Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

Bild:
<< vorherige Seite

Liebe anderer Menschen.
kan. So kan man doch die allgemeine Liebe auff
gewisse Maasse eine Richt-Schnur der abson-
derlichen
Liebe nennen/ so ferne diese der ersten
nicht darff zuwieder seyn/ in dem die erste gleich-
sam der Weg zu der andern ist/ und derjenige der
andere Menschen hasset/ nicht capabel ist andere
zu lieben/ weil der Haß eines einigen Menschen
der menschlichen Natur zuwieder ist/ sintemahl
keine Ungleichheit des menschlichen Ge-
schlechts ihrer Natur nach so viel würcken
kan/ daß ein Mensch den andern deswegen
hassen solte.

18.

Es ist ja wohl andem/ daß die absonder-
liche Freundschafft die Gemüther und Willen
auff das genaueste verbindet/ und ein Hertz und
eine Seele aus zweyen Leibern macht; und
dannenhero scheinet es auch/ daß ich mit mei-
nem Freunde auch seine Freunde und Feinde
gemein haben müsse.
Aber daraus solget
noch lange nicht/ daß ich andere Menschen
haben müste.
Denn mein Freund kan wohl
Feinde haben/ aber er muß deswegen keines
Menschen Feind seyn/ weil er/ wie wir bald mit
mehrern erweisen wollen/ seine Feinde mit Ge-
dult überwinder muß.

19.

Wie? sprichst du: Sol denn zum wenig-
sten der Jrrthum und Laster nicht eine solche
grosse Ungleichheit verursachen/ daß ein wei-
ser und tugendhaffter Mann lasterhaffte und ir-
rende Leute nicht hassen solte? Allerdings nicht

mein

Liebe anderer Menſchen.
kan. So kan man doch die allgemeine Liebe auff
gewiſſe Maaſſe eine Richt-Schnur der abſon-
derlichen
Liebe nennen/ ſo ferne dieſe der erſten
nicht darff zuwieder ſeyn/ in dem die erſte gleich-
ſam der Weg zu der andern iſt/ und derjenige der
andere Menſchen haſſet/ nicht capabel iſt andere
zu lieben/ weil der Haß eines einigen Menſchen
der menſchlichen Natur zuwieder iſt/ ſintemahl
keine Ungleichheit des menſchlichen Ge-
ſchlechts ihrer Natur nach ſo viel wuͤrcken
kan/ daß ein Menſch den andern deswegen
haſſen ſolte.

18.

Es iſt ja wohl andem/ daß die abſonder-
liche Freundſchafft die Gemuͤther und Willen
auff das genaueſte verbindet/ und ein Hertz und
eine Seele aus zweyen Leibern macht; und
dannenhero ſcheinet es auch/ daß ich mit mei-
nem Freunde auch ſeine Freunde und Feinde
gemein haben muͤſſe.
Aber daraus ſolget
noch lange nicht/ daß ich andere Menſchen
haben muͤſte.
Denn mein Freund kan wohl
Feinde haben/ aber er muß deswegen keines
Menſchen Feind ſeyn/ weil er/ wie wir bald mit
mehrern erweiſen wollen/ ſeine Feinde mit Ge-
dult uͤberwinder muß.

19.

Wie? ſprichſt du: Sol denn zum wenig-
ſten der Jrrthum und Laſter nicht eine ſolche
groſſe Ungleichheit verurſachen/ daß ein wei-
ſer und tugendhaffter Mann laſterhaffte und ir-
rende Leute nicht haſſen ſolte? Allerdings nicht

mein
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0237" n="207[205]"/><fw place="top" type="header">Liebe anderer Men&#x017F;chen.</fw><lb/>
kan. So kan man doch die <hi rendition="#fr">allgemeine</hi> Liebe auff<lb/>
gewi&#x017F;&#x017F;e Maa&#x017F;&#x017F;e <hi rendition="#fr">eine Richt-Schnur der ab&#x017F;on-<lb/>
derlichen</hi> Liebe nennen/ &#x017F;o ferne die&#x017F;e der er&#x017F;ten<lb/>
nicht darff zuwieder &#x017F;eyn/ in dem die er&#x017F;te gleich-<lb/>
&#x017F;am der Weg zu der andern i&#x017F;t/ und derjenige der<lb/>
andere Men&#x017F;chen ha&#x017F;&#x017F;et/ nicht <hi rendition="#aq">capabel</hi> i&#x017F;t andere<lb/>
zu lieben/ weil der Haß eines einigen Men&#x017F;chen<lb/>
der men&#x017F;chliche<hi rendition="#fr">n</hi> Natur zuwieder i&#x017F;t/ &#x017F;intemahl<lb/><hi rendition="#fr">keine Ungleichheit des men&#x017F;chlichen Ge-<lb/>
&#x017F;chlechts ihrer Natur nach &#x017F;o viel wu&#x0364;rcken<lb/>
kan/ daß ein Men&#x017F;ch den andern deswegen<lb/>
ha&#x017F;&#x017F;en &#x017F;olte.</hi></p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>18.</head>
            <p>Es i&#x017F;t ja wohl andem/ daß die ab&#x017F;onder-<lb/>
liche Freund&#x017F;chafft die Gemu&#x0364;ther und Willen<lb/>
auff das genaue&#x017F;te verbindet/ und ein Hertz und<lb/>
eine Seele aus zweyen Leibern macht; und<lb/>
dannenhero &#x017F;cheinet es auch/ daß <hi rendition="#fr">ich mit mei-<lb/>
nem Freunde auch &#x017F;eine Freunde und Feinde<lb/>
gemein haben mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e.</hi> Aber daraus &#x017F;olget<lb/>
noch lange nicht/ <hi rendition="#fr">daß ich andere Men&#x017F;chen<lb/>
haben mu&#x0364;&#x017F;te.</hi> Denn mein Freund kan wohl<lb/>
Feinde haben/ aber er muß deswegen keines<lb/>
Men&#x017F;chen Feind &#x017F;eyn/ weil er/ wie wir bald mit<lb/>
mehrern erwei&#x017F;en wollen/ &#x017F;eine Feinde mit Ge-<lb/>
dult u&#x0364;berwinder muß.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>19.</head>
            <p>Wie? &#x017F;prich&#x017F;t du: Sol denn zum wenig-<lb/>
&#x017F;ten <hi rendition="#fr">der Jrrthum</hi> und <hi rendition="#fr">La&#x017F;ter</hi> nicht eine &#x017F;olche<lb/>
gro&#x017F;&#x017F;e <hi rendition="#fr">Ungleichheit</hi> verur&#x017F;achen/ daß ein wei-<lb/>
&#x017F;er und tugendhaffter Mann la&#x017F;terhaffte und ir-<lb/>
rende Leute nicht ha&#x017F;&#x017F;en &#x017F;olte? Allerdings nicht<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">mein</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[207[205]/0237] Liebe anderer Menſchen. kan. So kan man doch die allgemeine Liebe auff gewiſſe Maaſſe eine Richt-Schnur der abſon- derlichen Liebe nennen/ ſo ferne dieſe der erſten nicht darff zuwieder ſeyn/ in dem die erſte gleich- ſam der Weg zu der andern iſt/ und derjenige der andere Menſchen haſſet/ nicht capabel iſt andere zu lieben/ weil der Haß eines einigen Menſchen der menſchlichen Natur zuwieder iſt/ ſintemahl keine Ungleichheit des menſchlichen Ge- ſchlechts ihrer Natur nach ſo viel wuͤrcken kan/ daß ein Menſch den andern deswegen haſſen ſolte. 18. Es iſt ja wohl andem/ daß die abſonder- liche Freundſchafft die Gemuͤther und Willen auff das genaueſte verbindet/ und ein Hertz und eine Seele aus zweyen Leibern macht; und dannenhero ſcheinet es auch/ daß ich mit mei- nem Freunde auch ſeine Freunde und Feinde gemein haben muͤſſe. Aber daraus ſolget noch lange nicht/ daß ich andere Menſchen haben muͤſte. Denn mein Freund kan wohl Feinde haben/ aber er muß deswegen keines Menſchen Feind ſeyn/ weil er/ wie wir bald mit mehrern erweiſen wollen/ ſeine Feinde mit Ge- dult uͤberwinder muß. 19. Wie? ſprichſt du: Sol denn zum wenig- ſten der Jrrthum und Laſter nicht eine ſolche groſſe Ungleichheit verurſachen/ daß ein wei- ſer und tugendhaffter Mann laſterhaffte und ir- rende Leute nicht haſſen ſolte? Allerdings nicht mein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/237
Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 207[205]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/237>, abgerufen am 19.04.2024.