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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Die Bundestruppen in Frankfurt.
wurden diese Anträge bekannt, so hallte ein Aufschrei der Entrüstung durch
das souveräne Volk von Frankfurt: die Stadtwehr und die prächtigen
Bonapart-Hüte ihrer Stabsoffiziere waren der Stolz der Stadt, nimmer
sollten sie einem deutschen Ausländer gehorchen. In einer bogenlangen
Erklärung verwahrte der Senat seine Souveränität: hier handle es sich
nicht um militärische Sicherheit, sondern um "eine primäre politische Maß-
regel", und was des Unsinns mehr war.

Nach abermals dritthalb Monaten, am 3. April wurde endlich abge-
stimmt und der Antrag des Ausschusses angenommen. Frankfurt verwahrte
sich nochmals, und vergeblich verlangte General Piret, daß ihm die Frank-
furter Truppen, dem Bundesbeschlusse gemäß, nunmehr untergeben würden.
Bürgermeister Stark erwiderte stolz: das Frankfurter Bataillon hätte schon
einen Sammelplatz für den Fall einer Ruhestörung angewiesen erhalten
und schicke überdies jeden Sonntag seine Standeslisten an den General;
das sei doch wohl genug, unmöglich könne der Bundestag beabsichtigen "den
Rechten hiesiger Stadt zu nahe zu treten". *) Da riß dem preußischen
Gesandten die Geduld. Er beantragte und setzte durch, daß Frankfurt
aufgefordert wurde bis zur nächsten Sitzung die Vollziehung des Bundes-
beschlusses anzuzeigen. Der Senat aber unterstand sich, am 1. Mai gegen
diesen Befehl "feierlich zu protestiren", was sofort als bundesverfassungs-
widrig zurückgewiesen wurde. Noch nicht genug, er verlangte sogar die
Abberufung der Bundestruppen, weil Frankfurt vollauf im Stande sei,
die Ordnung selber zu wahren. Eine solche Frechheit erlaubte sich ein
Stadtstaat, der erst vor neunzehn Jahren durch die unbedachte Groß-
muth der Mächte seine Souveränität geschenkt erhalten und dabei alle dem
Bundessitze obliegenden Pflichten ausdrücklich übernommen hatte. Kein
Wunder wahrhaftig, daß man jetzt nochmals ernstlich an die Verlegung
der Bundesversammlung dachte. Aber Nagler widersprach. Preußen rettete
den Frankfurtern ihre Bundesherrlichkeit; denn der König meinte: ohne
den Bundestag würde diese Stadt mit ihrer elenden Regierung ein Heerd
der Revolution und namentlich der französischen Umtriebe werden. **)

Nur vierundzwanzig Stunden vergingen seit jener prahlerischen Er-
klärung des Senats; da ward sie schon durch die Thatsachen lügen gestraft.
Am Abend des 2. Mai saß die Mannschaft der Constablerwache schwer
betrunken in der Wachstube; einige mit den Gefangenen einverstandene
Kameraden hatten ihr Aepfelwein in Fülle vorgesetzt. Schwere Rollwagen
rasselten mit betäubendem Lärm über das Pflaster der Zeil, so daß
die Studenten im oberen Stockwerk das Durchfeilen der Gitter ungestört
beenden konnten. Da drang plötzlich eine tobende Volksmasse gegen die

*) Piret's Bericht an die Bundesversammlung, 22. April; Stark an Piret 14.
22. April; Piret an Stark 19. April 1834.
**) Nagler's Bericht, 4. Juni 1834 nebst Randbemerkung des Königs.
Treitschke, Deutsche Geschichte. IV. 20

Die Bundestruppen in Frankfurt.
wurden dieſe Anträge bekannt, ſo hallte ein Aufſchrei der Entrüſtung durch
das ſouveräne Volk von Frankfurt: die Stadtwehr und die prächtigen
Bonapart-Hüte ihrer Stabsoffiziere waren der Stolz der Stadt, nimmer
ſollten ſie einem deutſchen Ausländer gehorchen. In einer bogenlangen
Erklärung verwahrte der Senat ſeine Souveränität: hier handle es ſich
nicht um militäriſche Sicherheit, ſondern um „eine primäre politiſche Maß-
regel“, und was des Unſinns mehr war.

Nach abermals dritthalb Monaten, am 3. April wurde endlich abge-
ſtimmt und der Antrag des Ausſchuſſes angenommen. Frankfurt verwahrte
ſich nochmals, und vergeblich verlangte General Piret, daß ihm die Frank-
furter Truppen, dem Bundesbeſchluſſe gemäß, nunmehr untergeben würden.
Bürgermeiſter Stark erwiderte ſtolz: das Frankfurter Bataillon hätte ſchon
einen Sammelplatz für den Fall einer Ruheſtörung angewieſen erhalten
und ſchicke überdies jeden Sonntag ſeine Standesliſten an den General;
das ſei doch wohl genug, unmöglich könne der Bundestag beabſichtigen „den
Rechten hieſiger Stadt zu nahe zu treten“. *) Da riß dem preußiſchen
Geſandten die Geduld. Er beantragte und ſetzte durch, daß Frankfurt
aufgefordert wurde bis zur nächſten Sitzung die Vollziehung des Bundes-
beſchluſſes anzuzeigen. Der Senat aber unterſtand ſich, am 1. Mai gegen
dieſen Befehl „feierlich zu proteſtiren“, was ſofort als bundesverfaſſungs-
widrig zurückgewieſen wurde. Noch nicht genug, er verlangte ſogar die
Abberufung der Bundestruppen, weil Frankfurt vollauf im Stande ſei,
die Ordnung ſelber zu wahren. Eine ſolche Frechheit erlaubte ſich ein
Stadtſtaat, der erſt vor neunzehn Jahren durch die unbedachte Groß-
muth der Mächte ſeine Souveränität geſchenkt erhalten und dabei alle dem
Bundesſitze obliegenden Pflichten ausdrücklich übernommen hatte. Kein
Wunder wahrhaftig, daß man jetzt nochmals ernſtlich an die Verlegung
der Bundesverſammlung dachte. Aber Nagler widerſprach. Preußen rettete
den Frankfurtern ihre Bundesherrlichkeit; denn der König meinte: ohne
den Bundestag würde dieſe Stadt mit ihrer elenden Regierung ein Heerd
der Revolution und namentlich der franzöſiſchen Umtriebe werden. **)

Nur vierundzwanzig Stunden vergingen ſeit jener prahleriſchen Er-
klärung des Senats; da ward ſie ſchon durch die Thatſachen lügen geſtraft.
Am Abend des 2. Mai ſaß die Mannſchaft der Conſtablerwache ſchwer
betrunken in der Wachſtube; einige mit den Gefangenen einverſtandene
Kameraden hatten ihr Aepfelwein in Fülle vorgeſetzt. Schwere Rollwagen
raſſelten mit betäubendem Lärm über das Pflaſter der Zeil, ſo daß
die Studenten im oberen Stockwerk das Durchfeilen der Gitter ungeſtört
beenden konnten. Da drang plötzlich eine tobende Volksmaſſe gegen die

*) Piret’s Bericht an die Bundesverſammlung, 22. April; Stark an Piret 14.
22. April; Piret an Stark 19. April 1834.
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[305/0319] Die Bundestruppen in Frankfurt. wurden dieſe Anträge bekannt, ſo hallte ein Aufſchrei der Entrüſtung durch das ſouveräne Volk von Frankfurt: die Stadtwehr und die prächtigen Bonapart-Hüte ihrer Stabsoffiziere waren der Stolz der Stadt, nimmer ſollten ſie einem deutſchen Ausländer gehorchen. In einer bogenlangen Erklärung verwahrte der Senat ſeine Souveränität: hier handle es ſich nicht um militäriſche Sicherheit, ſondern um „eine primäre politiſche Maß- regel“, und was des Unſinns mehr war. Nach abermals dritthalb Monaten, am 3. April wurde endlich abge- ſtimmt und der Antrag des Ausſchuſſes angenommen. Frankfurt verwahrte ſich nochmals, und vergeblich verlangte General Piret, daß ihm die Frank- furter Truppen, dem Bundesbeſchluſſe gemäß, nunmehr untergeben würden. Bürgermeiſter Stark erwiderte ſtolz: das Frankfurter Bataillon hätte ſchon einen Sammelplatz für den Fall einer Ruheſtörung angewieſen erhalten und ſchicke überdies jeden Sonntag ſeine Standesliſten an den General; das ſei doch wohl genug, unmöglich könne der Bundestag beabſichtigen „den Rechten hieſiger Stadt zu nahe zu treten“. *) Da riß dem preußiſchen Geſandten die Geduld. Er beantragte und ſetzte durch, daß Frankfurt aufgefordert wurde bis zur nächſten Sitzung die Vollziehung des Bundes- beſchluſſes anzuzeigen. Der Senat aber unterſtand ſich, am 1. Mai gegen dieſen Befehl „feierlich zu proteſtiren“, was ſofort als bundesverfaſſungs- widrig zurückgewieſen wurde. Noch nicht genug, er verlangte ſogar die Abberufung der Bundestruppen, weil Frankfurt vollauf im Stande ſei, die Ordnung ſelber zu wahren. Eine ſolche Frechheit erlaubte ſich ein Stadtſtaat, der erſt vor neunzehn Jahren durch die unbedachte Groß- muth der Mächte ſeine Souveränität geſchenkt erhalten und dabei alle dem Bundesſitze obliegenden Pflichten ausdrücklich übernommen hatte. Kein Wunder wahrhaftig, daß man jetzt nochmals ernſtlich an die Verlegung der Bundesverſammlung dachte. Aber Nagler widerſprach. Preußen rettete den Frankfurtern ihre Bundesherrlichkeit; denn der König meinte: ohne den Bundestag würde dieſe Stadt mit ihrer elenden Regierung ein Heerd der Revolution und namentlich der franzöſiſchen Umtriebe werden. **) Nur vierundzwanzig Stunden vergingen ſeit jener prahleriſchen Er- klärung des Senats; da ward ſie ſchon durch die Thatſachen lügen geſtraft. Am Abend des 2. Mai ſaß die Mannſchaft der Conſtablerwache ſchwer betrunken in der Wachſtube; einige mit den Gefangenen einverſtandene Kameraden hatten ihr Aepfelwein in Fülle vorgeſetzt. Schwere Rollwagen raſſelten mit betäubendem Lärm über das Pflaſter der Zeil, ſo daß die Studenten im oberen Stockwerk das Durchfeilen der Gitter ungeſtört beenden konnten. Da drang plötzlich eine tobende Volksmaſſe gegen die *) Piret’s Bericht an die Bundesverſammlung, 22. April; Stark an Piret 14. 22. April; Piret an Stark 19. April 1834. **) Nagler’s Bericht, 4. Juni 1834 nebſt Randbemerkung des Königs. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. IV. 20

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/319>, abgerufen am 28.03.2024.