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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887.

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das Debitum ist wahres Eigenthum in Bezug auf jeden
Dritten, selbst nach dem Termine des Verfalles (und hier-
auf beruht der abstracte Schutz der possessio in gesell-
schaftlichen Rechtssystemen), ja auch in Bezug auf den
Gläubiger bis zu diesem Termine. Daher ist es nur in
Bezug auf diesen und nur durch diese Nothwendigkeit der
"Zahlung" beschränkt, d. h. negirt. Ebenso ist aber das
Eigenthum des Gläubigers an derselben Sache, welches
vom Termine an absolut ist gegen Alle, bis dahin mit allen
Consequenzen negirt durch die Abtretung an den Schuldner;
mit dieser seiner Beschränkung heisst es "Forderung" in Bezug
auf den Schuldner, als Freiheit oder Recht, denselben zur
Herausgabe zu nöthigen, von dem Termine des Verfalles
ab. Es ist also ein gemeinsames und getheiltes Eigen-
thum in dieser Zwischenzeit: indem das vollkommene Eigen-
thum dem Gläubiger gehört, mit Ausnahme der zeit-
weiligen Verfügung, welche dem Schuldner gehört.

§ 23.

Somit ist in einem solchen besonderen Contracte
ebensosehr der Empfänger activ, welcher "den Credit gibt",
als der Versprechende, welcher den Credit "nimmt". Der
regelmässige Fall aber, welcher aus dem Tausch von Waare
gegen Waare, durch die Entwicklung desselben zum Ver-
kauf von Waare gegen Geld hervorgeht, ist der Verkauf von
Waare gegen (gegebenen) Credit. Durch die Form des Credits
trifft dieses Geschäft zusammen mit dem Darlehn, welches
in seiner entfalteten Erscheinung Verkauf von Geld gegen
Credit ist. Aber dort ist Credit die aufgeschobene und oft --
zur grossen Erleichterung des Tauschverkehrs -- durch
Gegenforderungen aufgehobene Zahlung: das Ver-
sprechen leistet, entweder zeitweilig oder überhaupt, die
Dienste des Geldes; es ist Geldsurrogat, daher um so voll-
kommener, je mehr es durch Zahlungsfähigkeit oder durch
Gegenforderungen des Schuldners zuverlässig ist. Um so
mehr kann es gleich barem Gelde, auch vom Empfänger
aus, als Kaufmittel und als Zahlungsmittel dienen. Den
Geldwerth, auf dessen Namen es angenommen wird, hat es
für Geber und Empfänger: dem Begriffe des Geldes ent-

das Debitum ist wahres Eigenthum in Bezug auf jeden
Dritten, selbst nach dem Termine des Verfalles (und hier-
auf beruht der abstracte Schutz der possessio in gesell-
schaftlichen Rechtssystemen), ja auch in Bezug auf den
Gläubiger bis zu diesem Termine. Daher ist es nur in
Bezug auf diesen und nur durch diese Nothwendigkeit der
»Zahlung« beschränkt, d. h. negirt. Ebenso ist aber das
Eigenthum des Gläubigers an derselben Sache, welches
vom Termine an absolut ist gegen Alle, bis dahin mit allen
Consequenzen negirt durch die Abtretung an den Schuldner;
mit dieser seiner Beschränkung heisst es »Forderung« in Bezug
auf den Schuldner, als Freiheit oder Recht, denselben zur
Herausgabe zu nöthigen, von dem Termine des Verfalles
ab. Es ist also ein gemeinsames und getheiltes Eigen-
thum in dieser Zwischenzeit: indem das vollkommene Eigen-
thum dem Gläubiger gehört, mit Ausnahme der zeit-
weiligen Verfügung, welche dem Schuldner gehört.

§ 23.

Somit ist in einem solchen besonderen Contracte
ebensosehr der Empfänger activ, welcher »den Credit gibt«,
als der Versprechende, welcher den Credit »nimmt«. Der
regelmässige Fall aber, welcher aus dem Tausch von Waare
gegen Waare, durch die Entwicklung desselben zum Ver-
kauf von Waare gegen Geld hervorgeht, ist der Verkauf von
Waare gegen (gegebenen) Credit. Durch die Form des Credits
trifft dieses Geschäft zusammen mit dem Darlehn, welches
in seiner entfalteten Erscheinung Verkauf von Geld gegen
Credit ist. Aber dort ist Credit die aufgeschobene und oft —
zur grossen Erleichterung des Tauschverkehrs — durch
Gegenforderungen aufgehobene Zahlung: das Ver-
sprechen leistet, entweder zeitweilig oder überhaupt, die
Dienste des Geldes; es ist Geldsurrogat, daher um so voll-
kommener, je mehr es durch Zahlungsfähigkeit oder durch
Gegenforderungen des Schuldners zuverlässig ist. Um so
mehr kann es gleich barem Gelde, auch vom Empfänger
aus, als Kaufmittel und als Zahlungsmittel dienen. Den
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[56/0092] das Debitum ist wahres Eigenthum in Bezug auf jeden Dritten, selbst nach dem Termine des Verfalles (und hier- auf beruht der abstracte Schutz der possessio in gesell- schaftlichen Rechtssystemen), ja auch in Bezug auf den Gläubiger bis zu diesem Termine. Daher ist es nur in Bezug auf diesen und nur durch diese Nothwendigkeit der »Zahlung« beschränkt, d. h. negirt. Ebenso ist aber das Eigenthum des Gläubigers an derselben Sache, welches vom Termine an absolut ist gegen Alle, bis dahin mit allen Consequenzen negirt durch die Abtretung an den Schuldner; mit dieser seiner Beschränkung heisst es »Forderung« in Bezug auf den Schuldner, als Freiheit oder Recht, denselben zur Herausgabe zu nöthigen, von dem Termine des Verfalles ab. Es ist also ein gemeinsames und getheiltes Eigen- thum in dieser Zwischenzeit: indem das vollkommene Eigen- thum dem Gläubiger gehört, mit Ausnahme der zeit- weiligen Verfügung, welche dem Schuldner gehört. § 23. Somit ist in einem solchen besonderen Contracte ebensosehr der Empfänger activ, welcher »den Credit gibt«, als der Versprechende, welcher den Credit »nimmt«. Der regelmässige Fall aber, welcher aus dem Tausch von Waare gegen Waare, durch die Entwicklung desselben zum Ver- kauf von Waare gegen Geld hervorgeht, ist der Verkauf von Waare gegen (gegebenen) Credit. Durch die Form des Credits trifft dieses Geschäft zusammen mit dem Darlehn, welches in seiner entfalteten Erscheinung Verkauf von Geld gegen Credit ist. Aber dort ist Credit die aufgeschobene und oft — zur grossen Erleichterung des Tauschverkehrs — durch Gegenforderungen aufgehobene Zahlung: das Ver- sprechen leistet, entweder zeitweilig oder überhaupt, die Dienste des Geldes; es ist Geldsurrogat, daher um so voll- kommener, je mehr es durch Zahlungsfähigkeit oder durch Gegenforderungen des Schuldners zuverlässig ist. Um so mehr kann es gleich barem Gelde, auch vom Empfänger aus, als Kaufmittel und als Zahlungsmittel dienen. Den Geldwerth, auf dessen Namen es angenommen wird, hat es für Geber und Empfänger: dem Begriffe des Geldes ent-

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Zitationshilfe: Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/92>, abgerufen am 16.04.2024.