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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Die Königswahl in Brüssel.
junge Herzog von Leuchtenberg, und augenblicklich änderte sich die Haltung
des französischen Hofes. Sobald es galt den furchtbaren Namen der
Napoleons aus dem Wege zu schaffen, war den Orleans kein Mittel zu
verächtlich. Bresson und Lawoestine, Ludwig Philipp's Bevollmächtigte in
Brüssel, gaben nunmehr unter der Hand die heilige Versicherung, der
König werde seinem Sohne die Thronbesteigung gestatten; so gewannen
sie van de Weyer, Nothomb und mehrere andere der fähigsten Mitglieder
des Hauses. Am 3. Februar wählte der Congreß mit einer Mehrheit
von zwei Stimmen den Herzog von Nemours zum König der Belgier.

Das Gaukelspiel der Orleans hatte seinen Zweck erreicht, der
Napoleonide war beseitigt; und da überdies die Londoner Conferenz
mittlerweile den verständigen Beschluß gefaßt hatte, daß kein Mitglied
eines der fünf großen Herrscherhäuser die Krone des neutralen Staates
tragen dürfe, so empfingen die Abgesandten des belgischen Congresses
im Palais Royal eine runde Absage. Der Bürgerkönig hielt ihnen eine
von tugendhaften Gemeinplätzen strotzende Rede und betheuerte den Tief-
gerührten, dem Beispiele Ludwig's XIV. und Napoleon's wolle er nicht
folgen.

Begreiflich genug, daß nach solchen Proben französischer Recht-
schaffenheit die Kriegspartei in Berlin immer wieder ihre Stimme erhob.
Mit allen hochkirchlichen Schlagworten der Haller'schen Staatslehre beschwor
Herzog Karl von Mecklenburg seinen königlichen Schwager, die Monarchie
von Gottes Gnaden zu vertheidigen wider den treulosen Aufruhr: "Wie
ein Vater seine Kinder regieret und leitet, die ihm die Gnade Gottes ge-
geben hat, so soll ein König der Vater seiner Völker sein, ein Gott auf
Erden, verantwortlich dem Allerhöchsten, der ihm die Macht verlieh und
die Völker anvertraute." Solche Stilübungen konnten Bernstorff's Nüch-
ternheit nicht beirren; sie ärgerten selbst den Fürsten Wittgenstein, der
überhaupt in dieser Krisis den Parteimann ganz verleugnete und die
Friedenspolitik des Königs treulich unterstützte.*) Noch weniger fiel die
Stimme des alten Hans von Gagern ins Gewicht, als er in den "Vater-
ländischen Briefen" der Allgemeinen Zeitung das unantastbare Recht des
Hauses Oranien vertheidigte; der wunderliche Reichspatriot hatte einst bei
der Gründung des niederländischen Gesammtstaates nur zu eifrig mit-
geholfen und betrachtete jetzt den Zerfall seines kunstvollen Gebildes wie
eine persönliche Demüthigung. Bedenklicher war, daß die Bewohner des
linken Rheinufers für ihre Sicherheit besorgt wurden. Eine geschlossene
französische Partei bestand im preußischen Rheinlande längst nicht mehr,
Dank den unverkennbaren Wohlthaten der neuen Verwaltung. Jedoch das
Zutrauen zu der Dauer der deutschen Herrschaft hatte sich noch nicht

*) Herzog Karl von Mecklenburg, Denkschrift über die Kriegsfrage, März 1831.
Wittgenstein an Bernstorff, 27. März 1831.

Die Königswahl in Brüſſel.
junge Herzog von Leuchtenberg, und augenblicklich änderte ſich die Haltung
des franzöſiſchen Hofes. Sobald es galt den furchtbaren Namen der
Napoleons aus dem Wege zu ſchaffen, war den Orleans kein Mittel zu
verächtlich. Breſſon und Lawoeſtine, Ludwig Philipp’s Bevollmächtigte in
Brüſſel, gaben nunmehr unter der Hand die heilige Verſicherung, der
König werde ſeinem Sohne die Thronbeſteigung geſtatten; ſo gewannen
ſie van de Weyer, Nothomb und mehrere andere der fähigſten Mitglieder
des Hauſes. Am 3. Februar wählte der Congreß mit einer Mehrheit
von zwei Stimmen den Herzog von Nemours zum König der Belgier.

Das Gaukelſpiel der Orleans hatte ſeinen Zweck erreicht, der
Napoleonide war beſeitigt; und da überdies die Londoner Conferenz
mittlerweile den verſtändigen Beſchluß gefaßt hatte, daß kein Mitglied
eines der fünf großen Herrſcherhäuſer die Krone des neutralen Staates
tragen dürfe, ſo empfingen die Abgeſandten des belgiſchen Congreſſes
im Palais Royal eine runde Abſage. Der Bürgerkönig hielt ihnen eine
von tugendhaften Gemeinplätzen ſtrotzende Rede und betheuerte den Tief-
gerührten, dem Beiſpiele Ludwig’s XIV. und Napoleon’s wolle er nicht
folgen.

Begreiflich genug, daß nach ſolchen Proben franzöſiſcher Recht-
ſchaffenheit die Kriegspartei in Berlin immer wieder ihre Stimme erhob.
Mit allen hochkirchlichen Schlagworten der Haller’ſchen Staatslehre beſchwor
Herzog Karl von Mecklenburg ſeinen königlichen Schwager, die Monarchie
von Gottes Gnaden zu vertheidigen wider den treuloſen Aufruhr: „Wie
ein Vater ſeine Kinder regieret und leitet, die ihm die Gnade Gottes ge-
geben hat, ſo ſoll ein König der Vater ſeiner Völker ſein, ein Gott auf
Erden, verantwortlich dem Allerhöchſten, der ihm die Macht verlieh und
die Völker anvertraute.“ Solche Stilübungen konnten Bernſtorff’s Nüch-
ternheit nicht beirren; ſie ärgerten ſelbſt den Fürſten Wittgenſtein, der
überhaupt in dieſer Kriſis den Parteimann ganz verleugnete und die
Friedenspolitik des Königs treulich unterſtützte.*) Noch weniger fiel die
Stimme des alten Hans von Gagern ins Gewicht, als er in den „Vater-
ländiſchen Briefen“ der Allgemeinen Zeitung das unantaſtbare Recht des
Hauſes Oranien vertheidigte; der wunderliche Reichspatriot hatte einſt bei
der Gründung des niederländiſchen Geſammtſtaates nur zu eifrig mit-
geholfen und betrachtete jetzt den Zerfall ſeines kunſtvollen Gebildes wie
eine perſönliche Demüthigung. Bedenklicher war, daß die Bewohner des
linken Rheinufers für ihre Sicherheit beſorgt wurden. Eine geſchloſſene
franzöſiſche Partei beſtand im preußiſchen Rheinlande längſt nicht mehr,
Dank den unverkennbaren Wohlthaten der neuen Verwaltung. Jedoch das
Zutrauen zu der Dauer der deutſchen Herrſchaft hatte ſich noch nicht

*) Herzog Karl von Mecklenburg, Denkſchrift über die Kriegsfrage, März 1831.
Wittgenſtein an Bernſtorff, 27. März 1831.
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[73/0087] Die Königswahl in Brüſſel. junge Herzog von Leuchtenberg, und augenblicklich änderte ſich die Haltung des franzöſiſchen Hofes. Sobald es galt den furchtbaren Namen der Napoleons aus dem Wege zu ſchaffen, war den Orleans kein Mittel zu verächtlich. Breſſon und Lawoeſtine, Ludwig Philipp’s Bevollmächtigte in Brüſſel, gaben nunmehr unter der Hand die heilige Verſicherung, der König werde ſeinem Sohne die Thronbeſteigung geſtatten; ſo gewannen ſie van de Weyer, Nothomb und mehrere andere der fähigſten Mitglieder des Hauſes. Am 3. Februar wählte der Congreß mit einer Mehrheit von zwei Stimmen den Herzog von Nemours zum König der Belgier. Das Gaukelſpiel der Orleans hatte ſeinen Zweck erreicht, der Napoleonide war beſeitigt; und da überdies die Londoner Conferenz mittlerweile den verſtändigen Beſchluß gefaßt hatte, daß kein Mitglied eines der fünf großen Herrſcherhäuſer die Krone des neutralen Staates tragen dürfe, ſo empfingen die Abgeſandten des belgiſchen Congreſſes im Palais Royal eine runde Abſage. Der Bürgerkönig hielt ihnen eine von tugendhaften Gemeinplätzen ſtrotzende Rede und betheuerte den Tief- gerührten, dem Beiſpiele Ludwig’s XIV. und Napoleon’s wolle er nicht folgen. Begreiflich genug, daß nach ſolchen Proben franzöſiſcher Recht- ſchaffenheit die Kriegspartei in Berlin immer wieder ihre Stimme erhob. Mit allen hochkirchlichen Schlagworten der Haller’ſchen Staatslehre beſchwor Herzog Karl von Mecklenburg ſeinen königlichen Schwager, die Monarchie von Gottes Gnaden zu vertheidigen wider den treuloſen Aufruhr: „Wie ein Vater ſeine Kinder regieret und leitet, die ihm die Gnade Gottes ge- geben hat, ſo ſoll ein König der Vater ſeiner Völker ſein, ein Gott auf Erden, verantwortlich dem Allerhöchſten, der ihm die Macht verlieh und die Völker anvertraute.“ Solche Stilübungen konnten Bernſtorff’s Nüch- ternheit nicht beirren; ſie ärgerten ſelbſt den Fürſten Wittgenſtein, der überhaupt in dieſer Kriſis den Parteimann ganz verleugnete und die Friedenspolitik des Königs treulich unterſtützte. *) Noch weniger fiel die Stimme des alten Hans von Gagern ins Gewicht, als er in den „Vater- ländiſchen Briefen“ der Allgemeinen Zeitung das unantaſtbare Recht des Hauſes Oranien vertheidigte; der wunderliche Reichspatriot hatte einſt bei der Gründung des niederländiſchen Geſammtſtaates nur zu eifrig mit- geholfen und betrachtete jetzt den Zerfall ſeines kunſtvollen Gebildes wie eine perſönliche Demüthigung. Bedenklicher war, daß die Bewohner des linken Rheinufers für ihre Sicherheit beſorgt wurden. Eine geſchloſſene franzöſiſche Partei beſtand im preußiſchen Rheinlande längſt nicht mehr, Dank den unverkennbaren Wohlthaten der neuen Verwaltung. Jedoch das Zutrauen zu der Dauer der deutſchen Herrſchaft hatte ſich noch nicht *) Herzog Karl von Mecklenburg, Denkſchrift über die Kriegsfrage, März 1831. Wittgenſtein an Bernſtorff, 27. März 1831.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/87>, abgerufen am 29.03.2024.