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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Preußen und die Niederlande.
und Vetter des Königs von Preußen; zärtliche Freundschaft verband die
beiden Kronprinzen, obgleich sie in ihren politischen Grundsätzen gar
nichts mit einander gemein hatten; und eben in diesen Tagen wurde die
alte Blutsverwandtschaft durch die Vermählung des Prinzen Albrecht von
Preußen mit einer niederländischen Prinzessin abermals befestigt. Die
Niederlage, welche Prinz Friedrich der Niederlande im Straßenkampfe
zu Brüssel erlitten hatte, wirkte am Berliner Hofe wie ein Donnerschlag.
Der Kronprinz konnte diese Erinnerungen nie ganz verwinden; nach
langen Jahren noch, in den Fieberträumen seiner letzten Krankheit sprach
er wehmüthig von dem guten Freunde, der die Hälfte seiner Kinder ver-
loren habe.

Ueber die Unhaltbarkeit des künstlichen niederländischen Gesammt-
staates waren die preußischen Staatsmänner noch keineswegs einig. Wohl
hatte Hardenberg, als es zu spät war, ein Jahr nach dem Wiener Con-
gresse, ärgerlich geäußert: Bataver und Belgier würden sich doch nie
vertragen; wie viel klüger, wenn man Belgien an die Welfen und dafür
Hannover an Preußen gegeben hätte. Aber solche Ansichten standen ver-
einzelt; die Mehrzahl am Hofe betrachtete es als eine Ehrenpflicht, die
wichtige Position an der Maas und Schelde dem befreundeten Fürsten-
hause zu erhalten. Die alten Helden des Befreiungskrieges sahen den
längst erwarteten dritten punischen Krieg jetzt unaufhaltsam herannahen;
und mußte er kommen, war es dann nicht würdiger, das Schwert so-
gleich zu ziehen zur Wahrung der Rechte eines alten Bundesgenossen?
So dachte Clausewitz; so Gneisenau, obwohl er zuweilen friedlicheren
Stimmungen nachgab. Auch Stein ahnte tief erschüttert, die ganze
Arbeit seines Lebens müsse von Neuem beginnen; er wußte, die Eitelkeit
der Franzosen werde nicht ruhen, bis sie dereinst Rache genommen hätten
an den Siegern des Befreiungskrieges.

In diesem Gewoge kriegerischer Leidenschaften stand der König, minder
weitsichtig und ebendeßhalb nüchtern die Lage des Augenblicks erwägend.
Auch er hielt den Krieg für nahezu sicher; aber die Schuld daran wollte
er nicht auf sein Gewissen nehmen. Durfte er seinem Volke, das die
Nöthe des letzten Krieges noch kaum verwunden hatte, jetzt zumuthen, im
Auslande einen Aufstand niederzuschlagen, der diesmal besiegt, nach einigen
Jahren unfehlbar abermals ausbrechen mußte? Schon begann das Nach-
spiel der Juli-Revolution auf deutschem Boden; in Braunschweig, in Kassel,
in Dresden erhob sich der Aufruhr; wer konnte vorhersehen, ob Preußen
nicht bald gezwungen sein würde, hier in seinem nächsten Machtgebiete
mit den Waffen die Ruhe herzustellen? Auf die Treue seines Heeres
verließ er sich unbedingt, doch die freudige Begeisterung der Befreiungs-
kriege -- das ward in den Denkschriften des Auswärtigen Amts beständig
wiederholt -- konnte nur dann wiederkehren, wenn er sein Volk in einen
gerechten, Allen verständlichen Vertheidigungskampf führte; und den Ein-

Preußen und die Niederlande.
und Vetter des Königs von Preußen; zärtliche Freundſchaft verband die
beiden Kronprinzen, obgleich ſie in ihren politiſchen Grundſätzen gar
nichts mit einander gemein hatten; und eben in dieſen Tagen wurde die
alte Blutsverwandtſchaft durch die Vermählung des Prinzen Albrecht von
Preußen mit einer niederländiſchen Prinzeſſin abermals befeſtigt. Die
Niederlage, welche Prinz Friedrich der Niederlande im Straßenkampfe
zu Brüſſel erlitten hatte, wirkte am Berliner Hofe wie ein Donnerſchlag.
Der Kronprinz konnte dieſe Erinnerungen nie ganz verwinden; nach
langen Jahren noch, in den Fieberträumen ſeiner letzten Krankheit ſprach
er wehmüthig von dem guten Freunde, der die Hälfte ſeiner Kinder ver-
loren habe.

Ueber die Unhaltbarkeit des künſtlichen niederländiſchen Geſammt-
ſtaates waren die preußiſchen Staatsmänner noch keineswegs einig. Wohl
hatte Hardenberg, als es zu ſpät war, ein Jahr nach dem Wiener Con-
greſſe, ärgerlich geäußert: Bataver und Belgier würden ſich doch nie
vertragen; wie viel klüger, wenn man Belgien an die Welfen und dafür
Hannover an Preußen gegeben hätte. Aber ſolche Anſichten ſtanden ver-
einzelt; die Mehrzahl am Hofe betrachtete es als eine Ehrenpflicht, die
wichtige Poſition an der Maas und Schelde dem befreundeten Fürſten-
hauſe zu erhalten. Die alten Helden des Befreiungskrieges ſahen den
längſt erwarteten dritten puniſchen Krieg jetzt unaufhaltſam herannahen;
und mußte er kommen, war es dann nicht würdiger, das Schwert ſo-
gleich zu ziehen zur Wahrung der Rechte eines alten Bundesgenoſſen?
So dachte Clauſewitz; ſo Gneiſenau, obwohl er zuweilen friedlicheren
Stimmungen nachgab. Auch Stein ahnte tief erſchüttert, die ganze
Arbeit ſeines Lebens müſſe von Neuem beginnen; er wußte, die Eitelkeit
der Franzoſen werde nicht ruhen, bis ſie dereinſt Rache genommen hätten
an den Siegern des Befreiungskrieges.

In dieſem Gewoge kriegeriſcher Leidenſchaften ſtand der König, minder
weitſichtig und ebendeßhalb nüchtern die Lage des Augenblicks erwägend.
Auch er hielt den Krieg für nahezu ſicher; aber die Schuld daran wollte
er nicht auf ſein Gewiſſen nehmen. Durfte er ſeinem Volke, das die
Nöthe des letzten Krieges noch kaum verwunden hatte, jetzt zumuthen, im
Auslande einen Aufſtand niederzuſchlagen, der diesmal beſiegt, nach einigen
Jahren unfehlbar abermals ausbrechen mußte? Schon begann das Nach-
ſpiel der Juli-Revolution auf deutſchem Boden; in Braunſchweig, in Kaſſel,
in Dresden erhob ſich der Aufruhr; wer konnte vorherſehen, ob Preußen
nicht bald gezwungen ſein würde, hier in ſeinem nächſten Machtgebiete
mit den Waffen die Ruhe herzuſtellen? Auf die Treue ſeines Heeres
verließ er ſich unbedingt, doch die freudige Begeiſterung der Befreiungs-
kriege — das ward in den Denkſchriften des Auswärtigen Amts beſtändig
wiederholt — konnte nur dann wiederkehren, wenn er ſein Volk in einen
gerechten, Allen verſtändlichen Vertheidigungskampf führte; und den Ein-

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[45/0059] Preußen und die Niederlande. und Vetter des Königs von Preußen; zärtliche Freundſchaft verband die beiden Kronprinzen, obgleich ſie in ihren politiſchen Grundſätzen gar nichts mit einander gemein hatten; und eben in dieſen Tagen wurde die alte Blutsverwandtſchaft durch die Vermählung des Prinzen Albrecht von Preußen mit einer niederländiſchen Prinzeſſin abermals befeſtigt. Die Niederlage, welche Prinz Friedrich der Niederlande im Straßenkampfe zu Brüſſel erlitten hatte, wirkte am Berliner Hofe wie ein Donnerſchlag. Der Kronprinz konnte dieſe Erinnerungen nie ganz verwinden; nach langen Jahren noch, in den Fieberträumen ſeiner letzten Krankheit ſprach er wehmüthig von dem guten Freunde, der die Hälfte ſeiner Kinder ver- loren habe. Ueber die Unhaltbarkeit des künſtlichen niederländiſchen Geſammt- ſtaates waren die preußiſchen Staatsmänner noch keineswegs einig. Wohl hatte Hardenberg, als es zu ſpät war, ein Jahr nach dem Wiener Con- greſſe, ärgerlich geäußert: Bataver und Belgier würden ſich doch nie vertragen; wie viel klüger, wenn man Belgien an die Welfen und dafür Hannover an Preußen gegeben hätte. Aber ſolche Anſichten ſtanden ver- einzelt; die Mehrzahl am Hofe betrachtete es als eine Ehrenpflicht, die wichtige Poſition an der Maas und Schelde dem befreundeten Fürſten- hauſe zu erhalten. Die alten Helden des Befreiungskrieges ſahen den längſt erwarteten dritten puniſchen Krieg jetzt unaufhaltſam herannahen; und mußte er kommen, war es dann nicht würdiger, das Schwert ſo- gleich zu ziehen zur Wahrung der Rechte eines alten Bundesgenoſſen? So dachte Clauſewitz; ſo Gneiſenau, obwohl er zuweilen friedlicheren Stimmungen nachgab. Auch Stein ahnte tief erſchüttert, die ganze Arbeit ſeines Lebens müſſe von Neuem beginnen; er wußte, die Eitelkeit der Franzoſen werde nicht ruhen, bis ſie dereinſt Rache genommen hätten an den Siegern des Befreiungskrieges. In dieſem Gewoge kriegeriſcher Leidenſchaften ſtand der König, minder weitſichtig und ebendeßhalb nüchtern die Lage des Augenblicks erwägend. Auch er hielt den Krieg für nahezu ſicher; aber die Schuld daran wollte er nicht auf ſein Gewiſſen nehmen. Durfte er ſeinem Volke, das die Nöthe des letzten Krieges noch kaum verwunden hatte, jetzt zumuthen, im Auslande einen Aufſtand niederzuſchlagen, der diesmal beſiegt, nach einigen Jahren unfehlbar abermals ausbrechen mußte? Schon begann das Nach- ſpiel der Juli-Revolution auf deutſchem Boden; in Braunſchweig, in Kaſſel, in Dresden erhob ſich der Aufruhr; wer konnte vorherſehen, ob Preußen nicht bald gezwungen ſein würde, hier in ſeinem nächſten Machtgebiete mit den Waffen die Ruhe herzuſtellen? Auf die Treue ſeines Heeres verließ er ſich unbedingt, doch die freudige Begeiſterung der Befreiungs- kriege — das ward in den Denkſchriften des Auswärtigen Amts beſtändig wiederholt — konnte nur dann wiederkehren, wenn er ſein Volk in einen gerechten, Allen verſtändlichen Vertheidigungskampf führte; und den Ein-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/59>, abgerufen am 18.04.2024.