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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Schleswigholstein. Falck.

Je deutlicher die unredlichen Hintergedanken des Thronfolgers sich
enthüllten, um so rathsamer schien es die Bürgschaft des Bundestags
für das Staatsgrundgesetz zu erbitten; sie wäre dieser conservativen Ver-
fassung wohl leichter gewährt worden als der radicalen kurhessischen. Aber
die Regierung wagte nicht einmal den Versuch. Rose fühlte sich überall
gehemmt durch das stille Widerstreben seines unberechenbaren Nebenbuhlers
Geh. Rath Falcke. Obwohl die neue Ordnung des Staatshaushaltes
sich trefflich bewährte und bald erhebliche Ueberschüsse erzielte, so wurden
doch die zur Ausführung der Verfassung verheißenen Gesetze bei Weitem
nicht so rasch gefördert wie in Sachsen. Namentlich an die Exemtionen
des Adels getraute man sich nicht recht heran. Auch dem Landtage
fehlten Zug und Schwung. Die erste Kammer bestand zu acht Neunteln,
die zweite zu fünf Achteln aus Besoldeten, dort saßen die adlichen, hier die
bürgerlichen Beamten, ganz wie sonst: nur die Geheimen Räthe der Haupt-
stadt waren seit das Land Diäten zahlte etwas spärlicher, dafür die Amt-
männer aus den Provinzen um so stärker vertreten. Mit gutem Grunde
klagte die liberale Presse, dies Land werde durch die Masse seiner Be-
amten erdrückt wie Spanien durch das Heer seiner Mönche. Erst im Jahre
1837 legte die Krone dem Landtage eine Reihe wichtiger Gesetzentwürfe
vor, doch kaum hatte er die Berathung begonnen, da starb König Wilhelm
und eine neue Zeit der Kämpfe brach über das Welfenland herein. --


In Hannover wurde durch die constitutionelle Bewegung mittelbar
auch die Fremdherrschaft erschüttert, da der Sitz der Regierung fortan
im Lande selber blieb. Noch deutlicher bekundete sich in Schleswigholstein,
wie eng die liberalen und die nationalen Ideen der Zeit mit einander
verkettet waren. Seit ihrem verunglückten Feldzuge am Bundestage war
die Ritterschaft der Herzogthümer ganz still geblieben, ihr streitbarer Führer
Dahlmann hatte Kiel verlassen, und von den Verhandlungen jener Kopen-
hagener Commission, welche die neue Verfassung für Holstein ausarbeiten
sollte, verlautete längst kein Wort mehr. Aber Dahlmann's Wirken
hatte in den höheren Ständen die Liebe zu dem alten Rechte Trans-
albingiens geweckt, in dem engeren Kreise der Freunde auch schon das
helle Bewußtsein des deutschen Volksthums; denn bei seinem Kampfe für
das Landesrecht leitete ihn stets die Absicht, daß die Fremdherrschaft auf
deutschem Boden in ihrer unheilvollen Wirkung beschränkt werden, daß
"die deutschen Unterthanen Dänemarks" Deutsche bleiben, nur gegen
Deutschlands Feinde Krieg führen müßten: "das ist ihr Charakter,
ihre unfreiwillige Bestimmung". Nach Dahlmann's Abgang war jetzt
sein treuer Genosse Nic. Falck der anerkannt erste Mann des Landes.
Aus Falck's rechtshistorischen Vorlesungen und seinen staatsrechtlichen
Schriften, aus den mannichfaltigen Aufsätzen seines Staatsbürgerlichen

Schleswigholſtein. Falck.

Je deutlicher die unredlichen Hintergedanken des Thronfolgers ſich
enthüllten, um ſo rathſamer ſchien es die Bürgſchaft des Bundestags
für das Staatsgrundgeſetz zu erbitten; ſie wäre dieſer conſervativen Ver-
faſſung wohl leichter gewährt worden als der radicalen kurheſſiſchen. Aber
die Regierung wagte nicht einmal den Verſuch. Roſe fühlte ſich überall
gehemmt durch das ſtille Widerſtreben ſeines unberechenbaren Nebenbuhlers
Geh. Rath Falcke. Obwohl die neue Ordnung des Staatshaushaltes
ſich trefflich bewährte und bald erhebliche Ueberſchüſſe erzielte, ſo wurden
doch die zur Ausführung der Verfaſſung verheißenen Geſetze bei Weitem
nicht ſo raſch gefördert wie in Sachſen. Namentlich an die Exemtionen
des Adels getraute man ſich nicht recht heran. Auch dem Landtage
fehlten Zug und Schwung. Die erſte Kammer beſtand zu acht Neunteln,
die zweite zu fünf Achteln aus Beſoldeten, dort ſaßen die adlichen, hier die
bürgerlichen Beamten, ganz wie ſonſt: nur die Geheimen Räthe der Haupt-
ſtadt waren ſeit das Land Diäten zahlte etwas ſpärlicher, dafür die Amt-
männer aus den Provinzen um ſo ſtärker vertreten. Mit gutem Grunde
klagte die liberale Preſſe, dies Land werde durch die Maſſe ſeiner Be-
amten erdrückt wie Spanien durch das Heer ſeiner Mönche. Erſt im Jahre
1837 legte die Krone dem Landtage eine Reihe wichtiger Geſetzentwürfe
vor, doch kaum hatte er die Berathung begonnen, da ſtarb König Wilhelm
und eine neue Zeit der Kämpfe brach über das Welfenland herein. —


In Hannover wurde durch die conſtitutionelle Bewegung mittelbar
auch die Fremdherrſchaft erſchüttert, da der Sitz der Regierung fortan
im Lande ſelber blieb. Noch deutlicher bekundete ſich in Schleswigholſtein,
wie eng die liberalen und die nationalen Ideen der Zeit mit einander
verkettet waren. Seit ihrem verunglückten Feldzuge am Bundestage war
die Ritterſchaft der Herzogthümer ganz ſtill geblieben, ihr ſtreitbarer Führer
Dahlmann hatte Kiel verlaſſen, und von den Verhandlungen jener Kopen-
hagener Commiſſion, welche die neue Verfaſſung für Holſtein ausarbeiten
ſollte, verlautete längſt kein Wort mehr. Aber Dahlmann’s Wirken
hatte in den höheren Ständen die Liebe zu dem alten Rechte Trans-
albingiens geweckt, in dem engeren Kreiſe der Freunde auch ſchon das
helle Bewußtſein des deutſchen Volksthums; denn bei ſeinem Kampfe für
das Landesrecht leitete ihn ſtets die Abſicht, daß die Fremdherrſchaft auf
deutſchem Boden in ihrer unheilvollen Wirkung beſchränkt werden, daß
„die deutſchen Unterthanen Dänemarks“ Deutſche bleiben, nur gegen
Deutſchlands Feinde Krieg führen müßten: „das iſt ihr Charakter,
ihre unfreiwillige Beſtimmung“. Nach Dahlmann’s Abgang war jetzt
ſein treuer Genoſſe Nic. Falck der anerkannt erſte Mann des Landes.
Aus Falck’s rechtshiſtoriſchen Vorleſungen und ſeinen ſtaatsrechtlichen
Schriften, aus den mannichfaltigen Aufſätzen ſeines Staatsbürgerlichen

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[169/0183] Schleswigholſtein. Falck. Je deutlicher die unredlichen Hintergedanken des Thronfolgers ſich enthüllten, um ſo rathſamer ſchien es die Bürgſchaft des Bundestags für das Staatsgrundgeſetz zu erbitten; ſie wäre dieſer conſervativen Ver- faſſung wohl leichter gewährt worden als der radicalen kurheſſiſchen. Aber die Regierung wagte nicht einmal den Verſuch. Roſe fühlte ſich überall gehemmt durch das ſtille Widerſtreben ſeines unberechenbaren Nebenbuhlers Geh. Rath Falcke. Obwohl die neue Ordnung des Staatshaushaltes ſich trefflich bewährte und bald erhebliche Ueberſchüſſe erzielte, ſo wurden doch die zur Ausführung der Verfaſſung verheißenen Geſetze bei Weitem nicht ſo raſch gefördert wie in Sachſen. Namentlich an die Exemtionen des Adels getraute man ſich nicht recht heran. Auch dem Landtage fehlten Zug und Schwung. Die erſte Kammer beſtand zu acht Neunteln, die zweite zu fünf Achteln aus Beſoldeten, dort ſaßen die adlichen, hier die bürgerlichen Beamten, ganz wie ſonſt: nur die Geheimen Räthe der Haupt- ſtadt waren ſeit das Land Diäten zahlte etwas ſpärlicher, dafür die Amt- männer aus den Provinzen um ſo ſtärker vertreten. Mit gutem Grunde klagte die liberale Preſſe, dies Land werde durch die Maſſe ſeiner Be- amten erdrückt wie Spanien durch das Heer ſeiner Mönche. Erſt im Jahre 1837 legte die Krone dem Landtage eine Reihe wichtiger Geſetzentwürfe vor, doch kaum hatte er die Berathung begonnen, da ſtarb König Wilhelm und eine neue Zeit der Kämpfe brach über das Welfenland herein. — In Hannover wurde durch die conſtitutionelle Bewegung mittelbar auch die Fremdherrſchaft erſchüttert, da der Sitz der Regierung fortan im Lande ſelber blieb. Noch deutlicher bekundete ſich in Schleswigholſtein, wie eng die liberalen und die nationalen Ideen der Zeit mit einander verkettet waren. Seit ihrem verunglückten Feldzuge am Bundestage war die Ritterſchaft der Herzogthümer ganz ſtill geblieben, ihr ſtreitbarer Führer Dahlmann hatte Kiel verlaſſen, und von den Verhandlungen jener Kopen- hagener Commiſſion, welche die neue Verfaſſung für Holſtein ausarbeiten ſollte, verlautete längſt kein Wort mehr. Aber Dahlmann’s Wirken hatte in den höheren Ständen die Liebe zu dem alten Rechte Trans- albingiens geweckt, in dem engeren Kreiſe der Freunde auch ſchon das helle Bewußtſein des deutſchen Volksthums; denn bei ſeinem Kampfe für das Landesrecht leitete ihn ſtets die Abſicht, daß die Fremdherrſchaft auf deutſchem Boden in ihrer unheilvollen Wirkung beſchränkt werden, daß „die deutſchen Unterthanen Dänemarks“ Deutſche bleiben, nur gegen Deutſchlands Feinde Krieg führen müßten: „das iſt ihr Charakter, ihre unfreiwillige Beſtimmung“. Nach Dahlmann’s Abgang war jetzt ſein treuer Genoſſe Nic. Falck der anerkannt erſte Mann des Landes. Aus Falck’s rechtshiſtoriſchen Vorleſungen und ſeinen ſtaatsrechtlichen Schriften, aus den mannichfaltigen Aufſätzen ſeines Staatsbürgerlichen

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/183>, abgerufen am 29.03.2024.