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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Anträge der Agnaten am Bundestage.
Verständigung mit Oesterreich unmöglich sei.*) Wenn die Großmächte
sich nicht einigen konnten, so noch weit weniger die anderen Bundes-
staaten. Ein kläglicher Anblick, wie die kleinen Ameisen in dem Sand-
haufen des Bundesrechts ängstlich durch einander wimmelten, nachdem
der Stecken der Revolution seine Furchen querdurch gezogen hatte. Wie-
der begann Graf Münch seine alten Künste, und wieder zog der Streit
sich unabsehbar in die Länge.

Mittlerweile gestaltete sich die Lage des Herzogthums täglich unleid-
licher. Die Braunschweiger nannten den jungen Welfen in Reden und
Schriften "unseren rechtmäßigen, durch den Willen des Volkes erwählten
Fürsten", sie waren mit ihrer revolutionären Rechtsweisheit längst im
Reinen. Ihr Ober-Appellationsrath K. F. v. Strombeck, ein Bureau-
krat aus der Schule des Königreichs Westphalen, hatte ihnen schon bald
nach dem Schloßbrande in einer Flugschrift die Frage beantwortet: "Was
ist Rechtens, wenn die oberste Staatsgewalt dem Zwecke des Staatsver-
bandes entgegenhandelt?" Da wurden aus der alten, von der historischen
Rechtsschule längst überwundenen, Staatsvertragslehre schnellfertig kecke
Schlüsse gezogen, die der Halbbildung einleuchten mußten: wenn der Fürst
seine Vertragspflichten verletzt, so sind die Unterthanen ihrerseits berechtigt
ihm den Gehorsam aufzukündigen. Die neue Regierung fühlte selbst sehr
lebhaft, daß solche Doctrinen das Wesen der Monarchie aufheben; sie
hätte ihren unbequemen Vertheidiger gern bestraft, aber sie wagte es
nicht weil sie Unruhen besorgte.**) Ihre Furcht stieg noch als im März
ruchbar wurde, daß die Erklärung der Agnaten im Bundestage auf Wider-
spruch gestoßen sei. Länger wollte das Land die quälende Ungewißheit
nicht mehr ertragen; mit wachsender Erbitterung besprach man die Lage,
und schon ward die Frage laut, ob man nicht durch Selbsthilfe dem
zaudernden Bundestage zuvorkommen solle. Am 25. April stand das
Geburtsfest des Herzogs Wilhelm bevor, das ganze Ländchen rüstete sich
den Tag festlich zu begehen. Wie nun, wenn alle Gemeinden dann
gleichzeitig dem neuen Landesherrn freiwillig den Huldigungseid leisteten?
Der Plan konnte sehr leicht gelingen, er entsprach den allgemeinen
Wünschen und Herzog Wilhelm war nicht der Mann ihn gewaltsam zu
hintertreiben; gelang er aber, so erlebte Deutschland das für einen Fürsten-
bund hochgefährliche Beispiel einer demokratischen Fürstenwahl, und wer
sollte dann die vollzogene Kundgebung der Volkssouveränität rückgängig
machen?***)

*) Graf Maltzan's Bericht, Hannover 6. März. Weisung an Frhrn. v. Maltzahn
in Wien, 24. März 1831.
**) Schreiben des braunschw. Ministeriums an den Bundesgesandten v. Marschall,
21. Nov. 1830.
***) Berichte des Grafen Maltzan, Hannover 29. März, 1. April. Graf Veltheim
an Bernstorff, 11. April 1831.

Anträge der Agnaten am Bundestage.
Verſtändigung mit Oeſterreich unmöglich ſei.*) Wenn die Großmächte
ſich nicht einigen konnten, ſo noch weit weniger die anderen Bundes-
ſtaaten. Ein kläglicher Anblick, wie die kleinen Ameiſen in dem Sand-
haufen des Bundesrechts ängſtlich durch einander wimmelten, nachdem
der Stecken der Revolution ſeine Furchen querdurch gezogen hatte. Wie-
der begann Graf Münch ſeine alten Künſte, und wieder zog der Streit
ſich unabſehbar in die Länge.

Mittlerweile geſtaltete ſich die Lage des Herzogthums täglich unleid-
licher. Die Braunſchweiger nannten den jungen Welfen in Reden und
Schriften „unſeren rechtmäßigen, durch den Willen des Volkes erwählten
Fürſten“, ſie waren mit ihrer revolutionären Rechtsweisheit längſt im
Reinen. Ihr Ober-Appellationsrath K. F. v. Strombeck, ein Bureau-
krat aus der Schule des Königreichs Weſtphalen, hatte ihnen ſchon bald
nach dem Schloßbrande in einer Flugſchrift die Frage beantwortet: „Was
iſt Rechtens, wenn die oberſte Staatsgewalt dem Zwecke des Staatsver-
bandes entgegenhandelt?“ Da wurden aus der alten, von der hiſtoriſchen
Rechtsſchule längſt überwundenen, Staatsvertragslehre ſchnellfertig kecke
Schlüſſe gezogen, die der Halbbildung einleuchten mußten: wenn der Fürſt
ſeine Vertragspflichten verletzt, ſo ſind die Unterthanen ihrerſeits berechtigt
ihm den Gehorſam aufzukündigen. Die neue Regierung fühlte ſelbſt ſehr
lebhaft, daß ſolche Doctrinen das Weſen der Monarchie aufheben; ſie
hätte ihren unbequemen Vertheidiger gern beſtraft, aber ſie wagte es
nicht weil ſie Unruhen beſorgte.**) Ihre Furcht ſtieg noch als im März
ruchbar wurde, daß die Erklärung der Agnaten im Bundestage auf Wider-
ſpruch geſtoßen ſei. Länger wollte das Land die quälende Ungewißheit
nicht mehr ertragen; mit wachſender Erbitterung beſprach man die Lage,
und ſchon ward die Frage laut, ob man nicht durch Selbſthilfe dem
zaudernden Bundestage zuvorkommen ſolle. Am 25. April ſtand das
Geburtsfeſt des Herzogs Wilhelm bevor, das ganze Ländchen rüſtete ſich
den Tag feſtlich zu begehen. Wie nun, wenn alle Gemeinden dann
gleichzeitig dem neuen Landesherrn freiwillig den Huldigungseid leiſteten?
Der Plan konnte ſehr leicht gelingen, er entſprach den allgemeinen
Wünſchen und Herzog Wilhelm war nicht der Mann ihn gewaltſam zu
hintertreiben; gelang er aber, ſo erlebte Deutſchland das für einen Fürſten-
bund hochgefährliche Beiſpiel einer demokratiſchen Fürſtenwahl, und wer
ſollte dann die vollzogene Kundgebung der Volksſouveränität rückgängig
machen?***)

*) Graf Maltzan’s Bericht, Hannover 6. März. Weiſung an Frhrn. v. Maltzahn
in Wien, 24. März 1831.
**) Schreiben des braunſchw. Miniſteriums an den Bundesgeſandten v. Marſchall,
21. Nov. 1830.
***) Berichte des Grafen Maltzan, Hannover 29. März, 1. April. Graf Veltheim
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[117/0131] Anträge der Agnaten am Bundestage. Verſtändigung mit Oeſterreich unmöglich ſei. *) Wenn die Großmächte ſich nicht einigen konnten, ſo noch weit weniger die anderen Bundes- ſtaaten. Ein kläglicher Anblick, wie die kleinen Ameiſen in dem Sand- haufen des Bundesrechts ängſtlich durch einander wimmelten, nachdem der Stecken der Revolution ſeine Furchen querdurch gezogen hatte. Wie- der begann Graf Münch ſeine alten Künſte, und wieder zog der Streit ſich unabſehbar in die Länge. Mittlerweile geſtaltete ſich die Lage des Herzogthums täglich unleid- licher. Die Braunſchweiger nannten den jungen Welfen in Reden und Schriften „unſeren rechtmäßigen, durch den Willen des Volkes erwählten Fürſten“, ſie waren mit ihrer revolutionären Rechtsweisheit längſt im Reinen. Ihr Ober-Appellationsrath K. F. v. Strombeck, ein Bureau- krat aus der Schule des Königreichs Weſtphalen, hatte ihnen ſchon bald nach dem Schloßbrande in einer Flugſchrift die Frage beantwortet: „Was iſt Rechtens, wenn die oberſte Staatsgewalt dem Zwecke des Staatsver- bandes entgegenhandelt?“ Da wurden aus der alten, von der hiſtoriſchen Rechtsſchule längſt überwundenen, Staatsvertragslehre ſchnellfertig kecke Schlüſſe gezogen, die der Halbbildung einleuchten mußten: wenn der Fürſt ſeine Vertragspflichten verletzt, ſo ſind die Unterthanen ihrerſeits berechtigt ihm den Gehorſam aufzukündigen. Die neue Regierung fühlte ſelbſt ſehr lebhaft, daß ſolche Doctrinen das Weſen der Monarchie aufheben; ſie hätte ihren unbequemen Vertheidiger gern beſtraft, aber ſie wagte es nicht weil ſie Unruhen beſorgte. **) Ihre Furcht ſtieg noch als im März ruchbar wurde, daß die Erklärung der Agnaten im Bundestage auf Wider- ſpruch geſtoßen ſei. Länger wollte das Land die quälende Ungewißheit nicht mehr ertragen; mit wachſender Erbitterung beſprach man die Lage, und ſchon ward die Frage laut, ob man nicht durch Selbſthilfe dem zaudernden Bundestage zuvorkommen ſolle. Am 25. April ſtand das Geburtsfeſt des Herzogs Wilhelm bevor, das ganze Ländchen rüſtete ſich den Tag feſtlich zu begehen. Wie nun, wenn alle Gemeinden dann gleichzeitig dem neuen Landesherrn freiwillig den Huldigungseid leiſteten? Der Plan konnte ſehr leicht gelingen, er entſprach den allgemeinen Wünſchen und Herzog Wilhelm war nicht der Mann ihn gewaltſam zu hintertreiben; gelang er aber, ſo erlebte Deutſchland das für einen Fürſten- bund hochgefährliche Beiſpiel einer demokratiſchen Fürſtenwahl, und wer ſollte dann die vollzogene Kundgebung der Volksſouveränität rückgängig machen? ***) *) Graf Maltzan’s Bericht, Hannover 6. März. Weiſung an Frhrn. v. Maltzahn in Wien, 24. März 1831. **) Schreiben des braunſchw. Miniſteriums an den Bundesgeſandten v. Marſchall, 21. Nov. 1830. ***) Berichte des Grafen Maltzan, Hannover 29. März, 1. April. Graf Veltheim an Bernſtorff, 11. April 1831.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/131>, abgerufen am 25.04.2024.