Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696.

Bild:
<< vorherige Seite

Das 9. H. Von der Wollust
Furcht/ als ob der Schmertz dadurch ver-
mehret oder verlängert werden dürffte/ zag-
hafftig und mit zittern zu gebrauchen/ oder
gar von sich zu stossen.
Also wird ein Wol-
lüster ungeduldig/ wenn er durch allerhand Zufäl-
le dahin gebracht wird/ daß er auff der Erden
schlaffen/ Wasser und Brod geniessen/ zu Fusse
gehen muß u. s. w. Also ist ein Wollüstiger
verzagt/ wenn er ein Geschwür sich soll lassen
auffstechen/ einen Zahn ausreissen u. s. w. Er
schreyet/ wenn der Artzt nur sich reget/ und thut/
als wenn er ihn angreiffen wolle. Dieses Laster
fliesset auch aus der Wollust her. Alle unge-
wohnte Bewegung und Berührung unsers Lei-
bes erwecket uns Verdruß. Alle Zufälle/
dabey die Sinnen nicht gekützelt und ver-
zärtelt werden/ sind einen Wollüstigen unge-
wohnet/ wie solten sie ihn dann nicht verdrießlich
und ungeduldig machen/ und was solte ihn ver-
hindern/ daß er nicht darüber murren und sich
beklagen solte/ ihm/ der alles zu sagen gewohnt
ist/ wie es ihm umb das Hertz ist. Ja wie solte
er nicht zittern/ wenn er die Lancette eines
Barbierers siehet/ und die Gedancken von den
Schmertzen seines Geschwüres angefüllet hat/
der doch bey gefunden Tagen schreyet/ wenn man
ihn ein wenig harte anrühret/ und leichte erachten
kan/ daß bey Auffschneidung seines Geschwüres
eine Bewegung in seinem allzuweichen Gehirne

ent-

Das 9. H. Von der Wolluſt
Furcht/ als ob der Schmertz dadurch ver-
mehret oder verlaͤngert werden duͤrffte/ zag-
hafftig und mit zittern zu gebrauchen/ oder
gar von ſich zu ſtoſſen.
Alſo wird ein Wol-
luͤſter ungeduldig/ wenn er durch allerhand Zufaͤl-
le dahin gebracht wird/ daß er auff der Erden
ſchlaffen/ Waſſer und Brod genieſſen/ zu Fuſſe
gehen muß u. ſ. w. Alſo iſt ein Wolluͤſtiger
verzagt/ wenn er ein Geſchwuͤr ſich ſoll laſſen
auffſtechen/ einen Zahn ausreiſſen u. ſ. w. Er
ſchreyet/ wenn der Artzt nur ſich reget/ und thut/
als wenn er ihn angreiffen wolle. Dieſes Laſter
flieſſet auch aus der Wolluſt her. Alle unge-
wohnte Bewegung und Beruͤhrung unſers Lei-
bes erwecket uns Verdruß. Alle Zufaͤlle/
dabey die Sinnen nicht gekuͤtzelt und ver-
zaͤrtelt werden/ ſind einen Wolluͤſtigen unge-
wohnet/ wie ſolten ſie ihn dann nicht verdrießlich
und ungeduldig machen/ und was ſolte ihn ver-
hindern/ daß er nicht daruͤber murren und ſich
beklagen ſolte/ ihm/ der alles zu ſagen gewohnt
iſt/ wie es ihm umb das Hertz iſt. Ja wie ſolte
er nicht zittern/ wenn er die Lancette eines
Barbierers ſiehet/ und die Gedancken von den
Schmertzen ſeines Geſchwuͤres angefuͤllet hat/
der doch bey gefunden Tagen ſchreyet/ wenn man
ihn ein wenig harte anruͤhret/ und leichte erachten
kan/ daß bey Auffſchneidung ſeines Geſchwuͤres
eine Bewegung in ſeinem allzuweichen Gehirne

ent-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0228" n="216"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Das 9. H. Von der Wollu&#x017F;t</hi></fw><lb/><hi rendition="#fr">Furcht/ als ob der Schmertz dadurch ver-<lb/>
mehret oder verla&#x0364;ngert werden du&#x0364;rffte/ zag-<lb/>
hafftig und mit zittern zu gebrauchen/ oder<lb/>
gar von &#x017F;ich zu &#x017F;to&#x017F;&#x017F;en.</hi> Al&#x017F;o wird ein Wol-<lb/>
lu&#x0364;&#x017F;ter ungeduldig/ wenn er durch allerhand Zufa&#x0364;l-<lb/>
le dahin gebracht wird/ daß er auff der Erden<lb/>
&#x017F;chlaffen/ Wa&#x017F;&#x017F;er und Brod genie&#x017F;&#x017F;en/ zu Fu&#x017F;&#x017F;e<lb/>
gehen muß u. &#x017F;. w. Al&#x017F;o i&#x017F;t ein Wollu&#x0364;&#x017F;tiger<lb/>
verzagt/ wenn er ein Ge&#x017F;chwu&#x0364;r &#x017F;ich &#x017F;oll la&#x017F;&#x017F;en<lb/>
auff&#x017F;techen/ einen Zahn ausrei&#x017F;&#x017F;en u. &#x017F;. w. Er<lb/>
&#x017F;chreyet/ wenn der Artzt nur &#x017F;ich reget/ und thut/<lb/>
als wenn er ihn angreiffen wolle. Die&#x017F;es La&#x017F;ter<lb/>
flie&#x017F;&#x017F;et auch aus der Wollu&#x017F;t her. Alle unge-<lb/>
wohnte Bewegung und Beru&#x0364;hrung un&#x017F;ers Lei-<lb/>
bes erwecket uns Verdruß. Alle Zufa&#x0364;lle/<lb/>
dabey die Sinnen nicht geku&#x0364;tzelt und ver-<lb/>
za&#x0364;rtelt werden/ &#x017F;ind einen Wollu&#x0364;&#x017F;tigen unge-<lb/>
wohnet/ wie &#x017F;olten &#x017F;ie ihn dann nicht verdrießlich<lb/>
und ungeduldig machen/ und was &#x017F;olte ihn ver-<lb/>
hindern/ daß er nicht daru&#x0364;ber murren und &#x017F;ich<lb/>
beklagen &#x017F;olte/ ihm/ der alles zu &#x017F;agen gewohnt<lb/>
i&#x017F;t/ wie es ihm umb das Hertz i&#x017F;t. Ja wie &#x017F;olte<lb/>
er nicht zittern/ wenn er die <hi rendition="#aq">Lancette</hi> eines<lb/>
Barbierers &#x017F;iehet/ und die Gedancken von den<lb/>
Schmertzen &#x017F;eines Ge&#x017F;chwu&#x0364;res angefu&#x0364;llet hat/<lb/>
der doch bey gefunden Tagen &#x017F;chreyet/ wenn man<lb/>
ihn ein wenig harte anru&#x0364;hret/ und leichte erachten<lb/>
kan/ daß bey Auff&#x017F;chneidung &#x017F;eines Ge&#x017F;chwu&#x0364;res<lb/>
eine Bewegung in &#x017F;einem allzuweichen Gehirne<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ent-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[216/0228] Das 9. H. Von der Wolluſt Furcht/ als ob der Schmertz dadurch ver- mehret oder verlaͤngert werden duͤrffte/ zag- hafftig und mit zittern zu gebrauchen/ oder gar von ſich zu ſtoſſen. Alſo wird ein Wol- luͤſter ungeduldig/ wenn er durch allerhand Zufaͤl- le dahin gebracht wird/ daß er auff der Erden ſchlaffen/ Waſſer und Brod genieſſen/ zu Fuſſe gehen muß u. ſ. w. Alſo iſt ein Wolluͤſtiger verzagt/ wenn er ein Geſchwuͤr ſich ſoll laſſen auffſtechen/ einen Zahn ausreiſſen u. ſ. w. Er ſchreyet/ wenn der Artzt nur ſich reget/ und thut/ als wenn er ihn angreiffen wolle. Dieſes Laſter flieſſet auch aus der Wolluſt her. Alle unge- wohnte Bewegung und Beruͤhrung unſers Lei- bes erwecket uns Verdruß. Alle Zufaͤlle/ dabey die Sinnen nicht gekuͤtzelt und ver- zaͤrtelt werden/ ſind einen Wolluͤſtigen unge- wohnet/ wie ſolten ſie ihn dann nicht verdrießlich und ungeduldig machen/ und was ſolte ihn ver- hindern/ daß er nicht daruͤber murren und ſich beklagen ſolte/ ihm/ der alles zu ſagen gewohnt iſt/ wie es ihm umb das Hertz iſt. Ja wie ſolte er nicht zittern/ wenn er die Lancette eines Barbierers ſiehet/ und die Gedancken von den Schmertzen ſeines Geſchwuͤres angefuͤllet hat/ der doch bey gefunden Tagen ſchreyet/ wenn man ihn ein wenig harte anruͤhret/ und leichte erachten kan/ daß bey Auffſchneidung ſeines Geſchwuͤres eine Bewegung in ſeinem allzuweichen Gehirne ent-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696/228
Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696/228>, abgerufen am 18.04.2024.