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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887.

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als die abstracte Vernunft -- deren jedes vernünftige Wesen
in seinem Begriffe theilhaftig ist -- insofern dieselbe zu
wollen und zu wirken gedacht wird. Die abstracte Vernunft
in einer speciellen Betrachtung ist die wissenschaft-
liche
Vernunft, und deren Subject ist der objective Rela-
tionen erkennende, d. h. der abstracte Mensch. Und folg-
lich verhalten sich wissenschaftliche Begriffe, die ihrem
gewöhnlichen Ursprunge und ihrer dinglichen Beschaffen-
heit nach Urtheile sind, durch welche Empfindungscomplexen
Namen gegeben werden, innerhalb der Wissenschaft, wie
Waaren innerhalb der Gesellschaft. Sie kommen zusammen
im System wie Waaren auf dem Markte. Der oberste
wissenschaftliche Begriff, welcher nicht mehr den Namen
von etwas Wirklichem enthält, ist gleich dem Gelde. Z. B.
der Begriff Atom oder der Begriff Energie.

§ 22.

Der einige Wille in jedem Tausche, sofern der Tausch
als gesellschaftlicher Act gedacht wird, heisst Contract.
Er ist die Resultante aus zwei divergirenden Einzelwillen,
die sich in einem Punkte schneiden. Er dauert bis zur
Vollendung des Tausches, will und fordert die zwei Acte,
aus welchen derselbe sich zusammensetzt; jeder Act kann
aber in eine Reihe von Theilacten auseinanderfallen. Da
er sich immer auf mögliche Handlungen bezieht, so wird
er inhaltlos und hört auf, indem solche Handlungen wirk-
lich, oder indem sie unmöglich werden: jenes Erfüllung,
dieses Bruch des Contractes. Der einzelne Wille, welcher
in den Contract eingeht, bezieht sich entweder auf seine
gegenwärtige und wirkliche Handlung -- wie in Hingabe
von Waare oder Geld -- oder auf seine zukünftige und
mögliche Handlung -- sei es als einen übrigbleibenden
Theil der in ihrer Gesammtheit als gegenwärtig gedachten,
folglich etwa als Hingabe des Restes von Waare oder Geld
zum Inhalte habend; sei es, dass dieselbe ganz und gar und
mit ihrem Beginne in einen entfernten Zeitpunkt (den
Termin) hineingedacht werde --; so dass entweder für den
Theil oder für das Ganze der blosse Wille hingegeben
und angenommen wird. Der blosse Wille kann zwar auch

als die abstracte Vernunft — deren jedes vernünftige Wesen
in seinem Begriffe theilhaftig ist — insofern dieselbe zu
wollen und zu wirken gedacht wird. Die abstracte Vernunft
in einer speciellen Betrachtung ist die wissenschaft-
liche
Vernunft, und deren Subject ist der objective Rela-
tionen erkennende, d. h. der abstracte Mensch. Und folg-
lich verhalten sich wissenschaftliche Begriffe, die ihrem
gewöhnlichen Ursprunge und ihrer dinglichen Beschaffen-
heit nach Urtheile sind, durch welche Empfindungscomplexen
Namen gegeben werden, innerhalb der Wissenschaft, wie
Waaren innerhalb der Gesellschaft. Sie kommen zusammen
im System wie Waaren auf dem Markte. Der oberste
wissenschaftliche Begriff, welcher nicht mehr den Namen
von etwas Wirklichem enthält, ist gleich dem Gelde. Z. B.
der Begriff Atom oder der Begriff Energie.

§ 22.

Der einige Wille in jedem Tausche, sofern der Tausch
als gesellschaftlicher Act gedacht wird, heisst Contract.
Er ist die Resultante aus zwei divergirenden Einzelwillen,
die sich in einem Punkte schneiden. Er dauert bis zur
Vollendung des Tausches, will und fordert die zwei Acte,
aus welchen derselbe sich zusammensetzt; jeder Act kann
aber in eine Reihe von Theilacten auseinanderfallen. Da
er sich immer auf mögliche Handlungen bezieht, so wird
er inhaltlos und hört auf, indem solche Handlungen wirk-
lich, oder indem sie unmöglich werden: jenes Erfüllung,
dieses Bruch des Contractes. Der einzelne Wille, welcher
in den Contract eingeht, bezieht sich entweder auf seine
gegenwärtige und wirkliche Handlung — wie in Hingabe
von Waare oder Geld — oder auf seine zukünftige und
mögliche Handlung — sei es als einen übrigbleibenden
Theil der in ihrer Gesammtheit als gegenwärtig gedachten,
folglich etwa als Hingabe des Restes von Waare oder Geld
zum Inhalte habend; sei es, dass dieselbe ganz und gar und
mit ihrem Beginne in einen entfernten Zeitpunkt (den
Termin) hineingedacht werde —; so dass entweder für den
Theil oder für das Ganze der blosse Wille hingegeben
und angenommen wird. Der blosse Wille kann zwar auch

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[54/0090] als die abstracte Vernunft — deren jedes vernünftige Wesen in seinem Begriffe theilhaftig ist — insofern dieselbe zu wollen und zu wirken gedacht wird. Die abstracte Vernunft in einer speciellen Betrachtung ist die wissenschaft- liche Vernunft, und deren Subject ist der objective Rela- tionen erkennende, d. h. der abstracte Mensch. Und folg- lich verhalten sich wissenschaftliche Begriffe, die ihrem gewöhnlichen Ursprunge und ihrer dinglichen Beschaffen- heit nach Urtheile sind, durch welche Empfindungscomplexen Namen gegeben werden, innerhalb der Wissenschaft, wie Waaren innerhalb der Gesellschaft. Sie kommen zusammen im System wie Waaren auf dem Markte. Der oberste wissenschaftliche Begriff, welcher nicht mehr den Namen von etwas Wirklichem enthält, ist gleich dem Gelde. Z. B. der Begriff Atom oder der Begriff Energie. § 22. Der einige Wille in jedem Tausche, sofern der Tausch als gesellschaftlicher Act gedacht wird, heisst Contract. Er ist die Resultante aus zwei divergirenden Einzelwillen, die sich in einem Punkte schneiden. Er dauert bis zur Vollendung des Tausches, will und fordert die zwei Acte, aus welchen derselbe sich zusammensetzt; jeder Act kann aber in eine Reihe von Theilacten auseinanderfallen. Da er sich immer auf mögliche Handlungen bezieht, so wird er inhaltlos und hört auf, indem solche Handlungen wirk- lich, oder indem sie unmöglich werden: jenes Erfüllung, dieses Bruch des Contractes. Der einzelne Wille, welcher in den Contract eingeht, bezieht sich entweder auf seine gegenwärtige und wirkliche Handlung — wie in Hingabe von Waare oder Geld — oder auf seine zukünftige und mögliche Handlung — sei es als einen übrigbleibenden Theil der in ihrer Gesammtheit als gegenwärtig gedachten, folglich etwa als Hingabe des Restes von Waare oder Geld zum Inhalte habend; sei es, dass dieselbe ganz und gar und mit ihrem Beginne in einen entfernten Zeitpunkt (den Termin) hineingedacht werde —; so dass entweder für den Theil oder für das Ganze der blosse Wille hingegeben und angenommen wird. Der blosse Wille kann zwar auch

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Zitationshilfe: Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/90>, abgerufen am 28.03.2024.