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Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

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Ursprung aller menschl. Glückseel.
müsse/ welches doch sehr unförmlich und bey nahe
gottloß klingen würde.

56.

Und was braucht es dißfalls viel Disputi-
rens? Gestehet doch jederman/ daß des Men-
schen seine ewige Glückseeligkeit das wahre
Absehen des Gottesdienstes sey. Nun weiß a-
ber die sich selbst gelassene Vernunfft von dem
Zustand nach diesem Leben nichts gewisses/ wie
wolte sie denn des Gottesdienstes als des Mittels
hierzu versichert seyn.

57.

Bißher haben wir nur von dem allgemei-
nen äusserlichen Gottesdienst geredet. Was
den absonderlichen anlanget/ so finden sich da-
bey so viel Gründe zu Behauptung unserer Mei-
nung/ so viel man Umbstände bey demselben an-
trifft/ welches alles allhier weitläufftig auszufüh-
ren unvonnöthen ist/ weil jeder absonderlicher
Gottesdienst den allgemeinen praesuppeniret/
und folglich offenbahr ist/ daß wenn jeder nicht aus
der Vernunfft werde können erkennet werden/
man diesen absonderlichen vielweniger draus
werde behaupten können.

58.

Wolten wir noch über dieses die Kir-
chen- und andere Historien
zu Hülffe nehmen/
so würden wir befinden/ daß keine Religion in der
gantzen Welt wird genennet werden können/ die
nicht auff eine Offenbahrung ihres Gottes-
diensts halber sich gründe. Wir beziehen uns
auff Gottes Wort; Alle Ketzer thun in Ver-
fälschung desselben dergleichen; Die Jüden ge-

brau-

Urſprung aller menſchl. Gluͤckſeel.
muͤſſe/ welches doch ſehr unfoͤrmlich und bey nahe
gottloß klingen wuͤrde.

56.

Und was braucht es dißfalls viel Diſputi-
rens? Geſtehet doch jederman/ daß des Men-
ſchen ſeine ewige Gluͤckſeeligkeit das wahre
Abſehen des Gottesdienſtes ſey. Nun weiß a-
ber die ſich ſelbſt gelaſſene Vernunfft von dem
Zuſtand nach dieſem Leben nichts gewiſſes/ wie
wolte ſie denn des Gottesdienſtes als des Mittels
hierzu verſichert ſeyn.

57.

Bißher haben wir nur von dem allgemei-
nen aͤuſſerlichen Gottesdienſt geredet. Was
den abſonderlichen anlanget/ ſo finden ſich da-
bey ſo viel Gruͤnde zu Behauptung unſerer Mei-
nung/ ſo viel man Umbſtaͤnde bey demſelben an-
trifft/ welches alles allhier weitlaͤufftig auszufuͤh-
ren unvonnoͤthen iſt/ weil jeder abſonderlicher
Gottesdienſt den allgemeinen præſuppeniret/
und folglich offenbahr iſt/ daß weñ jeder nicht aus
der Vernunfft werde koͤnnen erkennet werden/
man dieſen abſonderlichen vielweniger draus
werde behaupten koͤnnen.

58.

Wolten wir noch uͤber dieſes die Kir-
chen- und andere Hiſtorien
zu Huͤlffe nehmen/
ſo wuͤrden wir befinden/ daß keine Religion in der
gantzen Welt wird genennet werden koͤnnen/ die
nicht auff eine Offenbahrung ihres Gottes-
dienſts halber ſich gruͤnde. Wir beziehen uns
auff Gottes Wort; Alle Ketzer thun in Ver-
faͤlſchung deſſelben dergleichen; Die Juͤden ge-

brau-
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[143/0175] Urſprung aller menſchl. Gluͤckſeel. muͤſſe/ welches doch ſehr unfoͤrmlich und bey nahe gottloß klingen wuͤrde. 56. Und was braucht es dißfalls viel Diſputi- rens? Geſtehet doch jederman/ daß des Men- ſchen ſeine ewige Gluͤckſeeligkeit das wahre Abſehen des Gottesdienſtes ſey. Nun weiß a- ber die ſich ſelbſt gelaſſene Vernunfft von dem Zuſtand nach dieſem Leben nichts gewiſſes/ wie wolte ſie denn des Gottesdienſtes als des Mittels hierzu verſichert ſeyn. 57. Bißher haben wir nur von dem allgemei- nen aͤuſſerlichen Gottesdienſt geredet. Was den abſonderlichen anlanget/ ſo finden ſich da- bey ſo viel Gruͤnde zu Behauptung unſerer Mei- nung/ ſo viel man Umbſtaͤnde bey demſelben an- trifft/ welches alles allhier weitlaͤufftig auszufuͤh- ren unvonnoͤthen iſt/ weil jeder abſonderlicher Gottesdienſt den allgemeinen præſuppeniret/ und folglich offenbahr iſt/ daß weñ jeder nicht aus der Vernunfft werde koͤnnen erkennet werden/ man dieſen abſonderlichen vielweniger draus werde behaupten koͤnnen. 58. Wolten wir noch uͤber dieſes die Kir- chen- und andere Hiſtorien zu Huͤlffe nehmen/ ſo wuͤrden wir befinden/ daß keine Religion in der gantzen Welt wird genennet werden koͤnnen/ die nicht auff eine Offenbahrung ihres Gottes- dienſts halber ſich gruͤnde. Wir beziehen uns auff Gottes Wort; Alle Ketzer thun in Ver- faͤlſchung deſſelben dergleichen; Die Juͤden ge- brau-

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/175>, abgerufen am 29.03.2024.