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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 2. Die constitutionelle Bewegung in Norddeutschland.
bitten solle."*) Am selben Tage fuhr der Geheime Rath v. Lindenau mit
dreien seiner Amtsgenossen nach Pillnitz hinaus und bewog dort den
König, den Prinzen Friedrich August zum Mitregenten zu ernennen. Der
Vater des jungen Prinzen, der alte Prinz Max, hatte dawider nichts
einzuwenden und erklärte sogar unaufgefordert, daß er zu Gunsten seines
Sohnes auf die Thronfolge verzichte: Ich mag gar nicht regieren --
meinte er gemüthlich -- der Fritz ist gut, er wird schon nach meinem
Sinne regieren.

So übernahm denn Friedrich August die Herrschaft, die ihm nur
selten durch eine Bedenklichkeit des alten Königs erschwert wurde -- seit
lange her der liebenswürdigste Fürst des albertinischen Hauses, vielseitig
gebildet, gütig, leutselig und von einer treuherzigen Aufrichtigkeit, welche
die Hofleute zuweilen erschreckte. Er nannte sich selber einen Gemüths-
menschen und war in der That durch Anlage und Neigung mehr für
die gelehrte Muße als für die Welt des Handelns bestimmt; rasche Ent-
schlüsse fielen ihm schwer, durch die trockenen Geschäfte ward er leicht
ermüdet, und in großer Gesellschaft sprach er wenig. "Heute kein Wort
von Politik," so sagte er oft, wenn er sich einen guten Tag machte und
mit einem Adjutanten allein hinausfuhr in die Felsengründe des Meißener
Hochlandes; fast alle Gebirge Europas hatte er durchwandert bis in ihre
entlegenen Schluchten, und im vertrauten Kreise erzählte er von seinen
Reisen mit dichterischer Anschaulichkeit. Am wohlsten fühlte er sich auf
seinem bescheidenen Weinberge in Wachwitz, wo ihn kein Hofstaat, nicht
einmal eine Wache störte. Alle Künste waren ihm vertraut, und mit
glücklichem Blicke wußte er die jungen Talente herauszufinden; von den
Wissenschaften trieb er mit Vorliebe die Botanik, und es geschah wohl,
daß ein Bäuerlein den schlichten Mann, wenn er mit seiner grünen
Trommel die Feldraine absuchte, für den Rattenfänger hielt. Auf seinen
fürstlichen Beruf hatte er sich gewissenhaft vorbereitet; man wußte, daß
er von der Unhaltbarkeit der alten Adelsherrschaft längst überzeugt war
und weder mit den Beichtvätern seines Oheims noch mit dem Grafen
Einsiedel auf gutem Fuße stand. Durch eine freundliche Ansprache an
die Dresdener Bürgerschaft gewann sich der Mitregent alsbald alle Herzen;
sein Wort "Vertrauen erweckt wieder Vertrauen" wurde fortan in den
gereimten und ungereimten Trinksprüchen ergebener Unterthanen beharrlich
wiederholt, und man verzieh ihm auch, daß er sich zu dem angesonnenen
Glaubenswechsel doch nicht entschließen wollte. Als treuer und arbeit-
samer Gehilfe ging ihm sein Bruder Johann zur Hand, auch er ein
Gelehrter von umfassendem Wissen, minder liebenswürdig als Friedrich
August aber auch minder weich, gründlich bewandert in dem Rechte und
der Verwaltung des Landes. Prinz Johann übernahm den Oberbefehl

*) Einsiedel an Jordan, 13. Sept. 1830.

IV. 2. Die conſtitutionelle Bewegung in Norddeutſchland.
bitten ſolle.“*) Am ſelben Tage fuhr der Geheime Rath v. Lindenau mit
dreien ſeiner Amtsgenoſſen nach Pillnitz hinaus und bewog dort den
König, den Prinzen Friedrich Auguſt zum Mitregenten zu ernennen. Der
Vater des jungen Prinzen, der alte Prinz Max, hatte dawider nichts
einzuwenden und erklärte ſogar unaufgefordert, daß er zu Gunſten ſeines
Sohnes auf die Thronfolge verzichte: Ich mag gar nicht regieren —
meinte er gemüthlich — der Fritz iſt gut, er wird ſchon nach meinem
Sinne regieren.

So übernahm denn Friedrich Auguſt die Herrſchaft, die ihm nur
ſelten durch eine Bedenklichkeit des alten Königs erſchwert wurde — ſeit
lange her der liebenswürdigſte Fürſt des albertiniſchen Hauſes, vielſeitig
gebildet, gütig, leutſelig und von einer treuherzigen Aufrichtigkeit, welche
die Hofleute zuweilen erſchreckte. Er nannte ſich ſelber einen Gemüths-
menſchen und war in der That durch Anlage und Neigung mehr für
die gelehrte Muße als für die Welt des Handelns beſtimmt; raſche Ent-
ſchlüſſe fielen ihm ſchwer, durch die trockenen Geſchäfte ward er leicht
ermüdet, und in großer Geſellſchaft ſprach er wenig. „Heute kein Wort
von Politik,“ ſo ſagte er oft, wenn er ſich einen guten Tag machte und
mit einem Adjutanten allein hinausfuhr in die Felſengründe des Meißener
Hochlandes; faſt alle Gebirge Europas hatte er durchwandert bis in ihre
entlegenen Schluchten, und im vertrauten Kreiſe erzählte er von ſeinen
Reiſen mit dichteriſcher Anſchaulichkeit. Am wohlſten fühlte er ſich auf
ſeinem beſcheidenen Weinberge in Wachwitz, wo ihn kein Hofſtaat, nicht
einmal eine Wache ſtörte. Alle Künſte waren ihm vertraut, und mit
glücklichem Blicke wußte er die jungen Talente herauszufinden; von den
Wiſſenſchaften trieb er mit Vorliebe die Botanik, und es geſchah wohl,
daß ein Bäuerlein den ſchlichten Mann, wenn er mit ſeiner grünen
Trommel die Feldraine abſuchte, für den Rattenfänger hielt. Auf ſeinen
fürſtlichen Beruf hatte er ſich gewiſſenhaft vorbereitet; man wußte, daß
er von der Unhaltbarkeit der alten Adelsherrſchaft längſt überzeugt war
und weder mit den Beichtvätern ſeines Oheims noch mit dem Grafen
Einſiedel auf gutem Fuße ſtand. Durch eine freundliche Anſprache an
die Dresdener Bürgerſchaft gewann ſich der Mitregent alsbald alle Herzen;
ſein Wort „Vertrauen erweckt wieder Vertrauen“ wurde fortan in den
gereimten und ungereimten Trinkſprüchen ergebener Unterthanen beharrlich
wiederholt, und man verzieh ihm auch, daß er ſich zu dem angeſonnenen
Glaubenswechſel doch nicht entſchließen wollte. Als treuer und arbeit-
ſamer Gehilfe ging ihm ſein Bruder Johann zur Hand, auch er ein
Gelehrter von umfaſſendem Wiſſen, minder liebenswürdig als Friedrich
Auguſt aber auch minder weich, gründlich bewandert in dem Rechte und
der Verwaltung des Landes. Prinz Johann übernahm den Oberbefehl

*) Einſiedel an Jordan, 13. Sept. 1830.
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[146/0160] IV. 2. Die conſtitutionelle Bewegung in Norddeutſchland. bitten ſolle.“ *) Am ſelben Tage fuhr der Geheime Rath v. Lindenau mit dreien ſeiner Amtsgenoſſen nach Pillnitz hinaus und bewog dort den König, den Prinzen Friedrich Auguſt zum Mitregenten zu ernennen. Der Vater des jungen Prinzen, der alte Prinz Max, hatte dawider nichts einzuwenden und erklärte ſogar unaufgefordert, daß er zu Gunſten ſeines Sohnes auf die Thronfolge verzichte: Ich mag gar nicht regieren — meinte er gemüthlich — der Fritz iſt gut, er wird ſchon nach meinem Sinne regieren. So übernahm denn Friedrich Auguſt die Herrſchaft, die ihm nur ſelten durch eine Bedenklichkeit des alten Königs erſchwert wurde — ſeit lange her der liebenswürdigſte Fürſt des albertiniſchen Hauſes, vielſeitig gebildet, gütig, leutſelig und von einer treuherzigen Aufrichtigkeit, welche die Hofleute zuweilen erſchreckte. Er nannte ſich ſelber einen Gemüths- menſchen und war in der That durch Anlage und Neigung mehr für die gelehrte Muße als für die Welt des Handelns beſtimmt; raſche Ent- ſchlüſſe fielen ihm ſchwer, durch die trockenen Geſchäfte ward er leicht ermüdet, und in großer Geſellſchaft ſprach er wenig. „Heute kein Wort von Politik,“ ſo ſagte er oft, wenn er ſich einen guten Tag machte und mit einem Adjutanten allein hinausfuhr in die Felſengründe des Meißener Hochlandes; faſt alle Gebirge Europas hatte er durchwandert bis in ihre entlegenen Schluchten, und im vertrauten Kreiſe erzählte er von ſeinen Reiſen mit dichteriſcher Anſchaulichkeit. Am wohlſten fühlte er ſich auf ſeinem beſcheidenen Weinberge in Wachwitz, wo ihn kein Hofſtaat, nicht einmal eine Wache ſtörte. Alle Künſte waren ihm vertraut, und mit glücklichem Blicke wußte er die jungen Talente herauszufinden; von den Wiſſenſchaften trieb er mit Vorliebe die Botanik, und es geſchah wohl, daß ein Bäuerlein den ſchlichten Mann, wenn er mit ſeiner grünen Trommel die Feldraine abſuchte, für den Rattenfänger hielt. Auf ſeinen fürſtlichen Beruf hatte er ſich gewiſſenhaft vorbereitet; man wußte, daß er von der Unhaltbarkeit der alten Adelsherrſchaft längſt überzeugt war und weder mit den Beichtvätern ſeines Oheims noch mit dem Grafen Einſiedel auf gutem Fuße ſtand. Durch eine freundliche Anſprache an die Dresdener Bürgerſchaft gewann ſich der Mitregent alsbald alle Herzen; ſein Wort „Vertrauen erweckt wieder Vertrauen“ wurde fortan in den gereimten und ungereimten Trinkſprüchen ergebener Unterthanen beharrlich wiederholt, und man verzieh ihm auch, daß er ſich zu dem angeſonnenen Glaubenswechſel doch nicht entſchließen wollte. Als treuer und arbeit- ſamer Gehilfe ging ihm ſein Bruder Johann zur Hand, auch er ein Gelehrter von umfaſſendem Wiſſen, minder liebenswürdig als Friedrich Auguſt aber auch minder weich, gründlich bewandert in dem Rechte und der Verwaltung des Landes. Prinz Johann übernahm den Oberbefehl *) Einſiedel an Jordan, 13. Sept. 1830.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/160>, abgerufen am 19.04.2024.