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Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

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Liebe aller Menschen.
nicht zu trösten hätte/ wenn man nehmlich mit
ihm einen Contract schliest ohne Zwang/ oder
wenn der Zwang vorbey ist. Denn es kan von
dieser allgemeinen Liebe/ als wir schon offt er-
wehnet kein Mensch ausgeschlossen werden.

49.

Und ist dannenhero eine gantz unvernünff-
tige und lieblose Lehr/ wenn man verthäydigen
wil/ daß man denen/ die in dem Christenthum ei-
ne irrige Meynung von GOTT und göttlichen
Dingen haben/ die man Ketzer zu nennen pfle-
get/ keine Treu und Glauben halten solte. Denn
es wird durch dieselbige bey nahe dieses höchst-
nöthige Band des menschlichen Geschlechts gantz
und gar auffgehoben. Jst man denen Ketzern
deshalben keinen Glauben zu halten schuldig/ weil
sie eine irrige Meynung von GOtt haben/ und
erkennen doch die Heilige Schrifft für GOttes
Wort; so würde man vielmehr denen Jüden
und Heyden wegen eben dieser Ursache keine.
Treu und Glauben halten dürffen/ weil sie
gleichfalls irrige Meynung von GOTT hegen
und die Schrifft nicht einmahl oder doch nicht
völlig vor GOttes Wort halten/ und also würde
Treue und Glauben nur zwischen Leuten von ei-
ner Religion gelten/ ja nicht einmahl zwischen
denenselben/ weil keine Secte, und in derselben kei-
ne Provintz ja fast keine Stadt ist/ in welcher nicht
diejenigen/ die sich zu einer Secte bekennen von
andern Gelehrten derselben Secte bey diesen letz-
ten Zancks vollen Zeiten in der Lehre von göttli-

chen

Liebe aller Menſchen.
nicht zu troͤſten haͤtte/ wenn man nehmlich mit
ihm einen Contract ſchlieſt ohne Zwang/ oder
wenn der Zwang vorbey iſt. Denn es kan von
dieſer allgemeinen Liebe/ als wir ſchon offt er-
wehnet kein Menſch ausgeſchloſſen werden.

49.

Und iſt dannenhero eine gantz unvernuͤnff-
tige und liebloſe Lehr/ wenn man verthaͤydigen
wil/ daß man denen/ die in dem Chriſtenthum ei-
ne irrige Meynung von GOTT und goͤttlichen
Dingen haben/ die man Ketzer zu nennen pfle-
get/ keine Treu und Glauben halten ſolte. Denn
es wird durch dieſelbige bey nahe dieſes hoͤchſt-
noͤthige Band des menſchlichen Geſchlechts gantz
und gar auffgehoben. Jſt man denen Ketzern
deshalben keinen Glauben zu halten ſchuldig/ weil
ſie eine irrige Meynung von GOtt haben/ und
erkennen doch die Heilige Schrifft fuͤr GOttes
Wort; ſo wuͤrde man vielmehr denen Juͤden
und Heyden wegen eben dieſer Urſache keine.
Treu und Glauben halten duͤrffen/ weil ſie
gleichfalls irrige Meynung von GOTT hegen
und die Schrifft nicht einmahl oder doch nicht
voͤllig vor GOttes Wort halten/ und alſo wuͤrde
Treue und Glauben nur zwiſchen Leuten von ei-
ner Religion gelten/ ja nicht einmahl zwiſchen
denenſelben/ weil keine Secte, und in derſelben kei-
ne Provintz ja faſt keine Stadt iſt/ in welcher nicht
diejenigen/ die ſich zu einer Secte bekennen von
andern Gelehrten derſelben Secte bey dieſen letz-
ten Zancks vollen Zeiten in der Lehre von goͤttli-

chen
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[223[221]/0253] Liebe aller Menſchen. nicht zu troͤſten haͤtte/ wenn man nehmlich mit ihm einen Contract ſchlieſt ohne Zwang/ oder wenn der Zwang vorbey iſt. Denn es kan von dieſer allgemeinen Liebe/ als wir ſchon offt er- wehnet kein Menſch ausgeſchloſſen werden. 49. Und iſt dannenhero eine gantz unvernuͤnff- tige und liebloſe Lehr/ wenn man verthaͤydigen wil/ daß man denen/ die in dem Chriſtenthum ei- ne irrige Meynung von GOTT und goͤttlichen Dingen haben/ die man Ketzer zu nennen pfle- get/ keine Treu und Glauben halten ſolte. Denn es wird durch dieſelbige bey nahe dieſes hoͤchſt- noͤthige Band des menſchlichen Geſchlechts gantz und gar auffgehoben. Jſt man denen Ketzern deshalben keinen Glauben zu halten ſchuldig/ weil ſie eine irrige Meynung von GOtt haben/ und erkennen doch die Heilige Schrifft fuͤr GOttes Wort; ſo wuͤrde man vielmehr denen Juͤden und Heyden wegen eben dieſer Urſache keine. Treu und Glauben halten duͤrffen/ weil ſie gleichfalls irrige Meynung von GOTT hegen und die Schrifft nicht einmahl oder doch nicht voͤllig vor GOttes Wort halten/ und alſo wuͤrde Treue und Glauben nur zwiſchen Leuten von ei- ner Religion gelten/ ja nicht einmahl zwiſchen denenſelben/ weil keine Secte, und in derſelben kei- ne Provintz ja faſt keine Stadt iſt/ in welcher nicht diejenigen/ die ſich zu einer Secte bekennen von andern Gelehrten derſelben Secte bey dieſen letz- ten Zancks vollen Zeiten in der Lehre von goͤttli- chen

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 223[221]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/253>, abgerufen am 16.04.2024.