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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887.

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von Quantitäten und den Verhältnissen derselben zu ein-
ander zu thun haben. Hierauf kömmt aber auch das cau-
sale Denken, insofern als es ein vorhergehendes Ereigniss mit
einem nachfolgenden in Bezug auf ihren objectiven Inhalt
-- wir sagen nunmehr: in Bezug auf die Menge ihrer
Energie -- einander gleichsetzen wird. Und darauf beruhet
jedes wissenschaftliche Verfahren, wie solches, seinen Rudi-
menten nach, auch eingeschlossen liegt in allen praktischen
Betrieben und Künsten, wenn auch hier überall mehr un-
mittelbare Anschauung und Gefühl für das Richtige als
discursive Erkenntniss und Bewusstheit der Verhältnisse
und der Regeln erfordert wird. Aber man pflegt anzu-
nehmen, dass diese immer das ursprünglich Gegebene sei,
jenes allmählich durch mit einander verwachsende Associa-
tionen daraus entstehe. Diese Theorie bleibt hier -- wie
auch aus der früheren Erörterung sich ergibt -- nur in
erheblich modificirter Geltung bestehen. Denn jene Er-
kenntniss ist schon etwas Anderes, wenn sie von einem
a priori bereiten Gemüth und aus sich selber gebildetem
Talent, gleichsam getrunken wird, etwas Anderes, wenn
ohne solche Voraussetzung äusserlich angeeignet, angefasst
und gebraucht. Von der ersten Art ist sie einer Leier
gleich, welche der Kundige spielt; von der anderen einem
Leierkasten, welchen der Beliebige drehend in Bewegung
setzt. Also ist es auch mit dem Wissen der Gerechtigkeit:
entweder es ist, schon nach seiner Natur, ein Zusammen-
leben damit durch innere Ueberzeugung und lebendigen
Glauben; oder sie ist ein todter Begriff und bleibt es: dessen
man sich bemächtigt hat, und ihn zur Anwendung bringen
mag. Das Eine ist des Edlen Sache; das Andere Sache
eines Jeden. Indessen hierüber ist Vieles gesagt zu werden
übrig.

§ 34.

In den Zusammenhang kehrt aber folgende Betrach-
tung zurück. Wenn dem Manne der Vorzug der Klugheit
zugeschrieben wird, so ist jedoch Klugheit keineswegs gleich
mit intellectueller Kraft überhaupt. Insofern als diese pro-
ductiv ist, synthetisch, so ist vielmehr der weibliche Geist

von Quantitäten und den Verhältnissen derselben zu ein-
ander zu thun haben. Hierauf kömmt aber auch das cau-
sale Denken, insofern als es ein vorhergehendes Ereigniss mit
einem nachfolgenden in Bezug auf ihren objectiven Inhalt
— wir sagen nunmehr: in Bezug auf die Menge ihrer
Energie — einander gleichsetzen wird. Und darauf beruhet
jedes wissenschaftliche Verfahren, wie solches, seinen Rudi-
menten nach, auch eingeschlossen liegt in allen praktischen
Betrieben und Künsten, wenn auch hier überall mehr un-
mittelbare Anschauung und Gefühl für das Richtige als
discursive Erkenntniss und Bewusstheit der Verhältnisse
und der Regeln erfordert wird. Aber man pflegt anzu-
nehmen, dass diese immer das ursprünglich Gegebene sei,
jenes allmählich durch mit einander verwachsende Associa-
tionen daraus entstehe. Diese Theorie bleibt hier — wie
auch aus der früheren Erörterung sich ergibt — nur in
erheblich modificirter Geltung bestehen. Denn jene Er-
kenntniss ist schon etwas Anderes, wenn sie von einem
a priori bereiten Gemüth und aus sich selber gebildetem
Talent, gleichsam getrunken wird, etwas Anderes, wenn
ohne solche Voraussetzung äusserlich angeeignet, angefasst
und gebraucht. Von der ersten Art ist sie einer Leier
gleich, welche der Kundige spielt; von der anderen einem
Leierkasten, welchen der Beliebige drehend in Bewegung
setzt. Also ist es auch mit dem Wissen der Gerechtigkeit:
entweder es ist, schon nach seiner Natur, ein Zusammen-
leben damit durch innere Ueberzeugung und lebendigen
Glauben; oder sie ist ein todter Begriff und bleibt es: dessen
man sich bemächtigt hat, und ihn zur Anwendung bringen
mag. Das Eine ist des Edlen Sache; das Andere Sache
eines Jeden. Indessen hierüber ist Vieles gesagt zu werden
übrig.

§ 34.

In den Zusammenhang kehrt aber folgende Betrach-
tung zurück. Wenn dem Manne der Vorzug der Klugheit
zugeschrieben wird, so ist jedoch Klugheit keineswegs gleich
mit intellectueller Kraft überhaupt. Insofern als diese pro-
ductiv ist, synthetisch, so ist vielmehr der weibliche Geist

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[170/0206] von Quantitäten und den Verhältnissen derselben zu ein- ander zu thun haben. Hierauf kömmt aber auch das cau- sale Denken, insofern als es ein vorhergehendes Ereigniss mit einem nachfolgenden in Bezug auf ihren objectiven Inhalt — wir sagen nunmehr: in Bezug auf die Menge ihrer Energie — einander gleichsetzen wird. Und darauf beruhet jedes wissenschaftliche Verfahren, wie solches, seinen Rudi- menten nach, auch eingeschlossen liegt in allen praktischen Betrieben und Künsten, wenn auch hier überall mehr un- mittelbare Anschauung und Gefühl für das Richtige als discursive Erkenntniss und Bewusstheit der Verhältnisse und der Regeln erfordert wird. Aber man pflegt anzu- nehmen, dass diese immer das ursprünglich Gegebene sei, jenes allmählich durch mit einander verwachsende Associa- tionen daraus entstehe. Diese Theorie bleibt hier — wie auch aus der früheren Erörterung sich ergibt — nur in erheblich modificirter Geltung bestehen. Denn jene Er- kenntniss ist schon etwas Anderes, wenn sie von einem a priori bereiten Gemüth und aus sich selber gebildetem Talent, gleichsam getrunken wird, etwas Anderes, wenn ohne solche Voraussetzung äusserlich angeeignet, angefasst und gebraucht. Von der ersten Art ist sie einer Leier gleich, welche der Kundige spielt; von der anderen einem Leierkasten, welchen der Beliebige drehend in Bewegung setzt. Also ist es auch mit dem Wissen der Gerechtigkeit: entweder es ist, schon nach seiner Natur, ein Zusammen- leben damit durch innere Ueberzeugung und lebendigen Glauben; oder sie ist ein todter Begriff und bleibt es: dessen man sich bemächtigt hat, und ihn zur Anwendung bringen mag. Das Eine ist des Edlen Sache; das Andere Sache eines Jeden. Indessen hierüber ist Vieles gesagt zu werden übrig. § 34. In den Zusammenhang kehrt aber folgende Betrach- tung zurück. Wenn dem Manne der Vorzug der Klugheit zugeschrieben wird, so ist jedoch Klugheit keineswegs gleich mit intellectueller Kraft überhaupt. Insofern als diese pro- ductiv ist, synthetisch, so ist vielmehr der weibliche Geist

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Zitationshilfe: Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/206>, abgerufen am 19.04.2024.