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Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696.

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des allgemeinen Unglücks.
hen läßt. Siehestu nicht täglich/ daß ein Mensch
den andern durch allerhand Liebes Bezeugungen
sich zum Freunde zu machen trachtet/ und doch
der andere diesen Zug nicht folget/ sondern eine
Kaltsinnigkeit/ wo nicht gar einen Haß gegen
den andern bey sich empfindet? Warum? weil
er keine gleiche Neigung in sich heget. Wäre
in denen Gemüthern der Menschen/ ja der klei-
nen Kinder nicht eine starcke Wurtzel des Un-
glücks und der unvernünfftigen Liebe/ so könten
Jhnen die bösen Exempel nichts anhaben. Ja
wo die Unart auch bey denen Kindern starck her-
für käumet/ da will die gute Zucht nicht aller-
dings zulänglich seyn. Und warumb ist dieses
ein Theil des gemeinen Unglücks: daß hun-
dert gute Exempel kaum so starck die Men-
schen ziehen als ein böses/
ja daß die Men-
schen gute Exempel nicht leiden können/ sondern
unter allerhand praetext dieselben auf das ärg-
ste verfolgen? Es ist falsch/ daß das Vorurtheil
der Ungedult bloß von der Verführung herrüh-
re. Die Kinder haben ordentlich Lust zu süssen
und eckelen Sachen/ auch wol nach Gelegenheit
zu starcken Geträncke/ daß sie aber in der zarten
Jugend etwas für den sauern eckelt/ ist die Ge-
wohnheit der Mutter-Milch Ursache dran/ und
daß sie zum herben und bittern keine Lust haben/
eine Anzeigung der Verderbnüß/ weil das Bit-
tere insgemein gesund und gut ist. Von dem
Kitzel wäre es zu weitläufftig/ desselben Natur

und
C

des allgemeinen Ungluͤcks.
hen laͤßt. Sieheſtu nicht taͤglich/ daß ein Menſch
den andern durch allerhand Liebes Bezeugungen
ſich zum Freunde zu machen trachtet/ und doch
der andere dieſen Zug nicht folget/ ſondern eine
Kaltſinnigkeit/ wo nicht gar einen Haß gegen
den andern bey ſich empfindet? Warum? weil
er keine gleiche Neigung in ſich heget. Waͤre
in denen Gemuͤthern der Menſchen/ ja der klei-
nen Kinder nicht eine ſtarcke Wurtzel des Un-
gluͤcks und der unvernuͤnfftigen Liebe/ ſo koͤnten
Jhnen die boͤſen Exempel nichts anhaben. Ja
wo die Unart auch bey denen Kindern ſtarck her-
fuͤr kaͤumet/ da will die gute Zucht nicht aller-
dings zulaͤnglich ſeyn. Und warumb iſt dieſes
ein Theil des gemeinen Ungluͤcks: daß hun-
dert gute Exempel kaum ſo ſtarck die Men-
ſchen ziehen als ein boͤſes/
ja daß die Men-
ſchen gute Exempel nicht leiden koͤnnen/ ſondern
unter allerhand prætext dieſelben auf das aͤrg-
ſte verfolgen? Es iſt falſch/ daß das Vorurtheil
der Ungedult bloß von der Verfuͤhrung herruͤh-
re. Die Kinder haben ordentlich Luſt zu ſuͤſſen
und eckelen Sachen/ auch wol nach Gelegenheit
zu ſtarcken Getraͤncke/ daß ſie aber in der zarten
Jugend etwas fuͤr den ſauern eckelt/ iſt die Ge-
wohnheit der Mutter-Milch Urſache dran/ und
daß ſie zum herben und bittern keine Luſt haben/
eine Anzeigung der Verderbnuͤß/ weil das Bit-
tere insgemein geſund und gut iſt. Von dem
Kitzel waͤre es zu weitlaͤufftig/ deſſelben Natur

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C
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[33/0045] des allgemeinen Ungluͤcks. hen laͤßt. Sieheſtu nicht taͤglich/ daß ein Menſch den andern durch allerhand Liebes Bezeugungen ſich zum Freunde zu machen trachtet/ und doch der andere dieſen Zug nicht folget/ ſondern eine Kaltſinnigkeit/ wo nicht gar einen Haß gegen den andern bey ſich empfindet? Warum? weil er keine gleiche Neigung in ſich heget. Waͤre in denen Gemuͤthern der Menſchen/ ja der klei- nen Kinder nicht eine ſtarcke Wurtzel des Un- gluͤcks und der unvernuͤnfftigen Liebe/ ſo koͤnten Jhnen die boͤſen Exempel nichts anhaben. Ja wo die Unart auch bey denen Kindern ſtarck her- fuͤr kaͤumet/ da will die gute Zucht nicht aller- dings zulaͤnglich ſeyn. Und warumb iſt dieſes ein Theil des gemeinen Ungluͤcks: daß hun- dert gute Exempel kaum ſo ſtarck die Men- ſchen ziehen als ein boͤſes/ ja daß die Men- ſchen gute Exempel nicht leiden koͤnnen/ ſondern unter allerhand prætext dieſelben auf das aͤrg- ſte verfolgen? Es iſt falſch/ daß das Vorurtheil der Ungedult bloß von der Verfuͤhrung herruͤh- re. Die Kinder haben ordentlich Luſt zu ſuͤſſen und eckelen Sachen/ auch wol nach Gelegenheit zu ſtarcken Getraͤncke/ daß ſie aber in der zarten Jugend etwas fuͤr den ſauern eckelt/ iſt die Ge- wohnheit der Mutter-Milch Urſache dran/ und daß ſie zum herben und bittern keine Luſt haben/ eine Anzeigung der Verderbnuͤß/ weil das Bit- tere insgemein geſund und gut iſt. Von dem Kitzel waͤre es zu weitlaͤufftig/ deſſelben Natur und C

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696/45>, abgerufen am 24.04.2024.