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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede.
ein Sklavenvolk von politischen Kindern, von zuchtlosen Freigeistern und
gelehrten Narren. Um so unbefangener konnte er also in seinen Parla-
mentsreden die lockenden Töne der nationalen Selbstverherrlichung an-
schlagen, und er lernte bald, daß britische Hörer diese Kunst demago-
gischer Schmeichelei selten zu plump finden. Im Sommer 1813, während
in Preußen das Volk in Waffen aufstand, pries Palmerston die unver-
gleichlichen Vorzüge des englischen Söldnerwesens und versicherte den befrie-
digten Gemeinen: auf ein solches Heer von geworbenen Freiwilligen könne
der Feldherr sicherer zählen, als auf "eine Bande von Sklaven, die mit
Gewalt aus ihren Häusern gerissen werden." Späterhin verherrlichte
er sogar die neunschwänzige Katze als ein Kleinod britischer Freiheit: der
ganze Unterschied zwischen dem englischen und den festländischen Heeren
laufe doch lediglich darauf hinaus, daß hier ohne Untersuchung, in Alt-
England aber nach einem Spruche des Kriegsgerichts geprügelt werde!

Die reactionären Doctrinen des Wiener Hofes konnten dem Realisten
nicht zusagen, obwohl er sich hütete deßhalb mit Lord Castlereagh zu
brechen. Mit aufrichtiger Freude schloß er sich dann an Canning an, als
dieser die alte englische Interessenpolitik wieder zu Ehren brachte. Aus
dem Ministerium Wellington trat er mit den anderen Canningiten bald
wieder aus; er fühlte, dies Cabinet müsse "an dem Felsen der öffentlichen
Meinung scheitern", und täuschte sich auch nicht über den nahenden Zu-
sammenbruch des bourbonischen Thrones. Zwei Jahre lang blieb er
nunmehr in den Reihen der Opposition und bereitete durch freisinnige
Gemeinplätze die kühne Schwenkung vor, die ihn zu den Whigs hinüber-
führen sollte. "In der Natur -- so ließ er sich vernehmen -- giebt es
nur eine bewegende Kraft, den Geist; in menschlichen Dingen ist diese
Kraft die Meinung, in politischen Dingen ist es die öffentliche Meinung
und jene Staatsmänner, welche es verstehen, sich der Leidenschaften, der
Interessen, der Meinungen der Menschen zu bemächtigen, erlangen eine
unverhältnißmäßige Macht." Ob der Staatsmann nicht auch verpflichtet
sei, die irrende öffentliche Meinung zu belehren, den Vorurtheilen der
Volksvertretung mit zornigen Brauen zu trotzen? -- solche Fragen hat
er sich niemals vorgelegt. Als er nun nach der Juli-Revolution in das
Reformcabinet der Whigs eintrat und das auswärtige Amt aus Lord
Aberdeen's zaghaften Händen übernahm, lenkte er sofort wieder in die
Bahnen der Handelspolitik Canning's ein. Er konnte nicht wie die beiden
Pitt durch den Schwung einer großen Seele, nicht wie Canning durch das
getragene Pathos kunstvoller Rede das Haus begeistern; der neue Par-
lamentarismus verlangte nach einem Virtuosen der Mittelmäßigkeit.
Palmerston wirkte durch das unfehlbare Mittel des nationalen Selbst-
lobes, durch kleine dialektische Taschenspielerkünste, durch Zeitungsredens-
arten, die einem Jeden einleuchteten und Jedem das Nachdenken ersparten;
die Gegner fertigte er mit schnöden Witzen ab, nach Umständen auch durch

IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede.
ein Sklavenvolk von politiſchen Kindern, von zuchtloſen Freigeiſtern und
gelehrten Narren. Um ſo unbefangener konnte er alſo in ſeinen Parla-
mentsreden die lockenden Töne der nationalen Selbſtverherrlichung an-
ſchlagen, und er lernte bald, daß britiſche Hörer dieſe Kunſt demago-
giſcher Schmeichelei ſelten zu plump finden. Im Sommer 1813, während
in Preußen das Volk in Waffen aufſtand, pries Palmerſton die unver-
gleichlichen Vorzüge des engliſchen Söldnerweſens und verſicherte den befrie-
digten Gemeinen: auf ein ſolches Heer von geworbenen Freiwilligen könne
der Feldherr ſicherer zählen, als auf „eine Bande von Sklaven, die mit
Gewalt aus ihren Häuſern geriſſen werden.“ Späterhin verherrlichte
er ſogar die neunſchwänzige Katze als ein Kleinod britiſcher Freiheit: der
ganze Unterſchied zwiſchen dem engliſchen und den feſtländiſchen Heeren
laufe doch lediglich darauf hinaus, daß hier ohne Unterſuchung, in Alt-
England aber nach einem Spruche des Kriegsgerichts geprügelt werde!

Die reactionären Doctrinen des Wiener Hofes konnten dem Realiſten
nicht zuſagen, obwohl er ſich hütete deßhalb mit Lord Caſtlereagh zu
brechen. Mit aufrichtiger Freude ſchloß er ſich dann an Canning an, als
dieſer die alte engliſche Intereſſenpolitik wieder zu Ehren brachte. Aus
dem Miniſterium Wellington trat er mit den anderen Canningiten bald
wieder aus; er fühlte, dies Cabinet müſſe „an dem Felſen der öffentlichen
Meinung ſcheitern“, und täuſchte ſich auch nicht über den nahenden Zu-
ſammenbruch des bourboniſchen Thrones. Zwei Jahre lang blieb er
nunmehr in den Reihen der Oppoſition und bereitete durch freiſinnige
Gemeinplätze die kühne Schwenkung vor, die ihn zu den Whigs hinüber-
führen ſollte. „In der Natur — ſo ließ er ſich vernehmen — giebt es
nur eine bewegende Kraft, den Geiſt; in menſchlichen Dingen iſt dieſe
Kraft die Meinung, in politiſchen Dingen iſt es die öffentliche Meinung
und jene Staatsmänner, welche es verſtehen, ſich der Leidenſchaften, der
Intereſſen, der Meinungen der Menſchen zu bemächtigen, erlangen eine
unverhältnißmäßige Macht.“ Ob der Staatsmann nicht auch verpflichtet
ſei, die irrende öffentliche Meinung zu belehren, den Vorurtheilen der
Volksvertretung mit zornigen Brauen zu trotzen? — ſolche Fragen hat
er ſich niemals vorgelegt. Als er nun nach der Juli-Revolution in das
Reformcabinet der Whigs eintrat und das auswärtige Amt aus Lord
Aberdeen’s zaghaften Händen übernahm, lenkte er ſofort wieder in die
Bahnen der Handelspolitik Canning’s ein. Er konnte nicht wie die beiden
Pitt durch den Schwung einer großen Seele, nicht wie Canning durch das
getragene Pathos kunſtvoller Rede das Haus begeiſtern; der neue Par-
lamentarismus verlangte nach einem Virtuoſen der Mittelmäßigkeit.
Palmerſton wirkte durch das unfehlbare Mittel des nationalen Selbſt-
lobes, durch kleine dialektiſche Taſchenſpielerkünſte, durch Zeitungsredens-
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[28/0042] IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede. ein Sklavenvolk von politiſchen Kindern, von zuchtloſen Freigeiſtern und gelehrten Narren. Um ſo unbefangener konnte er alſo in ſeinen Parla- mentsreden die lockenden Töne der nationalen Selbſtverherrlichung an- ſchlagen, und er lernte bald, daß britiſche Hörer dieſe Kunſt demago- giſcher Schmeichelei ſelten zu plump finden. Im Sommer 1813, während in Preußen das Volk in Waffen aufſtand, pries Palmerſton die unver- gleichlichen Vorzüge des engliſchen Söldnerweſens und verſicherte den befrie- digten Gemeinen: auf ein ſolches Heer von geworbenen Freiwilligen könne der Feldherr ſicherer zählen, als auf „eine Bande von Sklaven, die mit Gewalt aus ihren Häuſern geriſſen werden.“ Späterhin verherrlichte er ſogar die neunſchwänzige Katze als ein Kleinod britiſcher Freiheit: der ganze Unterſchied zwiſchen dem engliſchen und den feſtländiſchen Heeren laufe doch lediglich darauf hinaus, daß hier ohne Unterſuchung, in Alt- England aber nach einem Spruche des Kriegsgerichts geprügelt werde! Die reactionären Doctrinen des Wiener Hofes konnten dem Realiſten nicht zuſagen, obwohl er ſich hütete deßhalb mit Lord Caſtlereagh zu brechen. Mit aufrichtiger Freude ſchloß er ſich dann an Canning an, als dieſer die alte engliſche Intereſſenpolitik wieder zu Ehren brachte. Aus dem Miniſterium Wellington trat er mit den anderen Canningiten bald wieder aus; er fühlte, dies Cabinet müſſe „an dem Felſen der öffentlichen Meinung ſcheitern“, und täuſchte ſich auch nicht über den nahenden Zu- ſammenbruch des bourboniſchen Thrones. Zwei Jahre lang blieb er nunmehr in den Reihen der Oppoſition und bereitete durch freiſinnige Gemeinplätze die kühne Schwenkung vor, die ihn zu den Whigs hinüber- führen ſollte. „In der Natur — ſo ließ er ſich vernehmen — giebt es nur eine bewegende Kraft, den Geiſt; in menſchlichen Dingen iſt dieſe Kraft die Meinung, in politiſchen Dingen iſt es die öffentliche Meinung und jene Staatsmänner, welche es verſtehen, ſich der Leidenſchaften, der Intereſſen, der Meinungen der Menſchen zu bemächtigen, erlangen eine unverhältnißmäßige Macht.“ Ob der Staatsmann nicht auch verpflichtet ſei, die irrende öffentliche Meinung zu belehren, den Vorurtheilen der Volksvertretung mit zornigen Brauen zu trotzen? — ſolche Fragen hat er ſich niemals vorgelegt. Als er nun nach der Juli-Revolution in das Reformcabinet der Whigs eintrat und das auswärtige Amt aus Lord Aberdeen’s zaghaften Händen übernahm, lenkte er ſofort wieder in die Bahnen der Handelspolitik Canning’s ein. Er konnte nicht wie die beiden Pitt durch den Schwung einer großen Seele, nicht wie Canning durch das getragene Pathos kunſtvoller Rede das Haus begeiſtern; der neue Par- lamentarismus verlangte nach einem Virtuoſen der Mittelmäßigkeit. Palmerſton wirkte durch das unfehlbare Mittel des nationalen Selbſt- lobes, durch kleine dialektiſche Taſchenſpielerkünſte, durch Zeitungsredens- arten, die einem Jeden einleuchteten und Jedem das Nachdenken erſparten; die Gegner fertigte er mit ſchnöden Witzen ab, nach Umſtänden auch durch

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/42>, abgerufen am 28.03.2024.