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Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696.

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des allgemeinen Unglücks.
menschliche Verstand nicht für gut erken-
net hat/ sondern allerdings/ wenn Jhn der
Wille nur darumb zu rathe ziehen wolte/
für böse erkennen würde/ zuvereinigen/ und
in dieser Vereinigung sich immer zuverän-
dern.

39. Denn wie die vernünfftige Liebe allezeit be-
ständig ist/ also ist die unvernünfftige Liebe allezeit
ihrem Wesen nach veränderlich und unbestän-
dig/
indem sie ordentlich durch den genuß desjeni-
gen was sie zuvor noch so embsig verlanget hat/ ei-
nen Eckel überkommet/ ob sie schon überhaupt
begehret/ daß ihr Vergnügen/ das sie in dieser
Veränderung/ oder in denen Dingen/ darauff
fie fället/ suchet/ ewig dauren möge.

40. Es ist zwar der gemeinen Meynung der
Philosophen zuwieder/ daß ich gesagt: Die un-
vernünfftige Liebe verlange sich mit denen Din-
gen zu vereinigen/ die der menschliche Ver-
stand nicht für gut erkant/
indem sie der Mey-
nung sind/ daß der Wille bey der unvernünfftigen
Liebe ja so wohl als bey der vernünfftigen nichts
anders verlange/ als was der Verstand zu vor-
her für gut angesehen/ und daß disfalls die
Schuld dem Verstande zuzuschreiben sey. Wie
wir aber diese Meynung nur itzo bestritten; Al-
so haben wir auch hierdurch einen von den vor-
nehmsten Unterscheiden zwischen vernünfftiger
und unvernünfftiger Liebe gefunden.

41. Weil
B 4

des allgemeinen Ungluͤcks.
menſchliche Verſtand nicht fuͤr gut erken-
net hat/ ſondern allerdings/ wenn Jhn der
Wille nur darumb zu rathe ziehen wolte/
fuͤr boͤſe erkennen wuͤrde/ zuvereinigen/ und
in dieſer Vereinigung ſich immer zuveraͤn-
dern.

39. Deñ wie die vernuͤnfftige Liebe allezeit be-
ſtaͤndig iſt/ alſo iſt die unvernuͤnfftige Liebe allezeit
ihrem Weſen nach veraͤnderlich und unbeſtaͤn-
dig/
indem ſie ordentlich durch den genuß desjeni-
gen was ſie zuvoꝛ noch ſo embſig verlanget hat/ ei-
nen Eckel uͤberkommet/ ob ſie ſchon uͤberhaupt
begehret/ daß ihr Vergnuͤgen/ das ſie in dieſer
Veraͤnderung/ oder in denen Dingen/ darauff
fie faͤllet/ ſuchet/ ewig dauren moͤge.

40. Es iſt zwar der gemeinen Meynung der
Philoſophen zuwieder/ daß ich geſagt: Die un-
vernuͤnfftige Liebe verlange ſich mit denen Din-
gen zu vereinigen/ die der menſchliche Ver-
ſtand nicht fuͤr gut erkant/
indem ſie der Mey-
nung ſind/ daß der Wille bey der unvernuͤnfftigen
Liebe ja ſo wohl als bey der vernuͤnfftigen nichts
anders verlange/ als was der Verſtand zu vor-
her fuͤr gut angeſehen/ und daß disfalls die
Schuld dem Verſtande zuzuſchreiben ſey. Wie
wir aber dieſe Meynung nur itzo beſtritten; Al-
ſo haben wir auch hierdurch einen von den vor-
nehmſten Unterſcheiden zwiſchen vernuͤnfftiger
und unvernuͤnfftiger Liebe gefunden.

41. Weil
B 4
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[23/0035] des allgemeinen Ungluͤcks. menſchliche Verſtand nicht fuͤr gut erken- net hat/ ſondern allerdings/ wenn Jhn der Wille nur darumb zu rathe ziehen wolte/ fuͤr boͤſe erkennen wuͤrde/ zuvereinigen/ und in dieſer Vereinigung ſich immer zuveraͤn- dern. 39. Deñ wie die vernuͤnfftige Liebe allezeit be- ſtaͤndig iſt/ alſo iſt die unvernuͤnfftige Liebe allezeit ihrem Weſen nach veraͤnderlich und unbeſtaͤn- dig/ indem ſie ordentlich durch den genuß desjeni- gen was ſie zuvoꝛ noch ſo embſig verlanget hat/ ei- nen Eckel uͤberkommet/ ob ſie ſchon uͤberhaupt begehret/ daß ihr Vergnuͤgen/ das ſie in dieſer Veraͤnderung/ oder in denen Dingen/ darauff fie faͤllet/ ſuchet/ ewig dauren moͤge. 40. Es iſt zwar der gemeinen Meynung der Philoſophen zuwieder/ daß ich geſagt: Die un- vernuͤnfftige Liebe verlange ſich mit denen Din- gen zu vereinigen/ die der menſchliche Ver- ſtand nicht fuͤr gut erkant/ indem ſie der Mey- nung ſind/ daß der Wille bey der unvernuͤnfftigen Liebe ja ſo wohl als bey der vernuͤnfftigen nichts anders verlange/ als was der Verſtand zu vor- her fuͤr gut angeſehen/ und daß disfalls die Schuld dem Verſtande zuzuſchreiben ſey. Wie wir aber dieſe Meynung nur itzo beſtritten; Al- ſo haben wir auch hierdurch einen von den vor- nehmſten Unterſcheiden zwiſchen vernuͤnfftiger und unvernuͤnfftiger Liebe gefunden. 41. Weil B 4

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696/35>, abgerufen am 29.03.2024.