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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 5. Wiederbefestigung der alten Gewalten.
deutsche Bundespolitik; die europäischen Fragen wurden hier nur beiläufig
berührt. Nach beendeter Cur kehrte er endlich heim; erst in Berlin empfing
er die Nachricht, daß der Czar seine dringenden Geschäfte nunmehr abge-
schlossen habe und in den ersten Septembertagen nach Deutschland zu
kommen denke.

Also war, zu Ficquelmont's unverhohlener Befriedigung und wohl
nicht ohne die stille Beihilfe des Czaren selbst, entschieden, daß der geplante
Congreß in zwei Theile zerfallen mußte. Ebenso ungeschickt suchte man die
fremden Höfe über den politischen Zweck der Zusammenkunft zu täuschen.
Nesselrode schrieb nach England, dies Wiedersehen der befreundeten Herrscher
sei nur durch die Herzensbedürfnisse des Czaren veranlaßt; Ancillon ver-
sicherte den Gesandtschaften, Nikolaus komme lediglich um seinen geliebten
Schwiegervater zu begrüßen und den österreichischen Kronprinzen kennen zu
lernen*) -- während doch Jedermann wußte, daß der Kanzler Nesselrode,
Ficquelmont und eine Menge Beamten des Auswärtigen Amts den Selbst-
herrscher auf seiner stillen Familienreise begleiteten. Begreiflich, daß Pal-
merston mit gewohnter Grobheit sagte: "Wie können diese Leute sich die
Mühe geben solches Blech (stuff) zu schreiben? Es ist, als ob sie uns
zwingen wollten, ihnen niemals mehr ein Wort zu glauben!"

König Friedrich Wilhelm erwartete nunmehr seinen Schwiegersohn im
Schlosse Schwedt an der Oder. Es schwebte aber ein Unstern über diesem
so ganz vom Zaune gebrochenen Congresse. Furchtbare Stürme zwangen
das Schiff des Czaren, unterwegs in Riga eine Zuflucht zu suchen. Der
König verbrachte mehrere Tage in tödlicher Langeweile, die nur Abends
durch die tollen Improvisationen des Komikers Beckmann und einiger
anderen Berliner Schauspieler etwas gemildert wurde; bei dem strömenden
Regen war selbst das liebliche Versailles der Ukermark ein unleidlicher
Aufenthalt. Da plötzlich, während Alles noch gespannt auf Nachrichten
von der Küste wartete, rasselte der Wagen des Czaren über die Oder-
brücke (5. Sept.); er hatte wieder eine seiner beliebten Ueberraschungen
ausgeführt und den Weg von Riga zu Lande zurückgelegt. Der Empfang
war herzlich wie immer. Ein Strom russischer Orden ergoß sich über
die schwarzen Schwedter Dragoner; hier zuerst gefiel sich Nikolaus in
jener Ordensverschwendung, welche seitdem von allen Höfen getreulich
nachgeahmt den Ehrenzeichen allen Sinn und Werth geraubt hat. Mit
der üblichen amtlichen Glückseligkeit schilderte Ancillon den Gesandten die
wunderbare Eintracht der Schwedter Berathungen: "der Kaiser hat wieder-
holt erklärt, daß er dasselbe wolle wie der König und sein Cabinet, daß
er nichts anderes wolle, daß er weder mehr noch weniger wolle."**)

Unterdessen äußerte sich Nikolaus zu seinen Vertrauten sehr unzu-

*) Ancillon, Weisung an die Gesandtschaften, 7. Sept. 1833.
**) Ancillon, Weisung an Schöler, 15. Sept. 1833.

IV. 5. Wiederbefeſtigung der alten Gewalten.
deutſche Bundespolitik; die europäiſchen Fragen wurden hier nur beiläufig
berührt. Nach beendeter Cur kehrte er endlich heim; erſt in Berlin empfing
er die Nachricht, daß der Czar ſeine dringenden Geſchäfte nunmehr abge-
ſchloſſen habe und in den erſten Septembertagen nach Deutſchland zu
kommen denke.

Alſo war, zu Ficquelmont’s unverhohlener Befriedigung und wohl
nicht ohne die ſtille Beihilfe des Czaren ſelbſt, entſchieden, daß der geplante
Congreß in zwei Theile zerfallen mußte. Ebenſo ungeſchickt ſuchte man die
fremden Höfe über den politiſchen Zweck der Zuſammenkunft zu täuſchen.
Neſſelrode ſchrieb nach England, dies Wiederſehen der befreundeten Herrſcher
ſei nur durch die Herzensbedürfniſſe des Czaren veranlaßt; Ancillon ver-
ſicherte den Geſandtſchaften, Nikolaus komme lediglich um ſeinen geliebten
Schwiegervater zu begrüßen und den öſterreichiſchen Kronprinzen kennen zu
lernen*) — während doch Jedermann wußte, daß der Kanzler Neſſelrode,
Ficquelmont und eine Menge Beamten des Auswärtigen Amts den Selbſt-
herrſcher auf ſeiner ſtillen Familienreiſe begleiteten. Begreiflich, daß Pal-
merſton mit gewohnter Grobheit ſagte: „Wie können dieſe Leute ſich die
Mühe geben ſolches Blech (stuff) zu ſchreiben? Es iſt, als ob ſie uns
zwingen wollten, ihnen niemals mehr ein Wort zu glauben!“

König Friedrich Wilhelm erwartete nunmehr ſeinen Schwiegerſohn im
Schloſſe Schwedt an der Oder. Es ſchwebte aber ein Unſtern über dieſem
ſo ganz vom Zaune gebrochenen Congreſſe. Furchtbare Stürme zwangen
das Schiff des Czaren, unterwegs in Riga eine Zuflucht zu ſuchen. Der
König verbrachte mehrere Tage in tödlicher Langeweile, die nur Abends
durch die tollen Improviſationen des Komikers Beckmann und einiger
anderen Berliner Schauſpieler etwas gemildert wurde; bei dem ſtrömenden
Regen war ſelbſt das liebliche Verſailles der Ukermark ein unleidlicher
Aufenthalt. Da plötzlich, während Alles noch geſpannt auf Nachrichten
von der Küſte wartete, raſſelte der Wagen des Czaren über die Oder-
brücke (5. Sept.); er hatte wieder eine ſeiner beliebten Ueberraſchungen
ausgeführt und den Weg von Riga zu Lande zurückgelegt. Der Empfang
war herzlich wie immer. Ein Strom ruſſiſcher Orden ergoß ſich über
die ſchwarzen Schwedter Dragoner; hier zuerſt gefiel ſich Nikolaus in
jener Ordensverſchwendung, welche ſeitdem von allen Höfen getreulich
nachgeahmt den Ehrenzeichen allen Sinn und Werth geraubt hat. Mit
der üblichen amtlichen Glückſeligkeit ſchilderte Ancillon den Geſandten die
wunderbare Eintracht der Schwedter Berathungen: „der Kaiſer hat wieder-
holt erklärt, daß er daſſelbe wolle wie der König und ſein Cabinet, daß
er nichts anderes wolle, daß er weder mehr noch weniger wolle.“**)

Unterdeſſen äußerte ſich Nikolaus zu ſeinen Vertrauten ſehr unzu-

*) Ancillon, Weiſung an die Geſandtſchaften, 7. Sept. 1833.
**) Ancillon, Weiſung an Schöler, 15. Sept. 1833.
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[328/0342] IV. 5. Wiederbefeſtigung der alten Gewalten. deutſche Bundespolitik; die europäiſchen Fragen wurden hier nur beiläufig berührt. Nach beendeter Cur kehrte er endlich heim; erſt in Berlin empfing er die Nachricht, daß der Czar ſeine dringenden Geſchäfte nunmehr abge- ſchloſſen habe und in den erſten Septembertagen nach Deutſchland zu kommen denke. Alſo war, zu Ficquelmont’s unverhohlener Befriedigung und wohl nicht ohne die ſtille Beihilfe des Czaren ſelbſt, entſchieden, daß der geplante Congreß in zwei Theile zerfallen mußte. Ebenſo ungeſchickt ſuchte man die fremden Höfe über den politiſchen Zweck der Zuſammenkunft zu täuſchen. Neſſelrode ſchrieb nach England, dies Wiederſehen der befreundeten Herrſcher ſei nur durch die Herzensbedürfniſſe des Czaren veranlaßt; Ancillon ver- ſicherte den Geſandtſchaften, Nikolaus komme lediglich um ſeinen geliebten Schwiegervater zu begrüßen und den öſterreichiſchen Kronprinzen kennen zu lernen *) — während doch Jedermann wußte, daß der Kanzler Neſſelrode, Ficquelmont und eine Menge Beamten des Auswärtigen Amts den Selbſt- herrſcher auf ſeiner ſtillen Familienreiſe begleiteten. Begreiflich, daß Pal- merſton mit gewohnter Grobheit ſagte: „Wie können dieſe Leute ſich die Mühe geben ſolches Blech (stuff) zu ſchreiben? Es iſt, als ob ſie uns zwingen wollten, ihnen niemals mehr ein Wort zu glauben!“ König Friedrich Wilhelm erwartete nunmehr ſeinen Schwiegerſohn im Schloſſe Schwedt an der Oder. Es ſchwebte aber ein Unſtern über dieſem ſo ganz vom Zaune gebrochenen Congreſſe. Furchtbare Stürme zwangen das Schiff des Czaren, unterwegs in Riga eine Zuflucht zu ſuchen. Der König verbrachte mehrere Tage in tödlicher Langeweile, die nur Abends durch die tollen Improviſationen des Komikers Beckmann und einiger anderen Berliner Schauſpieler etwas gemildert wurde; bei dem ſtrömenden Regen war ſelbſt das liebliche Verſailles der Ukermark ein unleidlicher Aufenthalt. Da plötzlich, während Alles noch geſpannt auf Nachrichten von der Küſte wartete, raſſelte der Wagen des Czaren über die Oder- brücke (5. Sept.); er hatte wieder eine ſeiner beliebten Ueberraſchungen ausgeführt und den Weg von Riga zu Lande zurückgelegt. Der Empfang war herzlich wie immer. Ein Strom ruſſiſcher Orden ergoß ſich über die ſchwarzen Schwedter Dragoner; hier zuerſt gefiel ſich Nikolaus in jener Ordensverſchwendung, welche ſeitdem von allen Höfen getreulich nachgeahmt den Ehrenzeichen allen Sinn und Werth geraubt hat. Mit der üblichen amtlichen Glückſeligkeit ſchilderte Ancillon den Geſandten die wunderbare Eintracht der Schwedter Berathungen: „der Kaiſer hat wieder- holt erklärt, daß er daſſelbe wolle wie der König und ſein Cabinet, daß er nichts anderes wolle, daß er weder mehr noch weniger wolle.“ **) Unterdeſſen äußerte ſich Nikolaus zu ſeinen Vertrauten ſehr unzu- *) Ancillon, Weiſung an die Geſandtſchaften, 7. Sept. 1833. **) Ancillon, Weiſung an Schöler, 15. Sept. 1833.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/342>, abgerufen am 28.03.2024.