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Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

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Liebe anderer Menschen überhaupt.
51.

Derowegen so ist ja auch bey vernünff-
tiger
Liebe die Begierde der Leibes-Vermi-
schung
zwar kein wesentliches Stück/ sondern
nur ein nöthig und nicht unvernünfftiges
Zeichen derselben
wenn es unter ietztgesetzten
Bedingungen und als ein blosses Zeichen ver-
langet wird. Solchergestalt nun hast du nichts
vorgebracht/ daß unsern Lehr-Satz zuwieder
wäre/ wenn du gesagt/ daß zwischen zweyen
Personen unterschiedenes Geschlechts die Ver-
einigung der Seelen oder des Willens ohne
der Vereinigung der Leiber nicht vollkommen
genennet werden könne. Denn wir haben oben
nur dieses behaupten wollen/ daß diese Liebe un-
vernünfftig sey/ wenn man alsobald bey derje-
nigen Person auff die man mit seiner Liebe fäl-
let/ entweder zugleich oder wohl einig und allein
auff die Vermischung des Leibes sein Absehen
richtet.

52.

Aber ich sehe wohl/ du freuest dich ü-
ber dieser meiner Erklärung/ und du bildest
dir ein viel erobert zu haben/ wenn du deine
Begierden/ die du bey der Conversation mit Per-
sonen von andern Geschlechte zuweilen bey dir
befindest/ nur ohne Verletzung deines Gewis-
sens stillen darffst/ es möge nun solches gesche-
hen unter waßerley Betrachtung es wolle
Denn du sprichst: es sey also/ du liebest nur ver-
nünfftige Personen/ du suchest hauptsächlich dei-
ne Seele mit der ihrigen zuvereinigen/ und du-

trach-
M 3
Liebe anderer Menſchen uͤberhaupt.
51.

Derowegen ſo iſt ja auch bey vernuͤnff-
tiger
Liebe die Begierde der Leibes-Vermi-
ſchung
zwar kein weſentliches Stuͤck/ ſondern
nur ein noͤthig und nicht unvernuͤnfftiges
Zeichen derſelben
wenn es unter ietztgeſetzten
Bedingungen und als ein bloſſes Zeichen ver-
langet wird. Solchergeſtalt nun haſt du nichts
vorgebracht/ daß unſern Lehr-Satz zuwieder
waͤre/ wenn du geſagt/ daß zwiſchen zweyen
Perſonen unterſchiedenes Geſchlechts die Ver-
einigung der Seelen oder des Willens ohne
der Vereinigung der Leiber nicht vollkommen
genennet werden koͤnne. Denn wir haben oben
nur dieſes behaupten wollen/ daß dieſe Liebe un-
vernuͤnfftig ſey/ wenn man alſobald bey derje-
nigen Perſon auff die man mit ſeiner Liebe faͤl-
let/ entweder zugleich oder wohl einig und allein
auff die Vermiſchung des Leibes ſein Abſehen
richtet.

52.

Aber ich ſehe wohl/ du freueſt dich uͤ-
ber dieſer meiner Erklaͤrung/ und du bildeſt
dir ein viel erobert zu haben/ wenn du deine
Begierdẽ/ die du bey der Converſation mit Per-
ſonen von andern Geſchlechte zuweilen bey dir
befindeſt/ nur ohne Verletzung deines Gewiſ-
ſens ſtillen darffſt/ es moͤge nun ſolches geſche-
hen unter waßerley Betrachtung es wolle
Denn du ſprichſt: es ſey alſo/ du liebeſt nur ver-
nuͤnfftige Perſonen/ du ſucheſt hauptſaͤchlich dei-
ne Seele mit der ihrigen zuvereinigen/ und du-

trach-
M 3
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[181/0213] Liebe anderer Menſchen uͤberhaupt. 51. Derowegen ſo iſt ja auch bey vernuͤnff- tiger Liebe die Begierde der Leibes-Vermi- ſchung zwar kein weſentliches Stuͤck/ ſondern nur ein noͤthig und nicht unvernuͤnfftiges Zeichen derſelben wenn es unter ietztgeſetzten Bedingungen und als ein bloſſes Zeichen ver- langet wird. Solchergeſtalt nun haſt du nichts vorgebracht/ daß unſern Lehr-Satz zuwieder waͤre/ wenn du geſagt/ daß zwiſchen zweyen Perſonen unterſchiedenes Geſchlechts die Ver- einigung der Seelen oder des Willens ohne der Vereinigung der Leiber nicht vollkommen genennet werden koͤnne. Denn wir haben oben nur dieſes behaupten wollen/ daß dieſe Liebe un- vernuͤnfftig ſey/ wenn man alſobald bey derje- nigen Perſon auff die man mit ſeiner Liebe faͤl- let/ entweder zugleich oder wohl einig und allein auff die Vermiſchung des Leibes ſein Abſehen richtet. 52. Aber ich ſehe wohl/ du freueſt dich uͤ- ber dieſer meiner Erklaͤrung/ und du bildeſt dir ein viel erobert zu haben/ wenn du deine Begierdẽ/ die du bey der Converſation mit Per- ſonen von andern Geſchlechte zuweilen bey dir befindeſt/ nur ohne Verletzung deines Gewiſ- ſens ſtillen darffſt/ es moͤge nun ſolches geſche- hen unter waßerley Betrachtung es wolle Denn du ſprichſt: es ſey alſo/ du liebeſt nur ver- nuͤnfftige Perſonen/ du ſucheſt hauptſaͤchlich dei- ne Seele mit der ihrigen zuvereinigen/ und du- trach- M 3

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/213>, abgerufen am 28.03.2024.