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Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

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Arten der absonderlichen Liebe.
seyn/ als dieselbe unvollkommen bleibet/ weil die
Gemeinmachung erst folgen muß/ wenn aus
zweyen Personen ein Hertz und eine Seele wor-
den ist. Dieses aber kan bey der unvollkomme-
nen Liebe wegen der vielen untergemengten
Schwachheiten und unterschiedenen Gemüths-
Neigungen/ die nothwendig ein Mißtrauen erwe-
cken/ nicht geschehen. Derowegen erstrecken sich
auch solche Lieben niemahlen über die Gutthä-
tigkeit.

18.

Damit aber gleichwohl wir nicht genöthi-
get werden unsere Lehren selbst einer Unförmlig-
keit zu beschuldigen/ indem wir in vorhergehenden
Hauptstück gelehret/ daß die Gemeinmachung
zu der absonderlichen Liebe überhaupt ge-
höre/
anjetzo aber wollen wir dieselbige nur bey
der vollkommenen gleichen Liebe suchen; so ist es
gar leichte diesen Einwurffzu begegnen/ wenn wir
sagen/ das weil die drey unterschiedenen Liebes-
Arten nach denen Graden der Vollkommenheit
unterschieden seyn/ auch die beyden Geringsten
allezeit dahin trachten sollen/ daß sie zu der Voll-
kommenheit der gleichen Liebe zweyer tugendhaff-
ter Leute gelangen/ und solcher gestalt doch auch
auff gewisse Art die Gemeinschafft aller Dinge
indendiren/ ob sie gleich dieselbe/ so lange als sie
noch in ihrer Unvollkommenheit seyn/ nicht practi-
cir
en können. Denn z. e. ein weiser Mann ge-
het auf dem Tugend-Weg dem Tugend-Schü-
ler
zum besten/ gleichsam ein wenig zurücke/ und

bemü-
X

Arten der abſonderlichen Liebe.
ſeyn/ als dieſelbe unvollkommen bleibet/ weil die
Gemeinmachung erſt folgen muß/ wenn aus
zweyen Perſonen ein Hertz und eine Seele wor-
den iſt. Dieſes aber kan bey der unvollkomme-
nen Liebe wegen der vielen untergemengten
Schwachheiten und unterſchiedenen Gemuͤths-
Neigungen/ die nothwendig ein Mißtrauen erwe-
cken/ nicht geſchehen. Derowegen erſtrecken ſich
auch ſolche Lieben niemahlen uͤber die Gutthaͤ-
tigkeit.

18.

Damit aber gleichwohl wir nicht genoͤthi-
get werden unſere Lehren ſelbſt einer Unfoͤrmlig-
keit zu beſchuldigen/ indem wir in vorhergehenden
Hauptſtuͤck gelehret/ daß die Gemeinmachung
zu der abſonderlichen Liebe uͤberhaupt ge-
hoͤre/
anjetzo aber wollen wir dieſelbige nur bey
der vollkommenen gleichen Liebe ſuchen; ſo iſt es
gar leichte dieſen Einwurffzu begegnen/ wenn wir
ſagen/ das weil die drey unterſchiedenen Liebes-
Arten nach denen Graden der Vollkommenheit
unterſchieden ſeyn/ auch die beyden Geringſten
allezeit dahin trachten ſollen/ daß ſie zu der Voll-
kommenheit der gleichen Liebe zweyer tugendhaff-
ter Leute gelangen/ und ſolcher geſtalt doch auch
auff gewiſſe Art die Gemeinſchafft aller Dinge
indendiren/ ob ſie gleich dieſelbe/ ſo lange als ſie
noch in ihrer Unvollkom̃enheit ſeyn/ nicht practi-
cir
en koͤnnen. Denn z. e. ein weiſer Mann ge-
het auf dem Tugend-Weg dem Tugend-Schuͤ-
ler
zum beſten/ gleichſam ein wenig zuruͤcke/ und

bemuͤ-
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[325[321]/0353] Arten der abſonderlichen Liebe. ſeyn/ als dieſelbe unvollkommen bleibet/ weil die Gemeinmachung erſt folgen muß/ wenn aus zweyen Perſonen ein Hertz und eine Seele wor- den iſt. Dieſes aber kan bey der unvollkomme- nen Liebe wegen der vielen untergemengten Schwachheiten und unterſchiedenen Gemuͤths- Neigungen/ die nothwendig ein Mißtrauen erwe- cken/ nicht geſchehen. Derowegen erſtrecken ſich auch ſolche Lieben niemahlen uͤber die Gutthaͤ- tigkeit. 18. Damit aber gleichwohl wir nicht genoͤthi- get werden unſere Lehren ſelbſt einer Unfoͤrmlig- keit zu beſchuldigen/ indem wir in vorhergehenden Hauptſtuͤck gelehret/ daß die Gemeinmachung zu der abſonderlichen Liebe uͤberhaupt ge- hoͤre/ anjetzo aber wollen wir dieſelbige nur bey der vollkommenen gleichen Liebe ſuchen; ſo iſt es gar leichte dieſen Einwurffzu begegnen/ wenn wir ſagen/ das weil die drey unterſchiedenen Liebes- Arten nach denen Graden der Vollkommenheit unterſchieden ſeyn/ auch die beyden Geringſten allezeit dahin trachten ſollen/ daß ſie zu der Voll- kommenheit der gleichen Liebe zweyer tugendhaff- ter Leute gelangen/ und ſolcher geſtalt doch auch auff gewiſſe Art die Gemeinſchafft aller Dinge indendiren/ ob ſie gleich dieſelbe/ ſo lange als ſie noch in ihrer Unvollkom̃enheit ſeyn/ nicht practi- ciren koͤnnen. Denn z. e. ein weiſer Mann ge- het auf dem Tugend-Weg dem Tugend-Schuͤ- ler zum beſten/ gleichſam ein wenig zuruͤcke/ und bemuͤ- X

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 325[321]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/353>, abgerufen am 29.03.2024.