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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887.

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hange, als erfolgend aus der ursprünglichen Keimanlage
dieses individuellen Wesens müssen gedacht werden; so
sehr auch die besondere Entwicklung durch den Stoff der
Empfindungen bedingt, also modificirt werde (der also gleich
dem, was sonst die äussere Welt heisst; und wie innerhalb
ihrer der Leib auf Nahrung und andere Gegenstände an-
gewiesen, dadurch erhalten und auch verändert wird). Will-
kür geht der Thätigkeit, auf welche sie sich bezieht, vorher
und bleibt ausser ihr. Während sie selber nichts hat als
ein in Gedanken gesetztes Dasein, verhält sich jene zu ihr
als ihre Verwirklichung. Das Subject beider setzt den
(hier als inert vorzustellenden) Körper durch äusseren An-
stoss in Bewegung. Dieses Subject ist eine Abstraction. Es
ist das menschliche Ich insofern, als es aller übrigen Eigen-
schaften entkleidet und wesentlich denkend begriffen wird:
die (wahrscheinlichen oder gewissen) Folgen möglicher von
ihm selber auszugehender Wirkungen vorstellend und an
einem endlichen Ergebnisse, dessen Idee als Maasstab fest-
gehalten wird, messend; hiernach solche mögliche Wir-
kungen aussondernd, ordnend und für einen zukünftigen
Uebergang in die Wirklichkeit bestimmend. Und so wirket,
nach diesem Begriffe, das Denken, wie mit mechanischem
Zwange, auf Nerven und Muskeln und dadurch auf die
Glieder des Körpers. Da diese Vorstellung nur innerhalb
einer physikalischen oder physiologischen Ansicht vollziehbar
ist, so wird hier erfordert, das Denken selber als Bewegung,
d. i. als Gehirn-Function, und das Gehirn als objectiv-
wirkliches, einen Raum erfüllendes Ding zu verstehen.

§ 4.

Das Problem des Willens als Wesenwillens ist, dieser
Ansicht gemäss, so mannigfaltig wie das Problem des
organischen Lebens selber. Sein besonderer Wesenwille ist
dem Menschenthum natürlich wie jeder anderen Gattung
ihre Gestalt des Leibes und der Seele, und der Einzelne
gelangt zu seinem vollständigen und reifen Dasein, gleich
dem Organismus, welchen er darstellt, durch unmerklich
fortschreitendes Wachsthum aus einem Keime sich ent-

hange, als erfolgend aus der ursprünglichen Keimanlage
dieses individuellen Wesens müssen gedacht werden; so
sehr auch die besondere Entwicklung durch den Stoff der
Empfindungen bedingt, also modificirt werde (der also gleich
dem, was sonst die äussere Welt heisst; und wie innerhalb
ihrer der Leib auf Nahrung und andere Gegenstände an-
gewiesen, dadurch erhalten und auch verändert wird). Will-
kür geht der Thätigkeit, auf welche sie sich bezieht, vorher
und bleibt ausser ihr. Während sie selber nichts hat als
ein in Gedanken gesetztes Dasein, verhält sich jene zu ihr
als ihre Verwirklichung. Das Subject beider setzt den
(hier als inert vorzustellenden) Körper durch äusseren An-
stoss in Bewegung. Dieses Subject ist eine Abstraction. Es
ist das menschliche Ich insofern, als es aller übrigen Eigen-
schaften entkleidet und wesentlich denkend begriffen wird:
die (wahrscheinlichen oder gewissen) Folgen möglicher von
ihm selber auszugehender Wirkungen vorstellend und an
einem endlichen Ergebnisse, dessen Idee als Maasstab fest-
gehalten wird, messend; hiernach solche mögliche Wir-
kungen aussondernd, ordnend und für einen zukünftigen
Uebergang in die Wirklichkeit bestimmend. Und so wirket,
nach diesem Begriffe, das Denken, wie mit mechanischem
Zwange, auf Nerven und Muskeln und dadurch auf die
Glieder des Körpers. Da diese Vorstellung nur innerhalb
einer physikalischen oder physiologischen Ansicht vollziehbar
ist, so wird hier erfordert, das Denken selber als Bewegung,
d. i. als Gehirn-Function, und das Gehirn als objectiv-
wirkliches, einen Raum erfüllendes Ding zu verstehen.

§ 4.

Das Problem des Willens als Wesenwillens ist, dieser
Ansicht gemäss, so mannigfaltig wie das Problem des
organischen Lebens selber. Sein besonderer Wesenwille ist
dem Menschenthum natürlich wie jeder anderen Gattung
ihre Gestalt des Leibes und der Seele, und der Einzelne
gelangt zu seinem vollständigen und reifen Dasein, gleich
dem Organismus, welchen er darstellt, durch unmerklich
fortschreitendes Wachsthum aus einem Keime sich ent-

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[101/0137] hange, als erfolgend aus der ursprünglichen Keimanlage dieses individuellen Wesens müssen gedacht werden; so sehr auch die besondere Entwicklung durch den Stoff der Empfindungen bedingt, also modificirt werde (der also gleich dem, was sonst die äussere Welt heisst; und wie innerhalb ihrer der Leib auf Nahrung und andere Gegenstände an- gewiesen, dadurch erhalten und auch verändert wird). Will- kür geht der Thätigkeit, auf welche sie sich bezieht, vorher und bleibt ausser ihr. Während sie selber nichts hat als ein in Gedanken gesetztes Dasein, verhält sich jene zu ihr als ihre Verwirklichung. Das Subject beider setzt den (hier als inert vorzustellenden) Körper durch äusseren An- stoss in Bewegung. Dieses Subject ist eine Abstraction. Es ist das menschliche Ich insofern, als es aller übrigen Eigen- schaften entkleidet und wesentlich denkend begriffen wird: die (wahrscheinlichen oder gewissen) Folgen möglicher von ihm selber auszugehender Wirkungen vorstellend und an einem endlichen Ergebnisse, dessen Idee als Maasstab fest- gehalten wird, messend; hiernach solche mögliche Wir- kungen aussondernd, ordnend und für einen zukünftigen Uebergang in die Wirklichkeit bestimmend. Und so wirket, nach diesem Begriffe, das Denken, wie mit mechanischem Zwange, auf Nerven und Muskeln und dadurch auf die Glieder des Körpers. Da diese Vorstellung nur innerhalb einer physikalischen oder physiologischen Ansicht vollziehbar ist, so wird hier erfordert, das Denken selber als Bewegung, d. i. als Gehirn-Function, und das Gehirn als objectiv- wirkliches, einen Raum erfüllendes Ding zu verstehen. § 4. Das Problem des Willens als Wesenwillens ist, dieser Ansicht gemäss, so mannigfaltig wie das Problem des organischen Lebens selber. Sein besonderer Wesenwille ist dem Menschenthum natürlich wie jeder anderen Gattung ihre Gestalt des Leibes und der Seele, und der Einzelne gelangt zu seinem vollständigen und reifen Dasein, gleich dem Organismus, welchen er darstellt, durch unmerklich fortschreitendes Wachsthum aus einem Keime sich ent-

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Zitationshilfe: Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/137>, abgerufen am 23.04.2024.