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Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

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Glückseeligkeit des Menschen.
120.

Aber so serne die Kranckheiten
schmertzhafft
seyn/ und die nerven mit härte an-
greiffen/ müssen wir behutsam gehen/ daß wir
nicht eines Theils dafür halten/ alswenn auch
diese Kranckheit das Gemüth eines Menschen
gar nichts angingen/ anderstheils aber nicht
auff die andere Seite verfallen/ als wenn die-
selbigen einen weisen Mann elend machten.

121.

Es ist wohl an dem/ daß ein Mensch ei-
ne sehr starcke Phantasie haben müsse/ wenn er sich
einbilden wolte/ daß ein weiser Mann/ wenn er
z. e. an dem Podagra, an Stein/ an der Gicht
starck darnieder liegt/ und grosse Schmertzen da-
von empfindet/ in seinem Gemüthe eben so ruhig
sey/ als wenn er in einem Rosen-Garten
sässe/
und daß/ wenn gleich sein Halß schrie/
sein Gemüthe doch gantz freudig sey. Wir ha-
ben gesagt/ daß das Gemüthe den Gedancken des
Menschen seyn; und auch bey einem weisen
Mann/ wenn gleich sein Gemüthe den Leib be-
herrschet/ dennoch wegen der stetswehrenden
Vereinigung der Seelen mit dem Leibe nicht alle
Empfindligkeit der Seelen von dem Leiden des
Leibes auffgehoben werden. Und weil es dem-
nach bey dieser Bewandniß nicht anders zuge-
hen kan/ als daß ein weiser Mann Zeit wehrenden
seinen Schreyen an den Schmertzen gedencken
muß; so kan es auch nicht fehlen/ es müsse zu die-
ser Zeit sein Gemüthe so ruhig nicht seyn als son-
sten. Jn diesen Ansehen haben wir die Gesund-

heit
Gluͤckſeeligkeit des Menſchen.
120.

Aber ſo ſerne die Kranckheiten
ſchmertzhafft
ſeyn/ und die nerven mit haͤrte an-
greiffen/ muͤſſen wir behutſam gehen/ daß wir
nicht eines Theils dafuͤr halten/ alswenn auch
dieſe Kranckheit das Gemuͤth eines Menſchen
gar nichts angingen/ anderstheils aber nicht
auff die andere Seite verfallen/ als wenn die-
ſelbigen einen weiſen Mann elend machten.

121.

Es iſt wohl an dem/ daß ein Menſch ei-
ne ſehr ſtarcke Phantaſie haben muͤſſe/ weñ er ſich
einbilden wolte/ daß ein weiſer Mann/ wenn er
z. e. an dem Podagra, an Stein/ an der Gicht
ſtarck darnieder liegt/ und groſſe Schmertzen da-
von empfindet/ in ſeinem Gemuͤthe eben ſo ruhig
ſey/ als wenn er in einem Roſen-Garten
ſaͤſſe/
und daß/ wenn gleich ſein Halß ſchrie/
ſein Gemuͤthe doch gantz freudig ſey. Wir ha-
ben geſagt/ daß das Gemuͤthe den Gedancken des
Menſchen ſeyn; und auch bey einem weiſen
Mann/ wenn gleich ſein Gemuͤthe den Leib be-
herrſchet/ dennoch wegen der ſtetswehrenden
Vereinigung der Seelen mit dem Leibe nicht alle
Empfindligkeit der Seelen von dem Leiden des
Leibes auffgehoben werden. Und weil es dem-
nach bey dieſer Bewandniß nicht anders zuge-
hen kan/ als daß ein weiſer Mann Zeit wehrenden
ſeinen Schreyen an den Schmertzen gedencken
muß; ſo kan es auch nicht fehlen/ es muͤſſe zu die-
ſer Zeit ſein Gemuͤthe ſo ruhig nicht ſeyn als ſon-
ſten. Jn dieſen Anſehen haben wir die Geſund-

heit
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[109/0141] Gluͤckſeeligkeit des Menſchen. 120. Aber ſo ſerne die Kranckheiten ſchmertzhafft ſeyn/ und die nerven mit haͤrte an- greiffen/ muͤſſen wir behutſam gehen/ daß wir nicht eines Theils dafuͤr halten/ alswenn auch dieſe Kranckheit das Gemuͤth eines Menſchen gar nichts angingen/ anderstheils aber nicht auff die andere Seite verfallen/ als wenn die- ſelbigen einen weiſen Mann elend machten. 121. Es iſt wohl an dem/ daß ein Menſch ei- ne ſehr ſtarcke Phantaſie haben muͤſſe/ weñ er ſich einbilden wolte/ daß ein weiſer Mann/ wenn er z. e. an dem Podagra, an Stein/ an der Gicht ſtarck darnieder liegt/ und groſſe Schmertzen da- von empfindet/ in ſeinem Gemuͤthe eben ſo ruhig ſey/ als wenn er in einem Roſen-Garten ſaͤſſe/ und daß/ wenn gleich ſein Halß ſchrie/ ſein Gemuͤthe doch gantz freudig ſey. Wir ha- ben geſagt/ daß das Gemuͤthe den Gedancken des Menſchen ſeyn; und auch bey einem weiſen Mann/ wenn gleich ſein Gemuͤthe den Leib be- herrſchet/ dennoch wegen der ſtetswehrenden Vereinigung der Seelen mit dem Leibe nicht alle Empfindligkeit der Seelen von dem Leiden des Leibes auffgehoben werden. Und weil es dem- nach bey dieſer Bewandniß nicht anders zuge- hen kan/ als daß ein weiſer Mann Zeit wehrenden ſeinen Schreyen an den Schmertzen gedencken muß; ſo kan es auch nicht fehlen/ es muͤſſe zu die- ſer Zeit ſein Gemuͤthe ſo ruhig nicht ſeyn als ſon- ſten. Jn dieſen Anſehen haben wir die Geſund- heit

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/141>, abgerufen am 28.03.2024.