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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 5. Wiederbefestigung der alten Gewalten.
asperg gesessen und dann vom Könige vollständige Begnadigung erlangt
hatten. Mit gutem Grunde behaupteten nun die Liberalen, durch die
Wiederherstellung ihrer bürgerlichen Ehre sei den Vier auch die Wählbarkeit
zurückgegeben worden. Der nachtragende König aber wollte sich lieber die
Prärogative seiner Krone selbst beschränken als diese vier, persönlich höchst
achtbaren, Männer in die Kammer einlassen; er drohte mit sofortiger
Auflösung des Landtages*), und wie oft hatte er sich doch in früheren
Zeiten gerühmt, daß die Demagogen nirgends so mild behandelt würden
wie in Schwaben! In der That erreichten Minister Schlayer und seine
Getreuen durch eine kühne juristische Beweisführung, daß die vier Dema-
gogen ausgeschlossen wurden; denn nach dem Buchstaben der Verfassung
könne im Landtage Niemand sitzen, der jemals eine verschärfte Festungs-
haft verbüßt habe, daran vermöge selbst die Gnade des Königs nichts zu
ändern. Es war ein Stück verkehrter Welt: die Opposition vertheidigte,
die Minister bestritten das unbeschränkte Begnadigungsrecht des Mon-
archen, und mächtig klangen im Lande die mahnenden Worte Uhland's
wieder: "in den unerfüllten Wünschen der Völker, in den unwirksamen
deutschen Verfassungen liegt ein Keim tiefgehender Bitterkeit für das
reifere Alter wie für die Jugend." Salviati sogar, der preußische Ge-
sandte, fand es unbegreiflich, daß die Regierung also, in blindem Partei-
haß, sich selber ins Fleisch schnitt.

Aber auch die Liberalen begingen, fortgerissen durch eine ehrenwerthe
patriotische Leidenschaft, Fehler auf Fehler. Mit flammenden Worten
verlangte Schott die Preßfreiheit für seine Schwaben, erklärte die Karls-
bader Beschlüsse für nichtig und pries das ruhigste Land der Welt, Nord-
amerika, das mit seiner freien Presse sich des wundervollen Rufes poli-
tischer Glückseligkeit erfreue. Die Abgeordneten drängten sich um den
Redner, der tief erregt inmitten des Saales stand, von den Gallerien
erdröhnte rauschender Beifall; doch die Ministerbank war leer, und wer
konnte auch für möglich halten, daß Württemberg heute noch, nachdem das
badische Preßgesetz schon von Bundeswegen aufgehoben war, dem bedenk-
lichen Beispiele des Nachbarlandes folgen würde? Immer schärfer traten
die Parteien auseinander; schon rief die Württembergische Zeitung, jetzt
sei die Lage geklärt, jetzt heiße es einfach: wir und ihr! Die Stuttgarter
Bürgerschaft war seit zwei Jahren nicht aus der Aufregung herausgekommen,
selbst die kleinen persönlichen und örtlichen Händel in den Tagesblättern
wurden mit erbitterter Heftigkeit geführt; nun begann auch allerhand grober
Straßenunfug. Da ließ der König die Drohung fallen, er werde das
Hoflager in das Trutz-Stuttgart seiner Ahnen, nach Ludwigsburg verlegen.
Kaum war dies ruchbar, so begannen die Bürger schon für ihren Erwerb
zu zittern und überreichten dem erzürnten Monarchen eine mit 1600 Unter-

*) Küster's Bericht, 20. Jan. 1833.

IV. 5. Wiederbefeſtigung der alten Gewalten.
asperg geſeſſen und dann vom Könige vollſtändige Begnadigung erlangt
hatten. Mit gutem Grunde behaupteten nun die Liberalen, durch die
Wiederherſtellung ihrer bürgerlichen Ehre ſei den Vier auch die Wählbarkeit
zurückgegeben worden. Der nachtragende König aber wollte ſich lieber die
Prärogative ſeiner Krone ſelbſt beſchränken als dieſe vier, perſönlich höchſt
achtbaren, Männer in die Kammer einlaſſen; er drohte mit ſofortiger
Auflöſung des Landtages*), und wie oft hatte er ſich doch in früheren
Zeiten gerühmt, daß die Demagogen nirgends ſo mild behandelt würden
wie in Schwaben! In der That erreichten Miniſter Schlayer und ſeine
Getreuen durch eine kühne juriſtiſche Beweisführung, daß die vier Dema-
gogen ausgeſchloſſen wurden; denn nach dem Buchſtaben der Verfaſſung
könne im Landtage Niemand ſitzen, der jemals eine verſchärfte Feſtungs-
haft verbüßt habe, daran vermöge ſelbſt die Gnade des Königs nichts zu
ändern. Es war ein Stück verkehrter Welt: die Oppoſition vertheidigte,
die Miniſter beſtritten das unbeſchränkte Begnadigungsrecht des Mon-
archen, und mächtig klangen im Lande die mahnenden Worte Uhland’s
wieder: „in den unerfüllten Wünſchen der Völker, in den unwirkſamen
deutſchen Verfaſſungen liegt ein Keim tiefgehender Bitterkeit für das
reifere Alter wie für die Jugend.“ Salviati ſogar, der preußiſche Ge-
ſandte, fand es unbegreiflich, daß die Regierung alſo, in blindem Partei-
haß, ſich ſelber ins Fleiſch ſchnitt.

Aber auch die Liberalen begingen, fortgeriſſen durch eine ehrenwerthe
patriotiſche Leidenſchaft, Fehler auf Fehler. Mit flammenden Worten
verlangte Schott die Preßfreiheit für ſeine Schwaben, erklärte die Karls-
bader Beſchlüſſe für nichtig und pries das ruhigſte Land der Welt, Nord-
amerika, das mit ſeiner freien Preſſe ſich des wundervollen Rufes poli-
tiſcher Glückſeligkeit erfreue. Die Abgeordneten drängten ſich um den
Redner, der tief erregt inmitten des Saales ſtand, von den Gallerien
erdröhnte rauſchender Beifall; doch die Miniſterbank war leer, und wer
konnte auch für möglich halten, daß Württemberg heute noch, nachdem das
badiſche Preßgeſetz ſchon von Bundeswegen aufgehoben war, dem bedenk-
lichen Beiſpiele des Nachbarlandes folgen würde? Immer ſchärfer traten
die Parteien auseinander; ſchon rief die Württembergiſche Zeitung, jetzt
ſei die Lage geklärt, jetzt heiße es einfach: wir und ihr! Die Stuttgarter
Bürgerſchaft war ſeit zwei Jahren nicht aus der Aufregung herausgekommen,
ſelbſt die kleinen perſönlichen und örtlichen Händel in den Tagesblättern
wurden mit erbitterter Heftigkeit geführt; nun begann auch allerhand grober
Straßenunfug. Da ließ der König die Drohung fallen, er werde das
Hoflager in das Trutz-Stuttgart ſeiner Ahnen, nach Ludwigsburg verlegen.
Kaum war dies ruchbar, ſo begannen die Bürger ſchon für ihren Erwerb
zu zittern und überreichten dem erzürnten Monarchen eine mit 1600 Unter-

*) Küſter’s Bericht, 20. Jan. 1833.
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[290/0304] IV. 5. Wiederbefeſtigung der alten Gewalten. asperg geſeſſen und dann vom Könige vollſtändige Begnadigung erlangt hatten. Mit gutem Grunde behaupteten nun die Liberalen, durch die Wiederherſtellung ihrer bürgerlichen Ehre ſei den Vier auch die Wählbarkeit zurückgegeben worden. Der nachtragende König aber wollte ſich lieber die Prärogative ſeiner Krone ſelbſt beſchränken als dieſe vier, perſönlich höchſt achtbaren, Männer in die Kammer einlaſſen; er drohte mit ſofortiger Auflöſung des Landtages *), und wie oft hatte er ſich doch in früheren Zeiten gerühmt, daß die Demagogen nirgends ſo mild behandelt würden wie in Schwaben! In der That erreichten Miniſter Schlayer und ſeine Getreuen durch eine kühne juriſtiſche Beweisführung, daß die vier Dema- gogen ausgeſchloſſen wurden; denn nach dem Buchſtaben der Verfaſſung könne im Landtage Niemand ſitzen, der jemals eine verſchärfte Feſtungs- haft verbüßt habe, daran vermöge ſelbſt die Gnade des Königs nichts zu ändern. Es war ein Stück verkehrter Welt: die Oppoſition vertheidigte, die Miniſter beſtritten das unbeſchränkte Begnadigungsrecht des Mon- archen, und mächtig klangen im Lande die mahnenden Worte Uhland’s wieder: „in den unerfüllten Wünſchen der Völker, in den unwirkſamen deutſchen Verfaſſungen liegt ein Keim tiefgehender Bitterkeit für das reifere Alter wie für die Jugend.“ Salviati ſogar, der preußiſche Ge- ſandte, fand es unbegreiflich, daß die Regierung alſo, in blindem Partei- haß, ſich ſelber ins Fleiſch ſchnitt. Aber auch die Liberalen begingen, fortgeriſſen durch eine ehrenwerthe patriotiſche Leidenſchaft, Fehler auf Fehler. Mit flammenden Worten verlangte Schott die Preßfreiheit für ſeine Schwaben, erklärte die Karls- bader Beſchlüſſe für nichtig und pries das ruhigſte Land der Welt, Nord- amerika, das mit ſeiner freien Preſſe ſich des wundervollen Rufes poli- tiſcher Glückſeligkeit erfreue. Die Abgeordneten drängten ſich um den Redner, der tief erregt inmitten des Saales ſtand, von den Gallerien erdröhnte rauſchender Beifall; doch die Miniſterbank war leer, und wer konnte auch für möglich halten, daß Württemberg heute noch, nachdem das badiſche Preßgeſetz ſchon von Bundeswegen aufgehoben war, dem bedenk- lichen Beiſpiele des Nachbarlandes folgen würde? Immer ſchärfer traten die Parteien auseinander; ſchon rief die Württembergiſche Zeitung, jetzt ſei die Lage geklärt, jetzt heiße es einfach: wir und ihr! Die Stuttgarter Bürgerſchaft war ſeit zwei Jahren nicht aus der Aufregung herausgekommen, ſelbſt die kleinen perſönlichen und örtlichen Händel in den Tagesblättern wurden mit erbitterter Heftigkeit geführt; nun begann auch allerhand grober Straßenunfug. Da ließ der König die Drohung fallen, er werde das Hoflager in das Trutz-Stuttgart ſeiner Ahnen, nach Ludwigsburg verlegen. Kaum war dies ruchbar, ſo begannen die Bürger ſchon für ihren Erwerb zu zittern und überreichten dem erzürnten Monarchen eine mit 1600 Unter- *) Küſter’s Bericht, 20. Jan. 1833.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/304>, abgerufen am 29.03.2024.