Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

Bild:
<< vorherige Seite

Arten der vernünfftigen Liebe.
Ob ein weiser Mann/ der die Tugend in ei-
nem hohen Grad besitzet/ auch Weibes Per-
sonen lieben könne?
Jch halte dafür/ daß die-
jenigen von denen alten Philosophen, die diese
Frage verneinet/ entweder auf die unzuläßliche
Liebe ihr Absehen gerichtet/ oder aber alle Liebe
der Weibes-Personen/ auch so gar den Ehestand
für unzuläßlich/ oder doch zum wenigsten für
höchst unvollkommen geachtet/ deren Jrrthum
demnach zu widerlegen meines Vorhabens nicht
ist. Sondern ich bejahe die Frage ungescheuet/
weil sie keines grossen Beweises vonnöthen hat.

34.

Denn entweder die Weibes-Person ist
lasterhafft/ so stehet derer Liebe keinem Men-
schen/ am wenigsten aber einem weisen Mann an;
oder sie ist tugendhafft/ und so weise als er selbst.
So ist er schuldig sie zu lieben/ und diese seine Lie-
be ist so dann viel vortrefflicher als die gleiche Lie-
be eines anderen weisen Mannes wegen des stär-
ckeren Triebes und Vertrauens/ den GOtt de-
nen unterschiedenen Geschlechten ins Hertze ge-
geben.

35.

Jst sie aber nicht tugendhafft/ sondern ste-
cket noch in grossen Schwachheiten/ liebet aber
gleichwohl die Tugend/
und verlanget ihr
Hertze mit demjenigen zu vereinigen/ so wäre es
die gröste Unbilligkeit/ wenn er sie wegen ihres
Geschlechts von seiner Tugend-Schule aus-
schliessen wolte. Ja es verfichert ihn vielmehr
eben der natürliche Trieb des Vertrauens bey

Per-

Arten der vernuͤnfftigen Liebe.
Ob ein weiſer Mann/ der die Tugend in ei-
nem hohen Grad beſitzet/ auch Weibes Per-
ſonen lieben koͤnne?
Jch halte dafuͤr/ daß die-
jenigen von denen alten Philoſophen, die dieſe
Frage verneinet/ entweder auf die unzulaͤßliche
Liebe ihr Abſehen gerichtet/ oder aber alle Liebe
der Weibes-Perſonen/ auch ſo gar den Eheſtand
fuͤr unzulaͤßlich/ oder doch zum wenigſten fuͤr
hoͤchſt unvollkommen geachtet/ deren Jrrthum
demnach zu widerlegen meines Vorhabens nicht
iſt. Sondern ich bejahe die Frage ungeſcheuet/
weil ſie keines groſſen Beweiſes vonnoͤthen hat.

34.

Denn entweder die Weibes-Perſon iſt
laſterhafft/ ſo ſtehet derer Liebe keinem Men-
ſchen/ am wenigſten aber einem weiſen Mann an;
oder ſie iſt tugendhafft/ und ſo weiſe als er ſelbſt.
So iſt er ſchuldig ſie zu lieben/ und dieſe ſeine Lie-
be iſt ſo dann viel vortrefflicher als die gleiche Lie-
be eines anderen weiſen Mannes wegen des ſtaͤr-
ckeren Triebes und Vertrauens/ den GOtt de-
nen unterſchiedenen Geſchlechten ins Hertze ge-
geben.

35.

Jſt ſie aber nicht tugendhafft/ ſondern ſte-
cket noch in groſſen Schwachheiten/ liebet aber
gleichwohl die Tugend/
und verlanget ihr
Hertze mit demjenigen zu vereinigen/ ſo waͤre es
die groͤſte Unbilligkeit/ wenn er ſie wegen ihres
Geſchlechts von ſeiner Tugend-Schule aus-
ſchlieſſen wolte. Ja es verfichert ihn vielmehr
eben der natuͤrliche Trieb des Vertrauens bey

Per-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0363" n="335[331]"/><fw place="top" type="header">Arten der vernu&#x0364;nfftigen Liebe.</fw><lb/><hi rendition="#fr">Ob ein wei&#x017F;er Mann/ der die Tugend in ei-<lb/>
nem hohen Grad be&#x017F;itzet/ auch Weibes Per-<lb/>
&#x017F;onen lieben ko&#x0364;nne?</hi> Jch halte dafu&#x0364;r/ daß die-<lb/>
jenigen von denen alten <hi rendition="#aq">Philo&#x017F;ophen,</hi> die die&#x017F;e<lb/>
Frage verneinet/ entweder auf die unzula&#x0364;ßliche<lb/>
Liebe ihr Ab&#x017F;ehen gerichtet/ oder aber alle Liebe<lb/>
der Weibes-Per&#x017F;onen/ auch &#x017F;o gar den Ehe&#x017F;tand<lb/>
fu&#x0364;r unzula&#x0364;ßlich/ oder doch zum wenig&#x017F;ten fu&#x0364;r<lb/>
ho&#x0364;ch&#x017F;t unvollkommen geachtet/ deren Jrrthum<lb/>
demnach zu widerlegen meines Vorhabens nicht<lb/>
i&#x017F;t. Sondern ich <hi rendition="#fr">bejahe</hi> die Frage unge&#x017F;cheuet/<lb/>
weil &#x017F;ie keines gro&#x017F;&#x017F;en Bewei&#x017F;es vonno&#x0364;then hat.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>34.</head>
            <p>Denn entweder die Weibes-Per&#x017F;on i&#x017F;t<lb/><hi rendition="#fr">la&#x017F;terhafft/</hi> &#x017F;o &#x017F;tehet derer Liebe keinem Men-<lb/>
&#x017F;chen/ am wenig&#x017F;ten aber einem wei&#x017F;en Mann an;<lb/>
oder &#x017F;ie i&#x017F;t <hi rendition="#fr">tugendhafft/</hi> und &#x017F;o wei&#x017F;e als er &#x017F;elb&#x017F;t.<lb/>
So i&#x017F;t er &#x017F;chuldig &#x017F;ie zu lieben/ und die&#x017F;e &#x017F;eine Lie-<lb/>
be i&#x017F;t &#x017F;o dann viel vortrefflicher als die gleiche Lie-<lb/>
be eines anderen wei&#x017F;en Mannes wegen des &#x017F;ta&#x0364;r-<lb/>
ckeren Triebes und Vertrauens/ den GOtt de-<lb/>
nen unter&#x017F;chiedenen Ge&#x017F;chlechten ins Hertze ge-<lb/>
geben.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>35.</head>
            <p>J&#x017F;t &#x017F;ie aber nicht tugendhafft/ &#x017F;ondern &#x017F;te-<lb/>
cket noch in gro&#x017F;&#x017F;en Schwachheiten/ <hi rendition="#fr">liebet aber<lb/>
gleichwohl die Tugend/</hi> und verlanget ihr<lb/>
Hertze mit demjenigen zu vereinigen/ &#x017F;o wa&#x0364;re es<lb/>
die gro&#x0364;&#x017F;te Unbilligkeit/ wenn er &#x017F;ie wegen ihres<lb/>
Ge&#x017F;chlechts von &#x017F;einer Tugend-Schule aus-<lb/>
&#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;en wolte. Ja es verfichert ihn vielmehr<lb/>
eben der natu&#x0364;rliche Trieb des Vertrauens bey<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Per-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[335[331]/0363] Arten der vernuͤnfftigen Liebe. Ob ein weiſer Mann/ der die Tugend in ei- nem hohen Grad beſitzet/ auch Weibes Per- ſonen lieben koͤnne? Jch halte dafuͤr/ daß die- jenigen von denen alten Philoſophen, die dieſe Frage verneinet/ entweder auf die unzulaͤßliche Liebe ihr Abſehen gerichtet/ oder aber alle Liebe der Weibes-Perſonen/ auch ſo gar den Eheſtand fuͤr unzulaͤßlich/ oder doch zum wenigſten fuͤr hoͤchſt unvollkommen geachtet/ deren Jrrthum demnach zu widerlegen meines Vorhabens nicht iſt. Sondern ich bejahe die Frage ungeſcheuet/ weil ſie keines groſſen Beweiſes vonnoͤthen hat. 34. Denn entweder die Weibes-Perſon iſt laſterhafft/ ſo ſtehet derer Liebe keinem Men- ſchen/ am wenigſten aber einem weiſen Mann an; oder ſie iſt tugendhafft/ und ſo weiſe als er ſelbſt. So iſt er ſchuldig ſie zu lieben/ und dieſe ſeine Lie- be iſt ſo dann viel vortrefflicher als die gleiche Lie- be eines anderen weiſen Mannes wegen des ſtaͤr- ckeren Triebes und Vertrauens/ den GOtt de- nen unterſchiedenen Geſchlechten ins Hertze ge- geben. 35. Jſt ſie aber nicht tugendhafft/ ſondern ſte- cket noch in groſſen Schwachheiten/ liebet aber gleichwohl die Tugend/ und verlanget ihr Hertze mit demjenigen zu vereinigen/ ſo waͤre es die groͤſte Unbilligkeit/ wenn er ſie wegen ihres Geſchlechts von ſeiner Tugend-Schule aus- ſchlieſſen wolte. Ja es verfichert ihn vielmehr eben der natuͤrliche Trieb des Vertrauens bey Per-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/363
Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 335[331]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/363>, abgerufen am 25.04.2024.