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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Verhandlungen mit Herzog Karl.
Oesterreich für den verächtlichsten der deutschen Fürsten. Aber Nagler blieb
standhaft, und am 4. November -- zwei Monate nach der Flucht des
Welfen -- beschloß die Bundesversammlung dem Herzog Karl zu eröffnen,
daß er die Landschaftsordnung von 1820 nur auf verfassungsmäßigem
Wege abändern dürfe. Wie lächerlich auch dieser Beschluß in der gänzlich
veränderten Lage klingen mochte, er war doch nothwendig, er sicherte den
unglücklichen Braunschweigern mindestens ihre neue Verfassung. Preußens
Triumph war vollständig, und ingrimmig nannte Metternich im vertrauten
Kreise den einst so hochgeschätzten Nagler einen verkappten Jacobiner.
Außer Oesterreich hatten nur der unverbesserliche Kurfürst von Hessen
und Münch's getreuer Trabant, der Stimmführer der sechzehnten Curie
Leonhardi gegen den Beschluß gestimmt.*) Nun erst konnte man an die
Frage des Augenblicks herantreten. An die Wiedereinsetzung des Herzogs
Karl glaubte eigentlich Niemand mehr, nicht einmal der strengste aller
Legitimisten Czar Nikolaus. Der antwortete auf den Hilferuf des Flüch-
tigen: "Wenn ich die Ereignisse, von denen Sie mir sprechen, beklage, so
beklage ich doch nicht weniger die verhängnißvollen Verirrungen, welche
sie hervorgerufen haben, und die Täuschungen, welche Ew. Durchlaucht
noch über ihre unvermeidlichen Folgen zu hegen scheinen."**) Auch Met-
ternich hatte dem preußischen Gesandten wiederholt ausgesprochen, daß
Karl jetzt unmöglich sei, und Kaiser Franz sogar einen freundlichen Brief
an Herzog Wilhelm gerichtet. Aber wie zweideutig blieb bei Alledem
Oesterreichs Haltung. Als der neue k. k. Gesandte, Hruby, in Braun-
schweig erschien, brachte er ein Beglaubigungsschreiben an Herzog Karl
mit, und dies Schreiben sollte er dem Bruder des Herzogs als dessen
Stellvertreter überreichen.***) Münch begann unterdessen wieder sein altes
Spiel gegen Nagler, und bei der ängstlichen Zerfahrenheit der Versamm-
lung durfte er wohl hoffen die Entscheidung abermals hinauszuzögern.
Da wurde der Bundestag durch eine neue Thorheit des flüchtigen Welfen
zum Handeln gezwungen.

Am 8. November hatte Karl die Verhandlungen mit den englischen
Ministern plötzlich abgebrochen, am folgenden Tage war er aus England
verschwunden. Acht Tage später tauchte er in der Frankfurter Gegend
wieder auf; der Jude Henrici, der soeben aus dem Londoner Schuldge-
fängniß entlassene vormalige bairische Lieutenant Bender v. Bienenthal
und einige andere Abenteurer gleichen Schlages bildeten sein Gefolge.
Er kam mit gefüllten Taschen und war entschlossen, sich mit einer Frei-
schaar die Krone zurückzuerobern. Da Herzog Wilhelm seiner Vollmacht
nicht öffentlich erwähnt hatte, so betrachtete Karl ihn fortan als Feind,

*) Nagler's Berichte, 26. 31. Oct. 6. Nov. 1830.
**) Kaiser Nikolaus an Herzog Karl von Braunschweig, 25. Nov. (a. St.) 1830.
***) Maltzahn's Bericht, 7. Oct. Kaiser Franz an H. Wilhelm v. Braunschweig,
17. Oct. 1830.

Verhandlungen mit Herzog Karl.
Oeſterreich für den verächtlichſten der deutſchen Fürſten. Aber Nagler blieb
ſtandhaft, und am 4. November — zwei Monate nach der Flucht des
Welfen — beſchloß die Bundesverſammlung dem Herzog Karl zu eröffnen,
daß er die Landſchaftsordnung von 1820 nur auf verfaſſungsmäßigem
Wege abändern dürfe. Wie lächerlich auch dieſer Beſchluß in der gänzlich
veränderten Lage klingen mochte, er war doch nothwendig, er ſicherte den
unglücklichen Braunſchweigern mindeſtens ihre neue Verfaſſung. Preußens
Triumph war vollſtändig, und ingrimmig nannte Metternich im vertrauten
Kreiſe den einſt ſo hochgeſchätzten Nagler einen verkappten Jacobiner.
Außer Oeſterreich hatten nur der unverbeſſerliche Kurfürſt von Heſſen
und Münch’s getreuer Trabant, der Stimmführer der ſechzehnten Curie
Leonhardi gegen den Beſchluß geſtimmt.*) Nun erſt konnte man an die
Frage des Augenblicks herantreten. An die Wiedereinſetzung des Herzogs
Karl glaubte eigentlich Niemand mehr, nicht einmal der ſtrengſte aller
Legitimiſten Czar Nikolaus. Der antwortete auf den Hilferuf des Flüch-
tigen: „Wenn ich die Ereigniſſe, von denen Sie mir ſprechen, beklage, ſo
beklage ich doch nicht weniger die verhängnißvollen Verirrungen, welche
ſie hervorgerufen haben, und die Täuſchungen, welche Ew. Durchlaucht
noch über ihre unvermeidlichen Folgen zu hegen ſcheinen.“**) Auch Met-
ternich hatte dem preußiſchen Geſandten wiederholt ausgeſprochen, daß
Karl jetzt unmöglich ſei, und Kaiſer Franz ſogar einen freundlichen Brief
an Herzog Wilhelm gerichtet. Aber wie zweideutig blieb bei Alledem
Oeſterreichs Haltung. Als der neue k. k. Geſandte, Hruby, in Braun-
ſchweig erſchien, brachte er ein Beglaubigungsſchreiben an Herzog Karl
mit, und dies Schreiben ſollte er dem Bruder des Herzogs als deſſen
Stellvertreter überreichen.***) Münch begann unterdeſſen wieder ſein altes
Spiel gegen Nagler, und bei der ängſtlichen Zerfahrenheit der Verſamm-
lung durfte er wohl hoffen die Entſcheidung abermals hinauszuzögern.
Da wurde der Bundestag durch eine neue Thorheit des flüchtigen Welfen
zum Handeln gezwungen.

Am 8. November hatte Karl die Verhandlungen mit den engliſchen
Miniſtern plötzlich abgebrochen, am folgenden Tage war er aus England
verſchwunden. Acht Tage ſpäter tauchte er in der Frankfurter Gegend
wieder auf; der Jude Henrici, der ſoeben aus dem Londoner Schuldge-
fängniß entlaſſene vormalige bairiſche Lieutenant Bender v. Bienenthal
und einige andere Abenteurer gleichen Schlages bildeten ſein Gefolge.
Er kam mit gefüllten Taſchen und war entſchloſſen, ſich mit einer Frei-
ſchaar die Krone zurückzuerobern. Da Herzog Wilhelm ſeiner Vollmacht
nicht öffentlich erwähnt hatte, ſo betrachtete Karl ihn fortan als Feind,

*) Nagler’s Berichte, 26. 31. Oct. 6. Nov. 1830.
**) Kaiſer Nikolaus an Herzog Karl von Braunſchweig, 25. Nov. (a. St.) 1830.
***) Maltzahn’s Bericht, 7. Oct. Kaiſer Franz an H. Wilhelm v. Braunſchweig,
17. Oct. 1830.
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[109/0123] Verhandlungen mit Herzog Karl. Oeſterreich für den verächtlichſten der deutſchen Fürſten. Aber Nagler blieb ſtandhaft, und am 4. November — zwei Monate nach der Flucht des Welfen — beſchloß die Bundesverſammlung dem Herzog Karl zu eröffnen, daß er die Landſchaftsordnung von 1820 nur auf verfaſſungsmäßigem Wege abändern dürfe. Wie lächerlich auch dieſer Beſchluß in der gänzlich veränderten Lage klingen mochte, er war doch nothwendig, er ſicherte den unglücklichen Braunſchweigern mindeſtens ihre neue Verfaſſung. Preußens Triumph war vollſtändig, und ingrimmig nannte Metternich im vertrauten Kreiſe den einſt ſo hochgeſchätzten Nagler einen verkappten Jacobiner. Außer Oeſterreich hatten nur der unverbeſſerliche Kurfürſt von Heſſen und Münch’s getreuer Trabant, der Stimmführer der ſechzehnten Curie Leonhardi gegen den Beſchluß geſtimmt. *) Nun erſt konnte man an die Frage des Augenblicks herantreten. An die Wiedereinſetzung des Herzogs Karl glaubte eigentlich Niemand mehr, nicht einmal der ſtrengſte aller Legitimiſten Czar Nikolaus. Der antwortete auf den Hilferuf des Flüch- tigen: „Wenn ich die Ereigniſſe, von denen Sie mir ſprechen, beklage, ſo beklage ich doch nicht weniger die verhängnißvollen Verirrungen, welche ſie hervorgerufen haben, und die Täuſchungen, welche Ew. Durchlaucht noch über ihre unvermeidlichen Folgen zu hegen ſcheinen.“ **) Auch Met- ternich hatte dem preußiſchen Geſandten wiederholt ausgeſprochen, daß Karl jetzt unmöglich ſei, und Kaiſer Franz ſogar einen freundlichen Brief an Herzog Wilhelm gerichtet. Aber wie zweideutig blieb bei Alledem Oeſterreichs Haltung. Als der neue k. k. Geſandte, Hruby, in Braun- ſchweig erſchien, brachte er ein Beglaubigungsſchreiben an Herzog Karl mit, und dies Schreiben ſollte er dem Bruder des Herzogs als deſſen Stellvertreter überreichen. ***) Münch begann unterdeſſen wieder ſein altes Spiel gegen Nagler, und bei der ängſtlichen Zerfahrenheit der Verſamm- lung durfte er wohl hoffen die Entſcheidung abermals hinauszuzögern. Da wurde der Bundestag durch eine neue Thorheit des flüchtigen Welfen zum Handeln gezwungen. Am 8. November hatte Karl die Verhandlungen mit den engliſchen Miniſtern plötzlich abgebrochen, am folgenden Tage war er aus England verſchwunden. Acht Tage ſpäter tauchte er in der Frankfurter Gegend wieder auf; der Jude Henrici, der ſoeben aus dem Londoner Schuldge- fängniß entlaſſene vormalige bairiſche Lieutenant Bender v. Bienenthal und einige andere Abenteurer gleichen Schlages bildeten ſein Gefolge. Er kam mit gefüllten Taſchen und war entſchloſſen, ſich mit einer Frei- ſchaar die Krone zurückzuerobern. Da Herzog Wilhelm ſeiner Vollmacht nicht öffentlich erwähnt hatte, ſo betrachtete Karl ihn fortan als Feind, *) Nagler’s Berichte, 26. 31. Oct. 6. Nov. 1830. **) Kaiſer Nikolaus an Herzog Karl von Braunſchweig, 25. Nov. (a. St.) 1830. ***) Maltzahn’s Bericht, 7. Oct. Kaiſer Franz an H. Wilhelm v. Braunſchweig, 17. Oct. 1830.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/123>, abgerufen am 25.04.2024.