Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887.

Bild:
<< vorherige Seite
ERSTER ABSCHNITT.
DIE FORMEN DES MENSCHLICHEN WILLENS.

§ 1.

Der Begriff des menschlichen Willens, dessen
richtige Auffassung der ganze Inhalt dieser Abhandlung er-
fordert, soll in einem doppelten Sinne verstanden werden. Da
alle geistige Wirkung als menschliche durch die Theilnahme
des Denkens bezeichnet wird, so unterscheide ich: den
Willen, sofern in ihm das Denken und das Denken, sofern
darin der Wille enthalten ist. Jeder stellt ein zusammen-
hängendes Ganzes vor, in welchem die Mannigfaltigkeit der
Gefühle, Triebe, Begierden ihre Einheit hat: welche Einheit
aber in dem ersten Begriffe als eine reale oder natürliche,
in dem anderen als eine ideelle oder gemachte verstanden
werden muss. Den Willen des Menschen, in jener Bedeu-
tung, nenne ich seinen Wesenwillen; in dieser: seine
Willkür.

§ 2.

Wesenwille ist das psychologische Aequivalent
des menschlichen Leibes oder das Princip der Einheit des
Lebens, sofern dasselbe unter derjenigen Form der Wirk-

7*
ERSTER ABSCHNITT.
DIE FORMEN DES MENSCHLICHEN WILLENS.

§ 1.

Der Begriff des menschlichen Willens, dessen
richtige Auffassung der ganze Inhalt dieser Abhandlung er-
fordert, soll in einem doppelten Sinne verstanden werden. Da
alle geistige Wirkung als menschliche durch die Theilnahme
des Denkens bezeichnet wird, so unterscheide ich: den
Willen, sofern in ihm das Denken und das Denken, sofern
darin der Wille enthalten ist. Jeder stellt ein zusammen-
hängendes Ganzes vor, in welchem die Mannigfaltigkeit der
Gefühle, Triebe, Begierden ihre Einheit hat: welche Einheit
aber in dem ersten Begriffe als eine reale oder natürliche,
in dem anderen als eine ideelle oder gemachte verstanden
werden muss. Den Willen des Menschen, in jener Bedeu-
tung, nenne ich seinen Wesenwillen; in dieser: seine
Willkür.

§ 2.

Wesenwille ist das psychologische Aequivalent
des menschlichen Leibes oder das Princip der Einheit des
Lebens, sofern dasselbe unter derjenigen Form der Wirk-

7*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0135" n="[99]"/>
        <div n="2">
          <head>ERSTER ABSCHNITT.<lb/><hi rendition="#b">DIE FORMEN DES MENSCHLICHEN WILLENS.</hi></head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <head>§ 1.</head><lb/>
            <p>Der Begriff des <hi rendition="#g">menschlichen Willens</hi>, dessen<lb/>
richtige Auffassung der ganze Inhalt dieser Abhandlung er-<lb/>
fordert, soll in einem doppelten Sinne verstanden werden. Da<lb/>
alle geistige Wirkung als menschliche durch die Theilnahme<lb/>
des Denkens bezeichnet wird, so unterscheide ich: den<lb/>
Willen, sofern in ihm das Denken und das Denken, sofern<lb/>
darin der Wille enthalten ist. Jeder stellt ein zusammen-<lb/>
hängendes Ganzes vor, in welchem die Mannigfaltigkeit der<lb/>
Gefühle, Triebe, Begierden ihre Einheit hat: welche Einheit<lb/>
aber in dem ersten Begriffe als eine reale oder natürliche,<lb/>
in dem anderen als eine ideelle oder gemachte verstanden<lb/>
werden muss. Den Willen des Menschen, in jener Bedeu-<lb/>
tung, nenne ich seinen <hi rendition="#g">Wesenwillen</hi>; in dieser: seine<lb/><hi rendition="#g">Willkür.</hi></p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§ 2.</head><lb/>
            <p><hi rendition="#g">Wesenwille</hi> ist das psychologische Aequivalent<lb/>
des menschlichen Leibes oder das Princip der Einheit des<lb/>
Lebens, sofern dasselbe unter derjenigen Form der Wirk-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">7*</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[99]/0135] ERSTER ABSCHNITT. DIE FORMEN DES MENSCHLICHEN WILLENS. § 1. Der Begriff des menschlichen Willens, dessen richtige Auffassung der ganze Inhalt dieser Abhandlung er- fordert, soll in einem doppelten Sinne verstanden werden. Da alle geistige Wirkung als menschliche durch die Theilnahme des Denkens bezeichnet wird, so unterscheide ich: den Willen, sofern in ihm das Denken und das Denken, sofern darin der Wille enthalten ist. Jeder stellt ein zusammen- hängendes Ganzes vor, in welchem die Mannigfaltigkeit der Gefühle, Triebe, Begierden ihre Einheit hat: welche Einheit aber in dem ersten Begriffe als eine reale oder natürliche, in dem anderen als eine ideelle oder gemachte verstanden werden muss. Den Willen des Menschen, in jener Bedeu- tung, nenne ich seinen Wesenwillen; in dieser: seine Willkür. § 2. Wesenwille ist das psychologische Aequivalent des menschlichen Leibes oder das Princip der Einheit des Lebens, sofern dasselbe unter derjenigen Form der Wirk- 7*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/135
Zitationshilfe: Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. [99]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/135>, abgerufen am 29.03.2024.