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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 1. Deutschland nach dem Westphälischen Frieden.
Hohenzollern schützend und versöhnend ein. Sie rufen die Wiener
Judenschaft an die Spree, sie sichern "via facti", des Reiches ungefragt,
den Protestanten Heidelbergs den Besitz ihrer Kirchen, sie bereiten den evan-
gelischen Salzburgern in Ostpreußen eine neue Heimath. So strömte Jahr
für Jahr eine Fülle jungen Lebens in die entvölkerten Ostmarken hinüber;
das deutsche Blut, das die Habsburger von sich stießen, befruchtete die
Lande ihres Nebenbuhlers. Beim Tode Friedrichs II. bestand etwa ein
Drittel der Bevölkerung des Staates aus den Nachkommen der Ein-
wanderer, die seit den Tagen des großen Kurfürsten zugezogen.

Erst diese Kirchenpolitik der Hohenzollern hat das Zeitalter der
Religionskriege abgeschlossen; sie zwang schließlich die besseren weltlichen
Fürsten zur Nachahmung und entzog zugleich den geistlichen Staaten
das letzte Recht des Daseins; denn wozu noch geistliche Reichsfürsten,
seit die katholische Kirche unter den Flügeln des preußischen Adlers ge-
sicherte Freiheit fand? Friedrich Wilhelm erwarb im Westphälischen
Frieden die großen Stifter Magdeburg, Halberstadt, Minden, Cammin.
Sein Staat ward wie kein anderer in Deutschland durch die Güter der
römischen Kirche bereichert; doch er rechtfertigte den Raub, denn er über-
nahm mit dem Kirchengute zugleich die großen Culturaufgaben, welche die
Kirche des Mittelalters einst für den unreifen Staat erfüllt hatte, Armen-
pflege und Volkserziehung, und er verstand den neuen Pflichten zu ge-
nügen. Dasselbe Gebot der Selbsterhaltung, das die Hohenzollern nöthigte
Frieden zu halten zwischen Katholiken und Protestanten, drängte sie auch
innerhalb der evangelischen Kirche zwischen den Gegensätzen zu vermitteln.
Der Gedanke der evangelischen Union blieb dem preußischen Staate
eigenthümlich seit Johann Sigismund zuerst den lutherischen Eiferern
das Zetern wider die Calvinisten untersagte, und was anfänglich die
Noth erzwang, ward endlich zur politischen Ueberlieferung, zur Herzens-
sache des Fürstenhauses.

Wie der preußische Staat also der deutschen Nation den kirchlichen
Frieden sicherte, der ihr erlaubte wieder theilzunehmen an dem Schaffen
der Culturvölker, so gab er ihr auch zurück was ihr seit den Tagen der
Glaubensspaltung fehlte: einen Willen gegen das Ausland. Ueberall im
Reiche verkamen reiche Kräfte in engen Verhältnissen, und wer hoch
hinausstrebte eilte in die Fremde; da faßte Friedrich Wilhelms gewaltige
Hand die dürftigen Mittel der ärmsten deutschen Gebiete entschlossen zu-
sammen und zwang sein Volk der Heimath zu dienen und zeigte dem Welt-
theil wieder was das deutsche Schwert vermöge. Das Reich zehrte von
alten Erinnerungen, bewahrte die Staatsformen des Mittelalters mitten
im neuen Europa; diese norddeutsche Macht aber wurzelte fest in der
modernen Welt, über den Trümmern der alten Kirchenherrschaft und der
altständischen Rechte stieg ihre starke Staatsgewalt empor, sie lebte den
Sorgen der Gegenwart und den Plänen einer großen Zukunft. Mit

I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.
Hohenzollern ſchützend und verſöhnend ein. Sie rufen die Wiener
Judenſchaft an die Spree, ſie ſichern „via facti“, des Reiches ungefragt,
den Proteſtanten Heidelbergs den Beſitz ihrer Kirchen, ſie bereiten den evan-
geliſchen Salzburgern in Oſtpreußen eine neue Heimath. So ſtrömte Jahr
für Jahr eine Fülle jungen Lebens in die entvölkerten Oſtmarken hinüber;
das deutſche Blut, das die Habsburger von ſich ſtießen, befruchtete die
Lande ihres Nebenbuhlers. Beim Tode Friedrichs II. beſtand etwa ein
Drittel der Bevölkerung des Staates aus den Nachkommen der Ein-
wanderer, die ſeit den Tagen des großen Kurfürſten zugezogen.

Erſt dieſe Kirchenpolitik der Hohenzollern hat das Zeitalter der
Religionskriege abgeſchloſſen; ſie zwang ſchließlich die beſſeren weltlichen
Fürſten zur Nachahmung und entzog zugleich den geiſtlichen Staaten
das letzte Recht des Daſeins; denn wozu noch geiſtliche Reichsfürſten,
ſeit die katholiſche Kirche unter den Flügeln des preußiſchen Adlers ge-
ſicherte Freiheit fand? Friedrich Wilhelm erwarb im Weſtphäliſchen
Frieden die großen Stifter Magdeburg, Halberſtadt, Minden, Cammin.
Sein Staat ward wie kein anderer in Deutſchland durch die Güter der
römiſchen Kirche bereichert; doch er rechtfertigte den Raub, denn er über-
nahm mit dem Kirchengute zugleich die großen Culturaufgaben, welche die
Kirche des Mittelalters einſt für den unreifen Staat erfüllt hatte, Armen-
pflege und Volkserziehung, und er verſtand den neuen Pflichten zu ge-
nügen. Daſſelbe Gebot der Selbſterhaltung, das die Hohenzollern nöthigte
Frieden zu halten zwiſchen Katholiken und Proteſtanten, drängte ſie auch
innerhalb der evangeliſchen Kirche zwiſchen den Gegenſätzen zu vermitteln.
Der Gedanke der evangeliſchen Union blieb dem preußiſchen Staate
eigenthümlich ſeit Johann Sigismund zuerſt den lutheriſchen Eiferern
das Zetern wider die Calviniſten unterſagte, und was anfänglich die
Noth erzwang, ward endlich zur politiſchen Ueberlieferung, zur Herzens-
ſache des Fürſtenhauſes.

Wie der preußiſche Staat alſo der deutſchen Nation den kirchlichen
Frieden ſicherte, der ihr erlaubte wieder theilzunehmen an dem Schaffen
der Culturvölker, ſo gab er ihr auch zurück was ihr ſeit den Tagen der
Glaubensſpaltung fehlte: einen Willen gegen das Ausland. Ueberall im
Reiche verkamen reiche Kräfte in engen Verhältniſſen, und wer hoch
hinausſtrebte eilte in die Fremde; da faßte Friedrich Wilhelms gewaltige
Hand die dürftigen Mittel der ärmſten deutſchen Gebiete entſchloſſen zu-
ſammen und zwang ſein Volk der Heimath zu dienen und zeigte dem Welt-
theil wieder was das deutſche Schwert vermöge. Das Reich zehrte von
alten Erinnerungen, bewahrte die Staatsformen des Mittelalters mitten
im neuen Europa; dieſe norddeutſche Macht aber wurzelte feſt in der
modernen Welt, über den Trümmern der alten Kirchenherrſchaft und der
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Sorgen der Gegenwart und den Plänen einer großen Zukunft. Mit

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[30/0046] I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden. Hohenzollern ſchützend und verſöhnend ein. Sie rufen die Wiener Judenſchaft an die Spree, ſie ſichern „via facti“, des Reiches ungefragt, den Proteſtanten Heidelbergs den Beſitz ihrer Kirchen, ſie bereiten den evan- geliſchen Salzburgern in Oſtpreußen eine neue Heimath. So ſtrömte Jahr für Jahr eine Fülle jungen Lebens in die entvölkerten Oſtmarken hinüber; das deutſche Blut, das die Habsburger von ſich ſtießen, befruchtete die Lande ihres Nebenbuhlers. Beim Tode Friedrichs II. beſtand etwa ein Drittel der Bevölkerung des Staates aus den Nachkommen der Ein- wanderer, die ſeit den Tagen des großen Kurfürſten zugezogen. Erſt dieſe Kirchenpolitik der Hohenzollern hat das Zeitalter der Religionskriege abgeſchloſſen; ſie zwang ſchließlich die beſſeren weltlichen Fürſten zur Nachahmung und entzog zugleich den geiſtlichen Staaten das letzte Recht des Daſeins; denn wozu noch geiſtliche Reichsfürſten, ſeit die katholiſche Kirche unter den Flügeln des preußiſchen Adlers ge- ſicherte Freiheit fand? Friedrich Wilhelm erwarb im Weſtphäliſchen Frieden die großen Stifter Magdeburg, Halberſtadt, Minden, Cammin. Sein Staat ward wie kein anderer in Deutſchland durch die Güter der römiſchen Kirche bereichert; doch er rechtfertigte den Raub, denn er über- nahm mit dem Kirchengute zugleich die großen Culturaufgaben, welche die Kirche des Mittelalters einſt für den unreifen Staat erfüllt hatte, Armen- pflege und Volkserziehung, und er verſtand den neuen Pflichten zu ge- nügen. Daſſelbe Gebot der Selbſterhaltung, das die Hohenzollern nöthigte Frieden zu halten zwiſchen Katholiken und Proteſtanten, drängte ſie auch innerhalb der evangeliſchen Kirche zwiſchen den Gegenſätzen zu vermitteln. Der Gedanke der evangeliſchen Union blieb dem preußiſchen Staate eigenthümlich ſeit Johann Sigismund zuerſt den lutheriſchen Eiferern das Zetern wider die Calviniſten unterſagte, und was anfänglich die Noth erzwang, ward endlich zur politiſchen Ueberlieferung, zur Herzens- ſache des Fürſtenhauſes. Wie der preußiſche Staat alſo der deutſchen Nation den kirchlichen Frieden ſicherte, der ihr erlaubte wieder theilzunehmen an dem Schaffen der Culturvölker, ſo gab er ihr auch zurück was ihr ſeit den Tagen der Glaubensſpaltung fehlte: einen Willen gegen das Ausland. Ueberall im Reiche verkamen reiche Kräfte in engen Verhältniſſen, und wer hoch hinausſtrebte eilte in die Fremde; da faßte Friedrich Wilhelms gewaltige Hand die dürftigen Mittel der ärmſten deutſchen Gebiete entſchloſſen zu- ſammen und zwang ſein Volk der Heimath zu dienen und zeigte dem Welt- theil wieder was das deutſche Schwert vermöge. Das Reich zehrte von alten Erinnerungen, bewahrte die Staatsformen des Mittelalters mitten im neuen Europa; dieſe norddeutſche Macht aber wurzelte feſt in der modernen Welt, über den Trümmern der alten Kirchenherrſchaft und der altſtändiſchen Rechte ſtieg ihre ſtarke Staatsgewalt empor, ſie lebte den Sorgen der Gegenwart und den Plänen einer großen Zukunft. Mit

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/46>, abgerufen am 24.04.2024.