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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887.

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folgt wird, so wird zukünftiges Ereigniss durch das
Denken einem Gegenstande gleich, dessen Wirklichkeit
bedingt sei durch seine Ursachen, und dessen Ursachen als
eigene mögliche Verhaltungen zu Gebote zu stehen scheinen.
Und hiernach also seine Willkür als Verfügung über Mittel
bestimmend, verwandelt der Mensch ein Stück seiner ima-
ginären Freiheit in ihr Gegentheil -- zunächst selber blos
ein imaginäres, aber durch die Ausführung reales. Sonst
sein eigener Herr, wird er, sich bindend, sein eigener
Schuldner und Knecht. Denn allerdings: dieser ganze
Begriff kann in seiner Reinheit nur aufgefasst werden,
wenn alle solche willkürliche Thätigkeit als ein Opfer
vorgestellt wird, mithin als an und für sich ungern, mit
Widerwillen geschehend, so dass nur der Gedanke an den
(allein erwünschten) Zweck, d. i. an Genuss, Vortheil,
Glück, dazu als zu freiwilliger bewegen kann; und die
Freiwilligkeit ist eben die Unfreiheit in Bezug auf sich
selber oder der Selbstzwang, da fremder Zwang und Noth
sie zerstört. Alle Willkür enthält etwas Unnatürliches und
Falsches. Dem ist die Empfindung des unbefangenen Zu-
schauers gemäss, welche sich geltend macht, wenn häufig
solche Thätigkeit als "gemacht", "forcirt", "tendenziös" oder
"absichtlich" bezeichnet wird; eine Empfindung ästhetisch-
moralischen Missfallens, welche in Leben und Dichtung oft
auf energische Weise sich geltend macht.

§ 14.

Nun aber wird (wie bekannt genug ist) auf höchst
mannigfache Weise Genuss, Vortheil, Glück erstrebt; in
vielen verschiedenen Dingen wird das höchste Gut zu ruhen
vermuthet. Solche Gegenstände aber können wiederum
unterschieden werden, nach ihrer Beziehung auf die drei
Arten des Lebens. Und innerhalb jeder Kategorie kann
ferner eine Dichotomie stattfinden; indem die Zwecke
anders aussehen, wenn das Denken selber auch den Genuss
sich vorbehält und wesentlich in seiner Thätigkeit die
Lust davon hat; anders, wenn die in ihm enthaltenen, ihm
unterthanen, aber darum vielleicht nicht minder heftigen

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folgt wird, so wird zukünftiges Ereigniss durch das
Denken einem Gegenstande gleich, dessen Wirklichkeit
bedingt sei durch seine Ursachen, und dessen Ursachen als
eigene mögliche Verhaltungen zu Gebote zu stehen scheinen.
Und hiernach also seine Willkür als Verfügung über Mittel
bestimmend, verwandelt der Mensch ein Stück seiner ima-
ginären Freiheit in ihr Gegentheil — zunächst selber blos
ein imaginäres, aber durch die Ausführung reales. Sonst
sein eigener Herr, wird er, sich bindend, sein eigener
Schuldner und Knecht. Denn allerdings: dieser ganze
Begriff kann in seiner Reinheit nur aufgefasst werden,
wenn alle solche willkürliche Thätigkeit als ein Opfer
vorgestellt wird, mithin als an und für sich ungern, mit
Widerwillen geschehend, so dass nur der Gedanke an den
(allein erwünschten) Zweck, d. i. an Genuss, Vortheil,
Glück, dazu als zu freiwilliger bewegen kann; und die
Freiwilligkeit ist eben die Unfreiheit in Bezug auf sich
selber oder der Selbstzwang, da fremder Zwang und Noth
sie zerstört. Alle Willkür enthält etwas Unnatürliches und
Falsches. Dem ist die Empfindung des unbefangenen Zu-
schauers gemäss, welche sich geltend macht, wenn häufig
solche Thätigkeit als »gemacht«, »forçirt«, »tendenziös« oder
»absichtlich« bezeichnet wird; eine Empfindung ästhetisch-
moralischen Missfallens, welche in Leben und Dichtung oft
auf energische Weise sich geltend macht.

§ 14.

Nun aber wird (wie bekannt genug ist) auf höchst
mannigfache Weise Genuss, Vortheil, Glück erstrebt; in
vielen verschiedenen Dingen wird das höchste Gut zu ruhen
vermuthet. Solche Gegenstände aber können wiederum
unterschieden werden, nach ihrer Beziehung auf die drei
Arten des Lebens. Und innerhalb jeder Kategorie kann
ferner eine Dichotomie stattfinden; indem die Zwecke
anders aussehen, wenn das Denken selber auch den Genuss
sich vorbehält und wesentlich in seiner Thätigkeit die
Lust davon hat; anders, wenn die in ihm enthaltenen, ihm
unterthanen, aber darum vielleicht nicht minder heftigen

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[131/0167] folgt wird, so wird zukünftiges Ereigniss durch das Denken einem Gegenstande gleich, dessen Wirklichkeit bedingt sei durch seine Ursachen, und dessen Ursachen als eigene mögliche Verhaltungen zu Gebote zu stehen scheinen. Und hiernach also seine Willkür als Verfügung über Mittel bestimmend, verwandelt der Mensch ein Stück seiner ima- ginären Freiheit in ihr Gegentheil — zunächst selber blos ein imaginäres, aber durch die Ausführung reales. Sonst sein eigener Herr, wird er, sich bindend, sein eigener Schuldner und Knecht. Denn allerdings: dieser ganze Begriff kann in seiner Reinheit nur aufgefasst werden, wenn alle solche willkürliche Thätigkeit als ein Opfer vorgestellt wird, mithin als an und für sich ungern, mit Widerwillen geschehend, so dass nur der Gedanke an den (allein erwünschten) Zweck, d. i. an Genuss, Vortheil, Glück, dazu als zu freiwilliger bewegen kann; und die Freiwilligkeit ist eben die Unfreiheit in Bezug auf sich selber oder der Selbstzwang, da fremder Zwang und Noth sie zerstört. Alle Willkür enthält etwas Unnatürliches und Falsches. Dem ist die Empfindung des unbefangenen Zu- schauers gemäss, welche sich geltend macht, wenn häufig solche Thätigkeit als »gemacht«, »forçirt«, »tendenziös« oder »absichtlich« bezeichnet wird; eine Empfindung ästhetisch- moralischen Missfallens, welche in Leben und Dichtung oft auf energische Weise sich geltend macht. § 14. Nun aber wird (wie bekannt genug ist) auf höchst mannigfache Weise Genuss, Vortheil, Glück erstrebt; in vielen verschiedenen Dingen wird das höchste Gut zu ruhen vermuthet. Solche Gegenstände aber können wiederum unterschieden werden, nach ihrer Beziehung auf die drei Arten des Lebens. Und innerhalb jeder Kategorie kann ferner eine Dichotomie stattfinden; indem die Zwecke anders aussehen, wenn das Denken selber auch den Genuss sich vorbehält und wesentlich in seiner Thätigkeit die Lust davon hat; anders, wenn die in ihm enthaltenen, ihm unterthanen, aber darum vielleicht nicht minder heftigen 9*

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Zitationshilfe: Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/167>, abgerufen am 29.03.2024.