im Gehirn erläutert wird. Jedoch
will ich hier nur zum voraus erinnern, daß, wenn man
jene mit dieser näher vergleichet, so finde sich eine so
wesentliche Verschiedenheit zwischen ihnen, daß es selbst
daraus unwahrscheinlich wird, daß ohne Zuthun der
Seele die Jdeenverknüpfung in der Phantasie allein
von der Organisation des Körpers abhangen könne.

4.

Diesem ersten Grundsatze hat Hr. Bonnet einen
zweeten zugefügt, den er mit jenem durch sein ganzes
System verwebet hat, der sich aber doch wieder heraus-
ziehen läßt, ohne daß darum das System selbst aus-
einandergehe. "Es soll nämlich jedwede verschiedene
"Jmpression, und jedwede verschiedene materielle
"Jdee ihre eigene Fiber
haben, worinn sie ihren
"Sitz hat." Eine einfache Fiber soll nur Eine sinnli-
che Modifikation aufnehmen. Die rothe Farbe soll
ihre Fiber haben, und diese soll von der Fiber, die zu
der Jdee von der blauen Farbe gehört, verschieden seyn.
Eine andere soll für den Ton der Violine, eine andere
für den Ton der Trompete bestimmt seyn.

Dieß kann nun noch auf eine zweyfache Art bestim-
met werden.

Sollen so viele Fibern vorhanden seyn, als es ein-
zelne zusammengesetzte Empfindungen
und Jdeen
einzelner Dinge
giebt, davon jede etwas eigenes an
sich hat? Soll für jedes einzelne Menschengesicht, für
jedes einzelne grüne Blatt, sobald diese Gegenstände
und ihre Jmpressionen merklich verschieden sind, eine
eigene einfache oder zusammengesetzte Fiber vorhan-
den seyn? eine andere für die Jdee des Purpurrothen,
und eine andere für die Jdee des Gelbrothen, und noch

eine

im Menſchen.
genauer zu betrachten Gelegenheit haben werde. Dieß
ſind ohne Zweifel Fakta, wodurch die Aſſociation der
materiellen Jdeen im Gehirn erlaͤutert wird. Jedoch
will ich hier nur zum voraus erinnern, daß, wenn man
jene mit dieſer naͤher vergleichet, ſo finde ſich eine ſo
weſentliche Verſchiedenheit zwiſchen ihnen, daß es ſelbſt
daraus unwahrſcheinlich wird, daß ohne Zuthun der
Seele die Jdeenverknuͤpfung in der Phantaſie allein
von der Organiſation des Koͤrpers abhangen koͤnne.

4.

Dieſem erſten Grundſatze hat Hr. Bonnet einen
zweeten zugefuͤgt, den er mit jenem durch ſein ganzes
Syſtem verwebet hat, der ſich aber doch wieder heraus-
ziehen laͤßt, ohne daß darum das Syſtem ſelbſt aus-
einandergehe. „Es ſoll naͤmlich jedwede verſchiedene
Jmpreſſion, und jedwede verſchiedene materielle
„Jdee ihre eigene Fiber
haben, worinn ſie ihren
„Sitz hat.‟ Eine einfache Fiber ſoll nur Eine ſinnli-
che Modifikation aufnehmen. Die rothe Farbe ſoll
ihre Fiber haben, und dieſe ſoll von der Fiber, die zu
der Jdee von der blauen Farbe gehoͤrt, verſchieden ſeyn.
Eine andere ſoll fuͤr den Ton der Violine, eine andere
fuͤr den Ton der Trompete beſtimmt ſeyn.

Dieß kann nun noch auf eine zweyfache Art beſtim-
met werden.

Sollen ſo viele Fibern vorhanden ſeyn, als es ein-
zelne zuſammengeſetzte Empfindungen
und Jdeen
einzelner Dinge
giebt, davon jede etwas eigenes an
ſich hat? Soll fuͤr jedes einzelne Menſchengeſicht, fuͤr
jedes einzelne gruͤne Blatt, ſobald dieſe Gegenſtaͤnde
und ihre Jmpreſſionen merklich verſchieden ſind, eine
eigene einfache oder zuſammengeſetzte Fiber vorhan-
den ſeyn? eine andere fuͤr die Jdee des Purpurrothen,
und eine andere fuͤr die Jdee des Gelbrothen, und noch

eine
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[255/0285] im Menſchen. genauer zu betrachten Gelegenheit haben werde. Dieß ſind ohne Zweifel Fakta, wodurch die Aſſociation der materiellen Jdeen im Gehirn erlaͤutert wird. Jedoch will ich hier nur zum voraus erinnern, daß, wenn man jene mit dieſer naͤher vergleichet, ſo finde ſich eine ſo weſentliche Verſchiedenheit zwiſchen ihnen, daß es ſelbſt daraus unwahrſcheinlich wird, daß ohne Zuthun der Seele die Jdeenverknuͤpfung in der Phantaſie allein von der Organiſation des Koͤrpers abhangen koͤnne. 4. Dieſem erſten Grundſatze hat Hr. Bonnet einen zweeten zugefuͤgt, den er mit jenem durch ſein ganzes Syſtem verwebet hat, der ſich aber doch wieder heraus- ziehen laͤßt, ohne daß darum das Syſtem ſelbſt aus- einandergehe. „Es ſoll naͤmlich jedwede verſchiedene „Jmpreſſion, und jedwede verſchiedene materielle „Jdee ihre eigene Fiber haben, worinn ſie ihren „Sitz hat.‟ Eine einfache Fiber ſoll nur Eine ſinnli- che Modifikation aufnehmen. Die rothe Farbe ſoll ihre Fiber haben, und dieſe ſoll von der Fiber, die zu der Jdee von der blauen Farbe gehoͤrt, verſchieden ſeyn. Eine andere ſoll fuͤr den Ton der Violine, eine andere fuͤr den Ton der Trompete beſtimmt ſeyn. Dieß kann nun noch auf eine zweyfache Art beſtim- met werden. Sollen ſo viele Fibern vorhanden ſeyn, als es ein- zelne zuſammengeſetzte Empfindungen und Jdeen einzelner Dinge giebt, davon jede etwas eigenes an ſich hat? Soll fuͤr jedes einzelne Menſchengeſicht, fuͤr jedes einzelne gruͤne Blatt, ſobald dieſe Gegenſtaͤnde und ihre Jmpreſſionen merklich verſchieden ſind, eine eigene einfache oder zuſammengeſetzte Fiber vorhan- den ſeyn? eine andere fuͤr die Jdee des Purpurrothen, und eine andere fuͤr die Jdee des Gelbrothen, und noch eine

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Zitationshilfe: Tetens, Johann Nicolas: Philosophische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwickelung. Bd. 2. Leipzig, 1777, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tetens_versuche02_1777/285>, abgerufen am 28.03.2024.