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Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696.

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Das 10. H. von dem Ehrgeitz
beyde bedienen/ ihr Absehen zu erhalten. Ein
Tugendhaffter braucht eine freundliche Leut-
seligkeit
und Bescheidenheit gegen jederman/
und wenn er sich schon nicht schlimmer hält als
andere/ so ziehet er sich doch auch andern nicht
vor/ sondern beobachtet allenthalben die Gleich-
heit Menschlicher Natur als das beste Band
des Friedens. Aber ein Ehrgeitziger hat diese
maxime, die man ihm auch zum öfftern andern
zur Lehre geben höret: Wer auff sich selbst
nichts hält/ auff den halten andere Leute
wieder nichts.
Man muß/ spricht er/ sich nicht
mit allen Leuten gemein machen. Man muß sei-
nen Character in acht nehmen. Es muß gleich-
wohl ein Unterscheid unter den Leuten seyn. Lie-
derliche Gemüther oder Geldgeitzige machen sich
mit andern Leuten gemein: und die all zu grosse
Gemeinmachung gebieret nothwendig eine
Verachtung.

26. Aber O eitele Schlüsse! Elender
Mensch! wer hat dich beredet/ daß andere Leute
dich nach deinen Augen schätzen und nicht die
ihrigen brauchen werden. Kanstu kein Mittel
unter stoltz und gemein machen/ unter der Lie-
derlichkeit der Wollüstigen oder Sclaverey der
Geldgeitzigen und der tugendhafften Bescheiden-
heit machen. Gemeinmachung bringet Ver-
achtung/ aber Einbildung bringet Haß. Je
vornehmer der Character deines Standes ist/
jemehr wird derselbe durch Bescheidenheit und

Leut-

Das 10. H. von dem Ehrgeitz
beyde bedienen/ ihr Abſehen zu erhalten. Ein
Tugendhaffter braucht eine freundliche Leut-
ſeligkeit
und Beſcheidenheit gegen jederman/
und wenn er ſich ſchon nicht ſchlimmer haͤlt als
andere/ ſo ziehet er ſich doch auch andern nicht
vor/ ſondern beobachtet allenthalben die Gleich-
heit Menſchlicher Natur als das beſte Band
des Friedens. Aber ein Ehrgeitziger hat dieſe
maxime, die man ihm auch zum oͤfftern andern
zur Lehre geben hoͤret: Wer auff ſich ſelbſt
nichts haͤlt/ auff den halten andere Leute
wieder nichts.
Man muß/ ſpricht er/ ſich nicht
mit allen Leuten gemein machen. Man muß ſei-
nen Character in acht nehmen. Es muß gleich-
wohl ein Unterſcheid unter den Leuten ſeyn. Lie-
derliche Gemuͤther oder Geldgeitzige machen ſich
mit andern Leuten gemein: und die all zu groſſe
Gemeinmachung gebieret nothwendig eine
Verachtung.

26. Aber O eitele Schluͤſſe! Elender
Menſch! wer hat dich beredet/ daß andere Leute
dich nach deinen Augen ſchaͤtzen und nicht die
ihrigen brauchen werden. Kanſtu kein Mittel
unter ſtoltz und gemein machen/ unter der Lie-
derlichkeit der Wolluͤſtigen oder Sclaverey der
Geldgeitzigen und der tugendhafften Beſcheiden-
heit machen. Gemeinmachung bringet Ver-
achtung/ aber Einbildung bringet Haß. Je
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[236/0248] Das 10. H. von dem Ehrgeitz beyde bedienen/ ihr Abſehen zu erhalten. Ein Tugendhaffter braucht eine freundliche Leut- ſeligkeit und Beſcheidenheit gegen jederman/ und wenn er ſich ſchon nicht ſchlimmer haͤlt als andere/ ſo ziehet er ſich doch auch andern nicht vor/ ſondern beobachtet allenthalben die Gleich- heit Menſchlicher Natur als das beſte Band des Friedens. Aber ein Ehrgeitziger hat dieſe maxime, die man ihm auch zum oͤfftern andern zur Lehre geben hoͤret: Wer auff ſich ſelbſt nichts haͤlt/ auff den halten andere Leute wieder nichts. Man muß/ ſpricht er/ ſich nicht mit allen Leuten gemein machen. Man muß ſei- nen Character in acht nehmen. Es muß gleich- wohl ein Unterſcheid unter den Leuten ſeyn. Lie- derliche Gemuͤther oder Geldgeitzige machen ſich mit andern Leuten gemein: und die all zu groſſe Gemeinmachung gebieret nothwendig eine Verachtung. 26. Aber O eitele Schluͤſſe! Elender Menſch! wer hat dich beredet/ daß andere Leute dich nach deinen Augen ſchaͤtzen und nicht die ihrigen brauchen werden. Kanſtu kein Mittel unter ſtoltz und gemein machen/ unter der Lie- derlichkeit der Wolluͤſtigen oder Sclaverey der Geldgeitzigen und der tugendhafften Beſcheiden- heit machen. Gemeinmachung bringet Ver- achtung/ aber Einbildung bringet Haß. Je vornehmer der Character deines Standes iſt/ jemehr wird derſelbe durch Beſcheidenheit und Leut-

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696/248>, abgerufen am 29.03.2024.