Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

Bild:
<< vorherige Seite
Glückseeligkeit des Menschen.
97.

Das Letzte ist vielmehr ein Ubel als ein
Gut: Denn wenn wir eine falsche Tugend besi-
tzen/ haben wir gewiß keine wahre Gemüthts-Ru-
he: und die Leute die uns deswegen hoch halten/
müssen ja so blind und elend/ oder elender seyn als
wir selber/ und diese Hochhaltung muß uns noch
mehr in unserer übelen Meynung und Lebens-Art
bestärcken.

98.

Haben wir aber neben der wahren Tu-
gend grosse Macht und Gewalt/ deswegen
uns auch die Leute Ehre erweisen; so ist abermahl
die Ehre ein Zierrah der höchsten Glückseelig-
keit/ wenn ein solcher geehrter Mann diese Macht
anwendet/ denen die die Gemüths-Ruhe besitzen
oder darnach trachten/ desto mehr Gutes zu thun.

99.

Aber es ist auch diese Ehre kein wesent-
liches Stück/
weil dergleichen Gewalt aber-
mahls unter die nöthigen und überflüßigen
meuschlichen Güter gehöret/ und in Mangel der-
selben wir niemahlen Mangel haben/ andern
Leuten unendliche Gutthaten zu erweisen.

100

Und also kanst du leichtlich absehen/ daß
der Mangel der äusserlichen Ehre/ das ist
der Macht und Ansehens wiederumb kein Ubel
sey/ weil der Mangel eines Uberflußes niemahls
was böses seyn kan.

101.

Aber was wollen wir nun mit der Un-
ehre
machen? Jch muß bekennen/ es ist zwi-
schen derselben und dem Mangel der Ehre ein
grosser Unterscheid. Gleichwohl werde ich nichts

un-
G 2
Gluͤckſeeligkeit des Menſchen.
97.

Das Letzte iſt vielmehr ein Ubel als ein
Gut: Denn wenn wir eine falſche Tugend beſi-
tzen/ haben wir gewiß keine wahre Gemuͤthts-Ru-
he: und die Leute die uns deswegen hoch halten/
muͤſſen ja ſo blind und elend/ oder elender ſeyn als
wir ſelber/ und dieſe Hochhaltung muß uns noch
mehr in unſerer uͤbelen Meynung und Lebens-Art
beſtaͤrcken.

98.

Haben wir aber neben der wahren Tu-
gend groſſe Macht und Gewalt/ deswegen
uns auch die Leute Ehre erweiſen; ſo iſt abermahl
die Ehre ein Zierrah der hoͤchſten Gluͤckſeelig-
keit/ wenn ein ſolcher geehrter Mann dieſe Macht
anwendet/ denen die die Gemuͤths-Ruhe beſitzen
oder darnach trachten/ deſto mehr Gutes zu thun.

99.

Aber es iſt auch dieſe Ehre kein weſent-
liches Stuͤck/
weil dergleichen Gewalt aber-
mahls unter die noͤthigen und uͤberfluͤßigen
meuſchlichen Guͤter gehoͤret/ und in Mangel der-
ſelben wir niemahlen Mangel haben/ andern
Leuten unendliche Gutthaten zu erweiſen.

100

Und alſo kanſt du leichtlich abſehen/ daß
der Mangel der aͤuſſerlichen Ehre/ das iſt
der Macht und Anſehens wiederumb kein Ubel
ſey/ weil der Mangel eines Uberflußes niemahls
was boͤſes ſeyn kan.

101.

Aber was wollen wir nun mit der Un-
ehre
machen? Jch muß bekennen/ es iſt zwi-
ſchen derſelben und dem Mangel der Ehre ein
groſſer Unterſcheid. Gleichwohl werde ich nichts

un-
G 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0131" n="99"/>
        <fw place="top" type="header">Glu&#x0364;ck&#x017F;eeligkeit des Men&#x017F;chen.</fw><lb/>
        <div n="2">
          <head>97.</head>
          <p>Das Letzte i&#x017F;t vielmehr ein <hi rendition="#fr">Ubel</hi> als ein<lb/><hi rendition="#fr">Gut:</hi> Denn wenn wir eine fal&#x017F;che Tugend be&#x017F;i-<lb/>
tzen/ haben wir gewiß keine wahre Gemu&#x0364;thts-Ru-<lb/>
he: und die Leute die uns deswegen hoch halten/<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en ja &#x017F;o blind und elend/ oder elender &#x017F;eyn als<lb/>
wir &#x017F;elber/ und die&#x017F;e Hochhaltung muß uns noch<lb/>
mehr in un&#x017F;erer u&#x0364;belen Meynung und Lebens-Art<lb/>
be&#x017F;ta&#x0364;rcken.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>98.</head>
          <p>Haben wir aber neben der wahren Tu-<lb/>
gend <hi rendition="#fr">gro&#x017F;&#x017F;e Macht und Gewalt/</hi> deswegen<lb/>
uns auch die Leute Ehre erwei&#x017F;en; &#x017F;o i&#x017F;t abermahl<lb/>
die Ehre <hi rendition="#fr">ein Zierrah</hi> der ho&#x0364;ch&#x017F;ten Glu&#x0364;ck&#x017F;eelig-<lb/>
keit/ wenn ein &#x017F;olcher geehrter Mann die&#x017F;e Macht<lb/>
anwendet/ denen die die Gemu&#x0364;ths-Ruhe be&#x017F;itzen<lb/>
oder darnach trachten/ de&#x017F;to mehr Gutes zu thun.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>99.</head>
          <p>Aber es i&#x017F;t auch die&#x017F;e Ehre <hi rendition="#fr">kein we&#x017F;ent-<lb/>
liches Stu&#x0364;ck/</hi> weil dergleichen Gewalt aber-<lb/>
mahls unter die no&#x0364;thigen und u&#x0364;berflu&#x0364;ßigen<lb/>
meu&#x017F;chlichen Gu&#x0364;ter geho&#x0364;ret/ und in Mangel der-<lb/>
&#x017F;elben wir niemahlen Mangel haben/ andern<lb/>
Leuten unendliche Gutthaten zu erwei&#x017F;en.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>100</head>
          <p>Und al&#x017F;o kan&#x017F;t du leichtlich ab&#x017F;ehen/ daß<lb/><hi rendition="#fr">der Mangel der a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;erlichen Ehre/</hi> das i&#x017F;t<lb/>
der Macht und An&#x017F;ehens wiederumb kein Ubel<lb/>
&#x017F;ey/ weil der Mangel eines Uberflußes niemahls<lb/>
was bo&#x0364;&#x017F;es &#x017F;eyn kan.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>101.</head>
          <p>Aber was wollen wir nun mit <hi rendition="#fr">der Un-<lb/>
ehre</hi> machen? Jch muß bekennen/ es i&#x017F;t zwi-<lb/>
&#x017F;chen der&#x017F;elben und dem Mangel der Ehre ein<lb/>
gro&#x017F;&#x017F;er Unter&#x017F;cheid. Gleichwohl werde ich nichts<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">G 2</fw><fw place="bottom" type="catch">un-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[99/0131] Gluͤckſeeligkeit des Menſchen. 97. Das Letzte iſt vielmehr ein Ubel als ein Gut: Denn wenn wir eine falſche Tugend beſi- tzen/ haben wir gewiß keine wahre Gemuͤthts-Ru- he: und die Leute die uns deswegen hoch halten/ muͤſſen ja ſo blind und elend/ oder elender ſeyn als wir ſelber/ und dieſe Hochhaltung muß uns noch mehr in unſerer uͤbelen Meynung und Lebens-Art beſtaͤrcken. 98. Haben wir aber neben der wahren Tu- gend groſſe Macht und Gewalt/ deswegen uns auch die Leute Ehre erweiſen; ſo iſt abermahl die Ehre ein Zierrah der hoͤchſten Gluͤckſeelig- keit/ wenn ein ſolcher geehrter Mann dieſe Macht anwendet/ denen die die Gemuͤths-Ruhe beſitzen oder darnach trachten/ deſto mehr Gutes zu thun. 99. Aber es iſt auch dieſe Ehre kein weſent- liches Stuͤck/ weil dergleichen Gewalt aber- mahls unter die noͤthigen und uͤberfluͤßigen meuſchlichen Guͤter gehoͤret/ und in Mangel der- ſelben wir niemahlen Mangel haben/ andern Leuten unendliche Gutthaten zu erweiſen. 100 Und alſo kanſt du leichtlich abſehen/ daß der Mangel der aͤuſſerlichen Ehre/ das iſt der Macht und Anſehens wiederumb kein Ubel ſey/ weil der Mangel eines Uberflußes niemahls was boͤſes ſeyn kan. 101. Aber was wollen wir nun mit der Un- ehre machen? Jch muß bekennen/ es iſt zwi- ſchen derſelben und dem Mangel der Ehre ein groſſer Unterſcheid. Gleichwohl werde ich nichts un- G 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/131
Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/131>, abgerufen am 28.03.2024.