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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887.

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schreiten. Dieser Ausdruck ist aber selber eines sehr
variabeln Inhaltes fähig; dessen untere Grenze wiederum
die Erhaltung des blossen Daseins (in den Umrissen,
welche der Wille des Individuums dieser Vorstellung geben
mag) bildet. Und da ist es ferner die vollkommene Noth,
welche die Vorstellung auf ihr niedrigstes Maass reducirt.
Dies ist der natürliche Kostenpreis der Arbeitskraft schlecht-
hin, Bedingung und Material ihrer Erneuerung, welche in-
soweit allerdings einer Production vergleichen werden
kann, und also den wirklichen gesellschaftlichen Werth
constituiren würde. Derselbe hat jedoch seine nächste Be-
deutung nur für die individuelle Arbeitskraft, welche
der Mensch, durch Fristung seines Lebens, z. E. im Anfange
der folgenden Woche von Neuem anzubieten in der Lage
ist. Hingegen sofern die Vorstellung des Existenz-Mini-
mums die Ernährung von Weib und Kind einschliesst, so
ist sie der Reduction ausgesetzt; da Weiber und den frühe-
sten Jahren entwachsene Kinder selber Arbeitskräfte ent-
wickeln und feil halten können.

§ 37.

Der Begriff der durchschnittlichen gesell-
schaftlich nothwendigen Arbeitszeit
, der von
ebenso schwerer Bedeutung als von schwieriger Anwendung
ist (wie alle richtigen Begriffe der politischen Oekonomie),
muss auf die eigentliche Sachwaaren-Production, wie sie im
commerciellen Betriebe erscheint, eingeschränkt bleiben, weil
und insofern als hier die concurrirenden Anbieter eine prak-
tisch unbegrenzte Menge ihrer Gegenstände hervorbringen
können und also der unter den günstigsten Bedingungen
Producirende -- wenigstens dem Anscheine nach -- das
ganze Bedürfniss zu decken vermag; wodurch dann die
Uebrigen, um ihren also bedrohten Absatz wenigstens fest-
zuhalten, ihre Preise den seinigen zu nähern oder gleich
zu machen sich genöthigt finden; demnächst aber, um ihren
Profit nicht dauernd vermindert zu sehen, zu versuchen,
ebenso günstige Bedingungen für sich herzustellen. Dies
ist das eigentliche Princip der Handels-Concurrenz, in-

schreiten. Dieser Ausdruck ist aber selber eines sehr
variabeln Inhaltes fähig; dessen untere Grenze wiederum
die Erhaltung des blossen Daseins (in den Umrissen,
welche der Wille des Individuums dieser Vorstellung geben
mag) bildet. Und da ist es ferner die vollkommene Noth,
welche die Vorstellung auf ihr niedrigstes Maass reducirt.
Dies ist der natürliche Kostenpreis der Arbeitskraft schlecht-
hin, Bedingung und Material ihrer Erneuerung, welche in-
soweit allerdings einer Production vergleichen werden
kann, und also den wirklichen gesellschaftlichen Werth
constituiren würde. Derselbe hat jedoch seine nächste Be-
deutung nur für die individuelle Arbeitskraft, welche
der Mensch, durch Fristung seines Lebens, z. E. im Anfange
der folgenden Woche von Neuem anzubieten in der Lage
ist. Hingegen sofern die Vorstellung des Existenz-Mini-
mums die Ernährung von Weib und Kind einschliesst, so
ist sie der Reduction ausgesetzt; da Weiber und den frühe-
sten Jahren entwachsene Kinder selber Arbeitskräfte ent-
wickeln und feil halten können.

§ 37.

Der Begriff der durchschnittlichen gesell-
schaftlich nothwendigen Arbeitszeit
, der von
ebenso schwerer Bedeutung als von schwieriger Anwendung
ist (wie alle richtigen Begriffe der politischen Oekonomie),
muss auf die eigentliche Sachwaaren-Production, wie sie im
commerciellen Betriebe erscheint, eingeschränkt bleiben, weil
und insofern als hier die concurrirenden Anbieter eine prak-
tisch unbegrenzte Menge ihrer Gegenstände hervorbringen
können und also der unter den günstigsten Bedingungen
Producirende — wenigstens dem Anscheine nach — das
ganze Bedürfniss zu decken vermag; wodurch dann die
Uebrigen, um ihren also bedrohten Absatz wenigstens fest-
zuhalten, ihre Preise den seinigen zu nähern oder gleich
zu machen sich genöthigt finden; demnächst aber, um ihren
Profit nicht dauernd vermindert zu sehen, zu versuchen,
ebenso günstige Bedingungen für sich herzustellen. Dies
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[87/0123] schreiten. Dieser Ausdruck ist aber selber eines sehr variabeln Inhaltes fähig; dessen untere Grenze wiederum die Erhaltung des blossen Daseins (in den Umrissen, welche der Wille des Individuums dieser Vorstellung geben mag) bildet. Und da ist es ferner die vollkommene Noth, welche die Vorstellung auf ihr niedrigstes Maass reducirt. Dies ist der natürliche Kostenpreis der Arbeitskraft schlecht- hin, Bedingung und Material ihrer Erneuerung, welche in- soweit allerdings einer Production vergleichen werden kann, und also den wirklichen gesellschaftlichen Werth constituiren würde. Derselbe hat jedoch seine nächste Be- deutung nur für die individuelle Arbeitskraft, welche der Mensch, durch Fristung seines Lebens, z. E. im Anfange der folgenden Woche von Neuem anzubieten in der Lage ist. Hingegen sofern die Vorstellung des Existenz-Mini- mums die Ernährung von Weib und Kind einschliesst, so ist sie der Reduction ausgesetzt; da Weiber und den frühe- sten Jahren entwachsene Kinder selber Arbeitskräfte ent- wickeln und feil halten können. § 37. Der Begriff der durchschnittlichen gesell- schaftlich nothwendigen Arbeitszeit, der von ebenso schwerer Bedeutung als von schwieriger Anwendung ist (wie alle richtigen Begriffe der politischen Oekonomie), muss auf die eigentliche Sachwaaren-Production, wie sie im commerciellen Betriebe erscheint, eingeschränkt bleiben, weil und insofern als hier die concurrirenden Anbieter eine prak- tisch unbegrenzte Menge ihrer Gegenstände hervorbringen können und also der unter den günstigsten Bedingungen Producirende — wenigstens dem Anscheine nach — das ganze Bedürfniss zu decken vermag; wodurch dann die Uebrigen, um ihren also bedrohten Absatz wenigstens fest- zuhalten, ihre Preise den seinigen zu nähern oder gleich zu machen sich genöthigt finden; demnächst aber, um ihren Profit nicht dauernd vermindert zu sehen, zu versuchen, ebenso günstige Bedingungen für sich herzustellen. Dies ist das eigentliche Princip der Handels-Concurrenz, in-

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Zitationshilfe: Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/123>, abgerufen am 25.04.2024.