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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Erklärungen der Ostmächte in Paris.
geheim bleiben konnte, den Streit verschärfen, den französischen Hof reizen.
Als der österreichische Geschäftsträger v. Hügel am 30. October den Herzog
von Broglie aufsuchte um ihm die in Berlin verabredete Mittheilung zu
machen, fand er den Minister schon vorbereitet und überaus zurück-
haltend; der Franzose erklärte trocken, in der Schweiz und in Belgien
könne sein König eine Intervention nicht dulden -- was sich im Grunde
von selbst verstand, da beide Länder als neutral anerkannt waren. Am
folgenden Tage ward aber Ministerrath gehalten, und Ludwig Philipp
entschied, daß man den Bogen nicht überspannen dürfe. Pozzo di Borgo
und Werther wurden daher am 1. November ungleich besser empfangen,
der Preuße sogar mit freundschaftlicher Wärme; Broglie versprach dem
Unwesen der Flüchtlingsvereine nach Kräften zu steuern und erhob auch
gegen die Einmischungslehre der Verbündeten nur wenige Einwendungen.*)

Also schien das große diplomatische Zugstück mit einem Schwall
nichtssagender Redensarten zu enden. Doch leider folgte noch ein häß-
liches Nachspiel. Broglie konnte sich's nicht versagen, in einem Rund-
schreiben an die Gesandtschaften die drei Unterredungen mit doctrinärer
Selbstgefälligkeit zu schildern. Schon die hochmüthige Sprache dieses
Schriftstückes mußte verletzen. Denn jedes Volk hat seine eigenen Fehler,
die ihm natürlich zu Gesichte stehen; bei den Germanen kann sich der
Doctrinarismus mit harmloser Gutmüthigkeit paaren, bei den Romanen
entartet er stets zu unleidlichem Tugendstolze. Schlimmer war, daß der
tugendhafte Franzose selbst Unwahrheiten nicht verschmähte. Er behauptete,
gesagt zu haben, daß Frankreich auch in Piemont eine Einmischung nicht
dulden werde. Die drei Gesandten stellten dies übereinstimmend in Ab-
rede; und nun begann ein lang anhaltender, widerwärtiger persönlicher
Zank; sogar der sanftmüthige Ancillon beschuldigte den Franzosen der
Zweizüngigkeit und Charakterschwäche.**) Das Ende war, daß West und
Ost einander noch lange höchst gereizt gegenüberstanden. Die Staats-
männer der Tuilerien redeten wieder viel von dem natürlichen Bunde
mit den kleinen Staaten der Nachbarschaft und wollten nicht begreifen,
warum weder die deutschen Fürsten noch der strenge Legitimist Karl Albert
von Piemont sich nach Frankreichs Schirmherrschaft sehnten. Auch Palmer-
ston fühlte sich beleidigt; er nannte das Auftreten der drei Mächte eine
Schilderhebung gegen die Verfassungsstaaten und erlaubte sich in seinen
geheimen Depeschen grobe Ungezogenheiten, die, bald verrathen, neuen
Unmuth erregten. In Wien und Petersburg aber begann man nach
einiger Zeit halb widerwillig einzusehen, daß Preußens Mäßigung die Welt
vor einer ernsten Gefahr bewahrt hatte. --


*) Pozzo di Borgo's Berichte, 21. Oct./2. Nov.; Ancillon, Rundschreiben an die Gesandt-
schaften, 19. Nov. 1833.
**) Ancillon, Weisungen an Schöler, 8. 22. Dec. 1833.

Erklärungen der Oſtmächte in Paris.
geheim bleiben konnte, den Streit verſchärfen, den franzöſiſchen Hof reizen.
Als der öſterreichiſche Geſchäftsträger v. Hügel am 30. October den Herzog
von Broglie aufſuchte um ihm die in Berlin verabredete Mittheilung zu
machen, fand er den Miniſter ſchon vorbereitet und überaus zurück-
haltend; der Franzoſe erklärte trocken, in der Schweiz und in Belgien
könne ſein König eine Intervention nicht dulden — was ſich im Grunde
von ſelbſt verſtand, da beide Länder als neutral anerkannt waren. Am
folgenden Tage ward aber Miniſterrath gehalten, und Ludwig Philipp
entſchied, daß man den Bogen nicht überſpannen dürfe. Pozzo di Borgo
und Werther wurden daher am 1. November ungleich beſſer empfangen,
der Preuße ſogar mit freundſchaftlicher Wärme; Broglie verſprach dem
Unweſen der Flüchtlingsvereine nach Kräften zu ſteuern und erhob auch
gegen die Einmiſchungslehre der Verbündeten nur wenige Einwendungen.*)

Alſo ſchien das große diplomatiſche Zugſtück mit einem Schwall
nichtsſagender Redensarten zu enden. Doch leider folgte noch ein häß-
liches Nachſpiel. Broglie konnte ſich’s nicht verſagen, in einem Rund-
ſchreiben an die Geſandtſchaften die drei Unterredungen mit doctrinärer
Selbſtgefälligkeit zu ſchildern. Schon die hochmüthige Sprache dieſes
Schriftſtückes mußte verletzen. Denn jedes Volk hat ſeine eigenen Fehler,
die ihm natürlich zu Geſichte ſtehen; bei den Germanen kann ſich der
Doctrinarismus mit harmloſer Gutmüthigkeit paaren, bei den Romanen
entartet er ſtets zu unleidlichem Tugendſtolze. Schlimmer war, daß der
tugendhafte Franzoſe ſelbſt Unwahrheiten nicht verſchmähte. Er behauptete,
geſagt zu haben, daß Frankreich auch in Piemont eine Einmiſchung nicht
dulden werde. Die drei Geſandten ſtellten dies übereinſtimmend in Ab-
rede; und nun begann ein lang anhaltender, widerwärtiger perſönlicher
Zank; ſogar der ſanftmüthige Ancillon beſchuldigte den Franzoſen der
Zweizüngigkeit und Charakterſchwäche.**) Das Ende war, daß Weſt und
Oſt einander noch lange höchſt gereizt gegenüberſtanden. Die Staats-
männer der Tuilerien redeten wieder viel von dem natürlichen Bunde
mit den kleinen Staaten der Nachbarſchaft und wollten nicht begreifen,
warum weder die deutſchen Fürſten noch der ſtrenge Legitimiſt Karl Albert
von Piemont ſich nach Frankreichs Schirmherrſchaft ſehnten. Auch Palmer-
ſton fühlte ſich beleidigt; er nannte das Auftreten der drei Mächte eine
Schilderhebung gegen die Verfaſſungsſtaaten und erlaubte ſich in ſeinen
geheimen Depeſchen grobe Ungezogenheiten, die, bald verrathen, neuen
Unmuth erregten. In Wien und Petersburg aber begann man nach
einiger Zeit halb widerwillig einzuſehen, daß Preußens Mäßigung die Welt
vor einer ernſten Gefahr bewahrt hatte. —


*) Pozzo di Borgo’s Berichte, 21. Oct./2. Nov.; Ancillon, Rundſchreiben an die Geſandt-
ſchaften, 19. Nov. 1833.
**) Ancillon, Weiſungen an Schöler, 8. 22. Dec. 1833.
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[335/0349] Erklärungen der Oſtmächte in Paris. geheim bleiben konnte, den Streit verſchärfen, den franzöſiſchen Hof reizen. Als der öſterreichiſche Geſchäftsträger v. Hügel am 30. October den Herzog von Broglie aufſuchte um ihm die in Berlin verabredete Mittheilung zu machen, fand er den Miniſter ſchon vorbereitet und überaus zurück- haltend; der Franzoſe erklärte trocken, in der Schweiz und in Belgien könne ſein König eine Intervention nicht dulden — was ſich im Grunde von ſelbſt verſtand, da beide Länder als neutral anerkannt waren. Am folgenden Tage ward aber Miniſterrath gehalten, und Ludwig Philipp entſchied, daß man den Bogen nicht überſpannen dürfe. Pozzo di Borgo und Werther wurden daher am 1. November ungleich beſſer empfangen, der Preuße ſogar mit freundſchaftlicher Wärme; Broglie verſprach dem Unweſen der Flüchtlingsvereine nach Kräften zu ſteuern und erhob auch gegen die Einmiſchungslehre der Verbündeten nur wenige Einwendungen. *) Alſo ſchien das große diplomatiſche Zugſtück mit einem Schwall nichtsſagender Redensarten zu enden. Doch leider folgte noch ein häß- liches Nachſpiel. Broglie konnte ſich’s nicht verſagen, in einem Rund- ſchreiben an die Geſandtſchaften die drei Unterredungen mit doctrinärer Selbſtgefälligkeit zu ſchildern. Schon die hochmüthige Sprache dieſes Schriftſtückes mußte verletzen. Denn jedes Volk hat ſeine eigenen Fehler, die ihm natürlich zu Geſichte ſtehen; bei den Germanen kann ſich der Doctrinarismus mit harmloſer Gutmüthigkeit paaren, bei den Romanen entartet er ſtets zu unleidlichem Tugendſtolze. Schlimmer war, daß der tugendhafte Franzoſe ſelbſt Unwahrheiten nicht verſchmähte. Er behauptete, geſagt zu haben, daß Frankreich auch in Piemont eine Einmiſchung nicht dulden werde. Die drei Geſandten ſtellten dies übereinſtimmend in Ab- rede; und nun begann ein lang anhaltender, widerwärtiger perſönlicher Zank; ſogar der ſanftmüthige Ancillon beſchuldigte den Franzoſen der Zweizüngigkeit und Charakterſchwäche. **) Das Ende war, daß Weſt und Oſt einander noch lange höchſt gereizt gegenüberſtanden. Die Staats- männer der Tuilerien redeten wieder viel von dem natürlichen Bunde mit den kleinen Staaten der Nachbarſchaft und wollten nicht begreifen, warum weder die deutſchen Fürſten noch der ſtrenge Legitimiſt Karl Albert von Piemont ſich nach Frankreichs Schirmherrſchaft ſehnten. Auch Palmer- ſton fühlte ſich beleidigt; er nannte das Auftreten der drei Mächte eine Schilderhebung gegen die Verfaſſungsſtaaten und erlaubte ſich in ſeinen geheimen Depeſchen grobe Ungezogenheiten, die, bald verrathen, neuen Unmuth erregten. In Wien und Petersburg aber begann man nach einiger Zeit halb widerwillig einzuſehen, daß Preußens Mäßigung die Welt vor einer ernſten Gefahr bewahrt hatte. — *) Pozzo di Borgo’s Berichte, 21. Oct./2. Nov.; Ancillon, Rundſchreiben an die Geſandt- ſchaften, 19. Nov. 1833. **) Ancillon, Weiſungen an Schöler, 8. 22. Dec. 1833.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/349>, abgerufen am 24.04.2024.