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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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J. U. Lornsen.
tugend preisen: rum Hart, klar Kimming, das weite Herz, den freien Ge-
sichtskreis; er hoffte dereinst noch für ganz Deutschland politisch zu wirken.

Als er nun im Herbst 1830 nach den Herzogthümern zurückkehrte
um das Amt des Landvogts auf seiner heimathlichen Insel Sylt anzu-
treten, da erkannte er sofort, daß jetzt der Augenblick gekommen sei, den
eingeschüchterten Königherzog durch Petitionen und Versammlungen zur
Verleihung einer Verfassung zu bewegen. In Kiel und Flensburg ver-
ständigte er sich mit angesehenen Männern des Bürgerthums, während
der geistreiche junge Nationalökonom Georg Hanssen unter den Bauern
im östlichen Holstein Anhänger warb. Um die Bewegung auf ein festes
Ziel zu richten, schrieb Lornsen sodann ein Schriftchen von elf Seiten
"über das Verfassungswerk in Schleswigholstein". Er verwies darin auf
die Gebrechen der Verwaltung, auf die Heimlichkeit des Staatshaushalts
und forderte kurzab einen gemeinsamen Landtag für beide Herzogthümer,
da die Bundesakte den Holsten Landstände verheiße, die Trennung der
Herzogthümer aber "jedem Schleswigholsteiner schlechthin undenkbar" sei.
Mehr als ein Viertel der Volksvertretung wollte er dem Adel nicht gönnen;
denn "fortan wird allein die Ueberzeugung des großen Mittelstandes, bei
dem die physische und intellectuelle Macht wohnt, die Welt regieren, und
Alles was sich gegen diese Ueberzeugung erhebt, machtlos daran zerschellen."
Dazu Verlegung aller Behörden in die deutschen Lande, ein oberster
Gerichtshof für Schleswigholstein, in jedem Herzogthum ein Regierungs-
collegium und über beiden ein Staatsrath nach dem Vorbilde Norwe-
gens; mithin Unabhängigkeit von Dänemark in allen inneren Angelegen-
heiten: "nur der König und der Feind seien uns gemeinschaftlich." Mit
nachdrücklichen Worten mahnte Lornsen schließlich seine Landsleute, der
unberechenbaren Zukunft zu gedenken und nicht blindlings der Person
des gegenwärtigen Königs zu vertrauen, "dem wir die Unsterblichkeit
wünschen. Unser König ist kein gemachter, sondern ein geborener Bürger-
könig."

Kaum begonnen brach das kühne Unternehmen schon zusammen.
Die Ritterschaft erklärte sich dawider, weil sie den bürgerlichen, liberalen
Zug der Bewegung fürchtete, und versicherte dem Könige in einer Er-
gebenheits-Adresse, die Anforderungen der Zeit müßten allerdings berück-
sichtigt werden, aber ohne Uebereilung. Noch lebhafter eiferten der hoch-
conservative Herzog von Augustenburg und sein Bruder Prinz Friedrich
von Noer gegen den gefährlichen Demagogen. Selbst die Bürger und
Bauern wurden scheu sobald der Kieler Stadtrath den kleinmüthigen
Beschluß gefaßt hatte, für eine Eingabe an den König sei der gegen-
wärtige Zeitpunkt nicht geeignet. Keine einzige Petition ging nach Kopen-
hagen ab. Lornsen aber, der Feldherr ohne Heer, wurde noch im No-
vember verhaftet, und dem kranken Manne versagte die Kraft; er wagte
weder die Einleitung eines öffentlichen fiscalischen Verfahrens zu fordern

J. U. Lornſen.
tugend preiſen: rum Hart, klar Kimming, das weite Herz, den freien Ge-
ſichtskreis; er hoffte dereinſt noch für ganz Deutſchland politiſch zu wirken.

Als er nun im Herbſt 1830 nach den Herzogthümern zurückkehrte
um das Amt des Landvogts auf ſeiner heimathlichen Inſel Sylt anzu-
treten, da erkannte er ſofort, daß jetzt der Augenblick gekommen ſei, den
eingeſchüchterten Königherzog durch Petitionen und Verſammlungen zur
Verleihung einer Verfaſſung zu bewegen. In Kiel und Flensburg ver-
ſtändigte er ſich mit angeſehenen Männern des Bürgerthums, während
der geiſtreiche junge Nationalökonom Georg Hanſſen unter den Bauern
im öſtlichen Holſtein Anhänger warb. Um die Bewegung auf ein feſtes
Ziel zu richten, ſchrieb Lornſen ſodann ein Schriftchen von elf Seiten
„über das Verfaſſungswerk in Schleswigholſtein“. Er verwies darin auf
die Gebrechen der Verwaltung, auf die Heimlichkeit des Staatshaushalts
und forderte kurzab einen gemeinſamen Landtag für beide Herzogthümer,
da die Bundesakte den Holſten Landſtände verheiße, die Trennung der
Herzogthümer aber „jedem Schleswigholſteiner ſchlechthin undenkbar“ ſei.
Mehr als ein Viertel der Volksvertretung wollte er dem Adel nicht gönnen;
denn „fortan wird allein die Ueberzeugung des großen Mittelſtandes, bei
dem die phyſiſche und intellectuelle Macht wohnt, die Welt regieren, und
Alles was ſich gegen dieſe Ueberzeugung erhebt, machtlos daran zerſchellen.“
Dazu Verlegung aller Behörden in die deutſchen Lande, ein oberſter
Gerichtshof für Schleswigholſtein, in jedem Herzogthum ein Regierungs-
collegium und über beiden ein Staatsrath nach dem Vorbilde Norwe-
gens; mithin Unabhängigkeit von Dänemark in allen inneren Angelegen-
heiten: „nur der König und der Feind ſeien uns gemeinſchaftlich.“ Mit
nachdrücklichen Worten mahnte Lornſen ſchließlich ſeine Landsleute, der
unberechenbaren Zukunft zu gedenken und nicht blindlings der Perſon
des gegenwärtigen Königs zu vertrauen, „dem wir die Unſterblichkeit
wünſchen. Unſer König iſt kein gemachter, ſondern ein geborener Bürger-
könig.“

Kaum begonnen brach das kühne Unternehmen ſchon zuſammen.
Die Ritterſchaft erklärte ſich dawider, weil ſie den bürgerlichen, liberalen
Zug der Bewegung fürchtete, und verſicherte dem Könige in einer Er-
gebenheits-Adreſſe, die Anforderungen der Zeit müßten allerdings berück-
ſichtigt werden, aber ohne Uebereilung. Noch lebhafter eiferten der hoch-
conſervative Herzog von Auguſtenburg und ſein Bruder Prinz Friedrich
von Noer gegen den gefährlichen Demagogen. Selbſt die Bürger und
Bauern wurden ſcheu ſobald der Kieler Stadtrath den kleinmüthigen
Beſchluß gefaßt hatte, für eine Eingabe an den König ſei der gegen-
wärtige Zeitpunkt nicht geeignet. Keine einzige Petition ging nach Kopen-
hagen ab. Lornſen aber, der Feldherr ohne Heer, wurde noch im No-
vember verhaftet, und dem kranken Manne verſagte die Kraft; er wagte
weder die Einleitung eines öffentlichen fiscaliſchen Verfahrens zu fordern

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[171/0185] J. U. Lornſen. tugend preiſen: rum Hart, klar Kimming, das weite Herz, den freien Ge- ſichtskreis; er hoffte dereinſt noch für ganz Deutſchland politiſch zu wirken. Als er nun im Herbſt 1830 nach den Herzogthümern zurückkehrte um das Amt des Landvogts auf ſeiner heimathlichen Inſel Sylt anzu- treten, da erkannte er ſofort, daß jetzt der Augenblick gekommen ſei, den eingeſchüchterten Königherzog durch Petitionen und Verſammlungen zur Verleihung einer Verfaſſung zu bewegen. In Kiel und Flensburg ver- ſtändigte er ſich mit angeſehenen Männern des Bürgerthums, während der geiſtreiche junge Nationalökonom Georg Hanſſen unter den Bauern im öſtlichen Holſtein Anhänger warb. Um die Bewegung auf ein feſtes Ziel zu richten, ſchrieb Lornſen ſodann ein Schriftchen von elf Seiten „über das Verfaſſungswerk in Schleswigholſtein“. Er verwies darin auf die Gebrechen der Verwaltung, auf die Heimlichkeit des Staatshaushalts und forderte kurzab einen gemeinſamen Landtag für beide Herzogthümer, da die Bundesakte den Holſten Landſtände verheiße, die Trennung der Herzogthümer aber „jedem Schleswigholſteiner ſchlechthin undenkbar“ ſei. Mehr als ein Viertel der Volksvertretung wollte er dem Adel nicht gönnen; denn „fortan wird allein die Ueberzeugung des großen Mittelſtandes, bei dem die phyſiſche und intellectuelle Macht wohnt, die Welt regieren, und Alles was ſich gegen dieſe Ueberzeugung erhebt, machtlos daran zerſchellen.“ Dazu Verlegung aller Behörden in die deutſchen Lande, ein oberſter Gerichtshof für Schleswigholſtein, in jedem Herzogthum ein Regierungs- collegium und über beiden ein Staatsrath nach dem Vorbilde Norwe- gens; mithin Unabhängigkeit von Dänemark in allen inneren Angelegen- heiten: „nur der König und der Feind ſeien uns gemeinſchaftlich.“ Mit nachdrücklichen Worten mahnte Lornſen ſchließlich ſeine Landsleute, der unberechenbaren Zukunft zu gedenken und nicht blindlings der Perſon des gegenwärtigen Königs zu vertrauen, „dem wir die Unſterblichkeit wünſchen. Unſer König iſt kein gemachter, ſondern ein geborener Bürger- könig.“ Kaum begonnen brach das kühne Unternehmen ſchon zuſammen. Die Ritterſchaft erklärte ſich dawider, weil ſie den bürgerlichen, liberalen Zug der Bewegung fürchtete, und verſicherte dem Könige in einer Er- gebenheits-Adreſſe, die Anforderungen der Zeit müßten allerdings berück- ſichtigt werden, aber ohne Uebereilung. Noch lebhafter eiferten der hoch- conſervative Herzog von Auguſtenburg und ſein Bruder Prinz Friedrich von Noer gegen den gefährlichen Demagogen. Selbſt die Bürger und Bauern wurden ſcheu ſobald der Kieler Stadtrath den kleinmüthigen Beſchluß gefaßt hatte, für eine Eingabe an den König ſei der gegen- wärtige Zeitpunkt nicht geeignet. Keine einzige Petition ging nach Kopen- hagen ab. Lornſen aber, der Feldherr ohne Heer, wurde noch im No- vember verhaftet, und dem kranken Manne verſagte die Kraft; er wagte weder die Einleitung eines öffentlichen fiscaliſchen Verfahrens zu fordern

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/185>, abgerufen am 25.04.2024.