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Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Erste Abtheilung.
5.
Wie der Ritter der schönen Magelone
Bothschaft sandte
.

In derselben Nacht war Magelone eben so bewegt
als ihr Ritter. Es däuchte ihr, als könne sie sich
auf ihrem einsamen Zimmer nicht lassen; sie ging
oft an das Fenster und sah nachdenklich in den
Garten hinab, und alles war ihr trübe und schwer-
müthig; sie behorchte die Bäume, die gegen einan-
der rauschten, dann sah sie nach den Sternen, die
sich im Meere spiegelten; sie warf es dem Unbe-
kannten vor, daß er nicht im Garten unter ihrem
Fenster stehe, dann weinte sie, weil sie gedachte,
daß es ihm unmöglich sey. Sie warf sich auf
ihr Bett, aber sie konnte nur wenig schlafen, und
wenn sie die Augen schloß, sah sie das Turnier
und den geliebten Unbekannten, welcher Sieger
ward und mit sehnsüchtiger Hofnung zu ihrem Al-
tan hinauf blickte. Bald weidete sie sich an diesen
Phantasien, bald schalt sie auf sich selber; erst ge-
gen Morgen fiel sie in einen leichten Schlummer.

Sie beschloß, ihre Zuneigung ihrer geliebten
Amme zu entdecken, vor der sie kein Geheimniß
hatte. In einer traulichen Abendstunde sagte sie
daher zu ihr: Liebe Amme, ich habe schon seit lange
etwas auf dem Herzen, welches mir fast das Herz
zerdrückt; ich muß es dir nur endlich sagen und
du mußt mir mit deinem mütterlichen Rathe bei-
stehn, denn ich weiß mir selber nicht mehr zu ra-

Erſte Abtheilung.
5.
Wie der Ritter der ſchoͤnen Magelone
Bothſchaft ſandte
.

In derſelben Nacht war Magelone eben ſo bewegt
als ihr Ritter. Es daͤuchte ihr, als koͤnne ſie ſich
auf ihrem einſamen Zimmer nicht laſſen; ſie ging
oft an das Fenſter und ſah nachdenklich in den
Garten hinab, und alles war ihr truͤbe und ſchwer-
muͤthig; ſie behorchte die Baͤume, die gegen einan-
der rauſchten, dann ſah ſie nach den Sternen, die
ſich im Meere ſpiegelten; ſie warf es dem Unbe-
kannten vor, daß er nicht im Garten unter ihrem
Fenſter ſtehe, dann weinte ſie, weil ſie gedachte,
daß es ihm unmoͤglich ſey. Sie warf ſich auf
ihr Bett, aber ſie konnte nur wenig ſchlafen, und
wenn ſie die Augen ſchloß, ſah ſie das Turnier
und den geliebten Unbekannten, welcher Sieger
ward und mit ſehnſuͤchtiger Hofnung zu ihrem Al-
tan hinauf blickte. Bald weidete ſie ſich an dieſen
Phantaſien, bald ſchalt ſie auf ſich ſelber; erſt ge-
gen Morgen fiel ſie in einen leichten Schlummer.

Sie beſchloß, ihre Zuneigung ihrer geliebten
Amme zu entdecken, vor der ſie kein Geheimniß
hatte. In einer traulichen Abendſtunde ſagte ſie
daher zu ihr: Liebe Amme, ich habe ſchon ſeit lange
etwas auf dem Herzen, welches mir faſt das Herz
zerdruͤckt; ich muß es dir nur endlich ſagen und
du mußt mir mit deinem muͤtterlichen Rathe bei-
ſtehn, denn ich weiß mir ſelber nicht mehr zu ra-

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[340/0351] Erſte Abtheilung. 5. Wie der Ritter der ſchoͤnen Magelone Bothſchaft ſandte. In derſelben Nacht war Magelone eben ſo bewegt als ihr Ritter. Es daͤuchte ihr, als koͤnne ſie ſich auf ihrem einſamen Zimmer nicht laſſen; ſie ging oft an das Fenſter und ſah nachdenklich in den Garten hinab, und alles war ihr truͤbe und ſchwer- muͤthig; ſie behorchte die Baͤume, die gegen einan- der rauſchten, dann ſah ſie nach den Sternen, die ſich im Meere ſpiegelten; ſie warf es dem Unbe- kannten vor, daß er nicht im Garten unter ihrem Fenſter ſtehe, dann weinte ſie, weil ſie gedachte, daß es ihm unmoͤglich ſey. Sie warf ſich auf ihr Bett, aber ſie konnte nur wenig ſchlafen, und wenn ſie die Augen ſchloß, ſah ſie das Turnier und den geliebten Unbekannten, welcher Sieger ward und mit ſehnſuͤchtiger Hofnung zu ihrem Al- tan hinauf blickte. Bald weidete ſie ſich an dieſen Phantaſien, bald ſchalt ſie auf ſich ſelber; erſt ge- gen Morgen fiel ſie in einen leichten Schlummer. Sie beſchloß, ihre Zuneigung ihrer geliebten Amme zu entdecken, vor der ſie kein Geheimniß hatte. In einer traulichen Abendſtunde ſagte ſie daher zu ihr: Liebe Amme, ich habe ſchon ſeit lange etwas auf dem Herzen, welches mir faſt das Herz zerdruͤckt; ich muß es dir nur endlich ſagen und du mußt mir mit deinem muͤtterlichen Rathe bei- ſtehn, denn ich weiß mir ſelber nicht mehr zu ra-

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus01_1812/351>, abgerufen am 28.03.2024.