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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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V. 2. Die Kriegsgefahr.
freundschaftlichen Gesinnung zu bestärken und baten ihn zu Gevatter.
Sie selbst legten, nach Coburgischen Grundsätzen, auf kirchliche Feier-
lichkeiten wenig Werth. Friedrich Wilhelm hingegen sah in der Einladung
ein feierliches Symbol des Bundes der beiden protestantischen Großmächte
und erklärte sich bereit, zu der Taufe persönlich zu erscheinen. Aberdeen
war außer sich vor Freude, wie Bunsen behauptete, desgleichen der edle,
heroische neue Bischof von Jerusalem. Metternich aber befürchtete von
dieser englischen Reise eine gefährliche Aufregung protestantischer Partei-
leidenschaften, und Czar Nikolaus ließ dem Schwager besorglich vorstellen,
unterwegs würde sich eine Zusammenkunft mit dem Blusenkönige Leopold
oder einem der französischen Prinzen kaum vermeiden lassen.*) Im Januar
1842 kam Friedrich Wilhelm auf dreizehn Tage nach England und wurde
von der amtlichen Welt mit dem höchsten Glanze empfangen. Nur ein
Theil der Presse schmähte auf den deutschen Spion, Idioten und Heuchler,
und Lord Brougham sprach im Oberhause die höfliche Erwartung aus,
der Preuße würde von Englands Freiheit etwas lernen, die Versprechungen
seines Vaters endlich ausführen. Fest folgte auf Fest, feierliche Trink-
sprüche verherrlichten die Freundschaft der beiden protestantischen Nationen.
Victoria entfaltete ihre ganze Liebenswürdigkeit, schmückte ihren Gast eigen-
händig mit dem Hosenbandorden und trug bei den Feierlichkeiten ein
Armband mit seinem Bildniß. Auch ein junger Coburg-Kohary war zu-
gegen, dem der unersättliche Brüsseler Ehestifter, wie Jedermann bei Hofe
erzählte, schon die Hand der Königin Isabella von Spanien zugedacht
hatte.

Der König zeigte sich hoch entzückt von allen den britischen Institu-
tionen, die er doch daheim keineswegs nachahmen wollte und wohnte
der Eröffnung des Parlaments nicht als schlichter Zuschauer bei, son-
dern -- wunderlich genug -- gleichsam als großbritannischer Reichsver-
wandter, in vollem Schmuck auf einem besonderen Sitze, der ihm zwischen
dem Throne der Königin und den Plätzen der Lords bereitet war. Er
hörte den Gottesdienst in St. Paul mit großer Andacht und scheute
nicht die beständigen dem deutsch-protestantischen Gefühle so widerwärtigen
Kniebeugungen; er besuchte, begleitet von der gottseligen Quäkerin Mrs.
Fry das Gefängniß von Newgate und bewunderte mit der Aufmerksamkeit
des literarischen Feinschmeckers die Aufführung Shakespearischer Lustspiele
in ihrer ursprünglichen Gestalt. So verging die kurze Frist sehr genuß-
reich, aber ohne wirkliche Belehrung und ohne jedes politische Ergebniß.
Den nüchternen britischen Staatsmännern gefiel Friedrich Wilhelm's
Reisebegleiter, der unerschöpflich mittheilsame Humboldt weit besser als
sein Herr, der trotz seiner geistreichen Liebenswürdigkeit doch nicht den

*) Berichte von Bunsen, 10. Dec. 1841, 7. Jan. 1842, von Liebermann, 28. Dec.
1841.

V. 2. Die Kriegsgefahr.
freundſchaftlichen Geſinnung zu beſtärken und baten ihn zu Gevatter.
Sie ſelbſt legten, nach Coburgiſchen Grundſätzen, auf kirchliche Feier-
lichkeiten wenig Werth. Friedrich Wilhelm hingegen ſah in der Einladung
ein feierliches Symbol des Bundes der beiden proteſtantiſchen Großmächte
und erklärte ſich bereit, zu der Taufe perſönlich zu erſcheinen. Aberdeen
war außer ſich vor Freude, wie Bunſen behauptete, desgleichen der edle,
heroiſche neue Biſchof von Jeruſalem. Metternich aber befürchtete von
dieſer engliſchen Reiſe eine gefährliche Aufregung proteſtantiſcher Partei-
leidenſchaften, und Czar Nikolaus ließ dem Schwager beſorglich vorſtellen,
unterwegs würde ſich eine Zuſammenkunft mit dem Bluſenkönige Leopold
oder einem der franzöſiſchen Prinzen kaum vermeiden laſſen.*) Im Januar
1842 kam Friedrich Wilhelm auf dreizehn Tage nach England und wurde
von der amtlichen Welt mit dem höchſten Glanze empfangen. Nur ein
Theil der Preſſe ſchmähte auf den deutſchen Spion, Idioten und Heuchler,
und Lord Brougham ſprach im Oberhauſe die höfliche Erwartung aus,
der Preuße würde von Englands Freiheit etwas lernen, die Verſprechungen
ſeines Vaters endlich ausführen. Feſt folgte auf Feſt, feierliche Trink-
ſprüche verherrlichten die Freundſchaft der beiden proteſtantiſchen Nationen.
Victoria entfaltete ihre ganze Liebenswürdigkeit, ſchmückte ihren Gaſt eigen-
händig mit dem Hoſenbandorden und trug bei den Feierlichkeiten ein
Armband mit ſeinem Bildniß. Auch ein junger Coburg-Kohary war zu-
gegen, dem der unerſättliche Brüſſeler Eheſtifter, wie Jedermann bei Hofe
erzählte, ſchon die Hand der Königin Iſabella von Spanien zugedacht
hatte.

Der König zeigte ſich hoch entzückt von allen den britiſchen Inſtitu-
tionen, die er doch daheim keineswegs nachahmen wollte und wohnte
der Eröffnung des Parlaments nicht als ſchlichter Zuſchauer bei, ſon-
dern — wunderlich genug — gleichſam als großbritanniſcher Reichsver-
wandter, in vollem Schmuck auf einem beſonderen Sitze, der ihm zwiſchen
dem Throne der Königin und den Plätzen der Lords bereitet war. Er
hörte den Gottesdienſt in St. Paul mit großer Andacht und ſcheute
nicht die beſtändigen dem deutſch-proteſtantiſchen Gefühle ſo widerwärtigen
Kniebeugungen; er beſuchte, begleitet von der gottſeligen Quäkerin Mrs.
Fry das Gefängniß von Newgate und bewunderte mit der Aufmerkſamkeit
des literariſchen Feinſchmeckers die Aufführung Shakeſpeariſcher Luſtſpiele
in ihrer urſprünglichen Geſtalt. So verging die kurze Friſt ſehr genuß-
reich, aber ohne wirkliche Belehrung und ohne jedes politiſche Ergebniß.
Den nüchternen britiſchen Staatsmännern gefiel Friedrich Wilhelm’s
Reiſebegleiter, der unerſchöpflich mittheilſame Humboldt weit beſſer als
ſein Herr, der trotz ſeiner geiſtreichen Liebenswürdigkeit doch nicht den

*) Berichte von Bunſen, 10. Dec. 1841, 7. Jan. 1842, von Liebermann, 28. Dec.
1841.
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[132/0146] V. 2. Die Kriegsgefahr. freundſchaftlichen Geſinnung zu beſtärken und baten ihn zu Gevatter. Sie ſelbſt legten, nach Coburgiſchen Grundſätzen, auf kirchliche Feier- lichkeiten wenig Werth. Friedrich Wilhelm hingegen ſah in der Einladung ein feierliches Symbol des Bundes der beiden proteſtantiſchen Großmächte und erklärte ſich bereit, zu der Taufe perſönlich zu erſcheinen. Aberdeen war außer ſich vor Freude, wie Bunſen behauptete, desgleichen der edle, heroiſche neue Biſchof von Jeruſalem. Metternich aber befürchtete von dieſer engliſchen Reiſe eine gefährliche Aufregung proteſtantiſcher Partei- leidenſchaften, und Czar Nikolaus ließ dem Schwager beſorglich vorſtellen, unterwegs würde ſich eine Zuſammenkunft mit dem Bluſenkönige Leopold oder einem der franzöſiſchen Prinzen kaum vermeiden laſſen. *) Im Januar 1842 kam Friedrich Wilhelm auf dreizehn Tage nach England und wurde von der amtlichen Welt mit dem höchſten Glanze empfangen. Nur ein Theil der Preſſe ſchmähte auf den deutſchen Spion, Idioten und Heuchler, und Lord Brougham ſprach im Oberhauſe die höfliche Erwartung aus, der Preuße würde von Englands Freiheit etwas lernen, die Verſprechungen ſeines Vaters endlich ausführen. Feſt folgte auf Feſt, feierliche Trink- ſprüche verherrlichten die Freundſchaft der beiden proteſtantiſchen Nationen. Victoria entfaltete ihre ganze Liebenswürdigkeit, ſchmückte ihren Gaſt eigen- händig mit dem Hoſenbandorden und trug bei den Feierlichkeiten ein Armband mit ſeinem Bildniß. Auch ein junger Coburg-Kohary war zu- gegen, dem der unerſättliche Brüſſeler Eheſtifter, wie Jedermann bei Hofe erzählte, ſchon die Hand der Königin Iſabella von Spanien zugedacht hatte. Der König zeigte ſich hoch entzückt von allen den britiſchen Inſtitu- tionen, die er doch daheim keineswegs nachahmen wollte und wohnte der Eröffnung des Parlaments nicht als ſchlichter Zuſchauer bei, ſon- dern — wunderlich genug — gleichſam als großbritanniſcher Reichsver- wandter, in vollem Schmuck auf einem beſonderen Sitze, der ihm zwiſchen dem Throne der Königin und den Plätzen der Lords bereitet war. Er hörte den Gottesdienſt in St. Paul mit großer Andacht und ſcheute nicht die beſtändigen dem deutſch-proteſtantiſchen Gefühle ſo widerwärtigen Kniebeugungen; er beſuchte, begleitet von der gottſeligen Quäkerin Mrs. Fry das Gefängniß von Newgate und bewunderte mit der Aufmerkſamkeit des literariſchen Feinſchmeckers die Aufführung Shakeſpeariſcher Luſtſpiele in ihrer urſprünglichen Geſtalt. So verging die kurze Friſt ſehr genuß- reich, aber ohne wirkliche Belehrung und ohne jedes politiſche Ergebniß. Den nüchternen britiſchen Staatsmännern gefiel Friedrich Wilhelm’s Reiſebegleiter, der unerſchöpflich mittheilſame Humboldt weit beſſer als ſein Herr, der trotz ſeiner geiſtreichen Liebenswürdigkeit doch nicht den *) Berichte von Bunſen, 10. Dec. 1841, 7. Jan. 1842, von Liebermann, 28. Dec. 1841.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/146>, abgerufen am 28.03.2024.