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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 2. Die Kriegsgefahr.
die Intelligenz des Volksstammes ankommt und "die diesseitige Infanterie,
wenn sie auch wenig Paradedressur haben mag, doch desto felddiensttüch-
tiger erscheint."*) Nicht einmal zu gemeinsamen Vorschriften für den
Wachtdienst und den militärischen Gruß wollte sich der Bundestag ver-
stehen.

Nachdem man sich also mit Müh und Noth über einen möglichst
inhaltlosen Beschluß geeinigt hatte, begann alsbald ein neuer Zank wegen
der Frage, welche Staaten die Bundesinspectoren stellen sollten. König
Wilhelm von Württemberg hatte sehr lange widerstrebt und sich erst durch
das Zureden seines alten Waffengefährten FML. Latour davon überzeugen
lassen, daß seiner Souveränität keine Gefahr drohe. Indeß wollte er seine
Schwaben weder durch Oesterreich noch durch Hannover mustern lassen,
weil er den alten tiefen Groll gegen die Hofburg noch nicht verwunden
hatte und mit dem verhaßten Welfenkönige noch immer um den Vorrang
stritt. Er erzwang auch, daß statt des Hannoveraners ein dänischer
General nach Stuttgart kam; den Oesterreicher aber erließ man ihm nicht,
und er rächte sich nach seiner Weise, indem er den k. k. Feldmarschall-
leutnant Sunstenau mit ausgesuchter Grobheit behandelte.**)

Auch dieser Streit hörte endlich auf, und jeder der zehn Inspections-
bezirke wurde wirklich von drei Generalen anderer Bundesstaaten besichtigt.
Als aber die Berichte der Inspectoren einliefen, da zeigte sichs mit er-
schreckender Klarheit, wie die große Lüge dieser Bundesverfassung Alles
was mit ihr in Berührung kam ansteckte und sogar die sprichwörtliche Ehr-
lichkeit des deutschen Offizierstandes verdarb. Die inspicirenden Generale,
unter denen sich viele Prinzen befanden, waren durch mannichfache poli-
tische Rücksichten beengt; die meisten dachten auch mit stiller Angst an
den Jammer ihres heimathlichen Heerwesens und verfuhren wie die Krähen,
sie urtheilten sanftmüthig um nicht ihr eigenes engeres Vaterland hartem
Tadel auszusetzen. Sogar die preußischen Generale, die in den Klein-
staaten durch ihre strenge Wachsamkeit und den Freimuth ihrer Rügen
überall Schrecken erregten, sprachen in den amtlichen Berichten doch bei
Weitem nicht so scharf wie in ihren vertrauten Briefen. Daher lobte
die Bundesmilitärcommission, als sie nach fast zwei Jahren (Juli 1843)
über das Gesammtergebniß der Inspection berichtete, mit warmen Worten
"den echt föderativen Geist" der Regierungen und versicherte, es seien
"die Armeecorps zum größeren Theil in ganz vollkommen kriegsver-
fassungsmäßigem Stande"; der preußische Bundesgesandte aber bemerkte
sarkastisch: zu einer zweiten Inspection wird sich der Bundestag wohl
schwerlich entschließen, da ja diese erste fast gar keine Mängel im Bundes-
heere aufgefunden hat.***) Wer zwischen den Zeilen der höflichen Be-

*) Sydow's Bericht, 18. Juni 1841.
**) Berichte von Rochow, 2. Oct., von Maltzan, Oct. 1841.
***) Bülow's Bericht, 15. Oct. 1841.

V. 2. Die Kriegsgefahr.
die Intelligenz des Volksſtammes ankommt und „die dieſſeitige Infanterie,
wenn ſie auch wenig Paradedreſſur haben mag, doch deſto felddienſttüch-
tiger erſcheint.“*) Nicht einmal zu gemeinſamen Vorſchriften für den
Wachtdienſt und den militäriſchen Gruß wollte ſich der Bundestag ver-
ſtehen.

Nachdem man ſich alſo mit Müh und Noth über einen möglichſt
inhaltloſen Beſchluß geeinigt hatte, begann alsbald ein neuer Zank wegen
der Frage, welche Staaten die Bundesinſpectoren ſtellen ſollten. König
Wilhelm von Württemberg hatte ſehr lange widerſtrebt und ſich erſt durch
das Zureden ſeines alten Waffengefährten FML. Latour davon überzeugen
laſſen, daß ſeiner Souveränität keine Gefahr drohe. Indeß wollte er ſeine
Schwaben weder durch Oeſterreich noch durch Hannover muſtern laſſen,
weil er den alten tiefen Groll gegen die Hofburg noch nicht verwunden
hatte und mit dem verhaßten Welfenkönige noch immer um den Vorrang
ſtritt. Er erzwang auch, daß ſtatt des Hannoveraners ein däniſcher
General nach Stuttgart kam; den Oeſterreicher aber erließ man ihm nicht,
und er rächte ſich nach ſeiner Weiſe, indem er den k. k. Feldmarſchall-
leutnant Sunſtenau mit ausgeſuchter Grobheit behandelte.**)

Auch dieſer Streit hörte endlich auf, und jeder der zehn Inſpections-
bezirke wurde wirklich von drei Generalen anderer Bundesſtaaten beſichtigt.
Als aber die Berichte der Inſpectoren einliefen, da zeigte ſichs mit er-
ſchreckender Klarheit, wie die große Lüge dieſer Bundesverfaſſung Alles
was mit ihr in Berührung kam anſteckte und ſogar die ſprichwörtliche Ehr-
lichkeit des deutſchen Offizierſtandes verdarb. Die inſpicirenden Generale,
unter denen ſich viele Prinzen befanden, waren durch mannichfache poli-
tiſche Rückſichten beengt; die meiſten dachten auch mit ſtiller Angſt an
den Jammer ihres heimathlichen Heerweſens und verfuhren wie die Krähen,
ſie urtheilten ſanftmüthig um nicht ihr eigenes engeres Vaterland hartem
Tadel auszuſetzen. Sogar die preußiſchen Generale, die in den Klein-
ſtaaten durch ihre ſtrenge Wachſamkeit und den Freimuth ihrer Rügen
überall Schrecken erregten, ſprachen in den amtlichen Berichten doch bei
Weitem nicht ſo ſcharf wie in ihren vertrauten Briefen. Daher lobte
die Bundesmilitärcommiſſion, als ſie nach faſt zwei Jahren (Juli 1843)
über das Geſammtergebniß der Inſpection berichtete, mit warmen Worten
„den echt föderativen Geiſt“ der Regierungen und verſicherte, es ſeien
„die Armeecorps zum größeren Theil in ganz vollkommen kriegsver-
faſſungsmäßigem Stande“; der preußiſche Bundesgeſandte aber bemerkte
ſarkaſtiſch: zu einer zweiten Inſpection wird ſich der Bundestag wohl
ſchwerlich entſchließen, da ja dieſe erſte faſt gar keine Mängel im Bundes-
heere aufgefunden hat.***) Wer zwiſchen den Zeilen der höflichen Be-

*) Sydow’s Bericht, 18. Juni 1841.
**) Berichte von Rochow, 2. Oct., von Maltzan, Oct. 1841.
***) Bülow’s Bericht, 15. Oct. 1841.
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[98/0112] V. 2. Die Kriegsgefahr. die Intelligenz des Volksſtammes ankommt und „die dieſſeitige Infanterie, wenn ſie auch wenig Paradedreſſur haben mag, doch deſto felddienſttüch- tiger erſcheint.“ *) Nicht einmal zu gemeinſamen Vorſchriften für den Wachtdienſt und den militäriſchen Gruß wollte ſich der Bundestag ver- ſtehen. Nachdem man ſich alſo mit Müh und Noth über einen möglichſt inhaltloſen Beſchluß geeinigt hatte, begann alsbald ein neuer Zank wegen der Frage, welche Staaten die Bundesinſpectoren ſtellen ſollten. König Wilhelm von Württemberg hatte ſehr lange widerſtrebt und ſich erſt durch das Zureden ſeines alten Waffengefährten FML. Latour davon überzeugen laſſen, daß ſeiner Souveränität keine Gefahr drohe. Indeß wollte er ſeine Schwaben weder durch Oeſterreich noch durch Hannover muſtern laſſen, weil er den alten tiefen Groll gegen die Hofburg noch nicht verwunden hatte und mit dem verhaßten Welfenkönige noch immer um den Vorrang ſtritt. Er erzwang auch, daß ſtatt des Hannoveraners ein däniſcher General nach Stuttgart kam; den Oeſterreicher aber erließ man ihm nicht, und er rächte ſich nach ſeiner Weiſe, indem er den k. k. Feldmarſchall- leutnant Sunſtenau mit ausgeſuchter Grobheit behandelte. **) Auch dieſer Streit hörte endlich auf, und jeder der zehn Inſpections- bezirke wurde wirklich von drei Generalen anderer Bundesſtaaten beſichtigt. Als aber die Berichte der Inſpectoren einliefen, da zeigte ſichs mit er- ſchreckender Klarheit, wie die große Lüge dieſer Bundesverfaſſung Alles was mit ihr in Berührung kam anſteckte und ſogar die ſprichwörtliche Ehr- lichkeit des deutſchen Offizierſtandes verdarb. Die inſpicirenden Generale, unter denen ſich viele Prinzen befanden, waren durch mannichfache poli- tiſche Rückſichten beengt; die meiſten dachten auch mit ſtiller Angſt an den Jammer ihres heimathlichen Heerweſens und verfuhren wie die Krähen, ſie urtheilten ſanftmüthig um nicht ihr eigenes engeres Vaterland hartem Tadel auszuſetzen. Sogar die preußiſchen Generale, die in den Klein- ſtaaten durch ihre ſtrenge Wachſamkeit und den Freimuth ihrer Rügen überall Schrecken erregten, ſprachen in den amtlichen Berichten doch bei Weitem nicht ſo ſcharf wie in ihren vertrauten Briefen. Daher lobte die Bundesmilitärcommiſſion, als ſie nach faſt zwei Jahren (Juli 1843) über das Geſammtergebniß der Inſpection berichtete, mit warmen Worten „den echt föderativen Geiſt“ der Regierungen und verſicherte, es ſeien „die Armeecorps zum größeren Theil in ganz vollkommen kriegsver- faſſungsmäßigem Stande“; der preußiſche Bundesgeſandte aber bemerkte ſarkaſtiſch: zu einer zweiten Inſpection wird ſich der Bundestag wohl ſchwerlich entſchließen, da ja dieſe erſte faſt gar keine Mängel im Bundes- heere aufgefunden hat. ***) Wer zwiſchen den Zeilen der höflichen Be- *) Sydow’s Bericht, 18. Juni 1841. **) Berichte von Rochow, 2. Oct., von Maltzan, Oct. 1841. ***) Bülow’s Bericht, 15. Oct. 1841.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/112>, abgerufen am 28.03.2024.