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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894.

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Friedrich Wilhelm's Verhältniß zu seiner Zeit.
verfiel. Die Schwäche jeder neuen Regierung, die Unberechenbarkeit aller
Verhältnisse, währte unter dem vierten Friedrich Wilhelm nahezu acht
Jahre, bis eine furchtbare Niederlage des Königthums die ganze Lage
veränderte. Und wenn nur die Zeit und ihr königlicher Erwecker einander
irgend verstanden hätten! Er aber hatte sich in einem seltsam verschlun-
genen Entwicklungsgange so eigenthümliche Ideale gebildet, daß er zu-
weilen in den Worten, niemals in der Sache mit der Durchschnitts-
meinung der Zeitgenossen übereinstimmen konnte; er redete eine andere
Sprache als sein Volk. Man jauchzte ihm zu, weil er nach dem Wunsche
aller Welt dem Zwange, der Stille des alten Systems ein Ende bereitete,
und auch durch die Form seiner Reden schien er zu beweisen, daß Niemand
sich völlig von seiner Zeit lossagen kann; denn ganz wie die Poeten
des jungen Deutschlands, die er so tief verabscheute, liebte er durch das
Ungewöhnliche zu blenden und verschmähte Schlichtes schlicht zu sagen.
Doch wenn er von Freiheit sprach, so meinte er sein althistorisches Stände-
wesen, das nur die Macht des Beamtenthums, nimmermehr die monar-
chische Gewalt beschränken sollte, während seine Zuhörer an das Reprä-
sentativsystem dachten, das man allmählich für die einzige eines gesitteten
Volkes würdige Staatsform ansah. Wenn er die deutsche Einheit pries,
so dachte er an den Deutschen Bund und dessen friedliche Fortbildung, der-
weil die Gebildeten das ganze Treiben in der Eschenheimer Gasse schon
längst als einen gespenstischen Mummenschanz verurtheilten. Wenn er
von der Selbständigkeit der Kirchen redete, so stimmte ihm Jedermann
zu, denn wer konnte dem Zauberworte der Freiheit widerstehen? -- aber
die christliche Gesinnung, die er für die freien Gemeinden der Gläubigen
verlangte, war den Wortführern des Zeitgeistes völlig fremd, und alle die
edlen Stiftungen seiner großartigen Wohlthätigkeit, die von ihren Pfleg-
lingen noch heute dankbar gesegnet werden, galten der Welt für Fröm-
melei und Muckerei. Wenn er der Kunst und Wissenschaft freie Bahn
versprach, so dachte er an die alte Naturphilosophie und die romantische
Dichtung, geistige Mächte, welche das selbstgefällige neue Geschlecht längst
überwunden zu haben glaubte.

So ward die erste Zeit seiner Regierung eine lange Kette von Miß-
verständnissen, und an dieser wechselseitigen Verkennung trug der König
ebenso viel Schuld wie die unklar gährende Zeitstimmung, die ihn erst
für ihren Helden hielt, um ihn dann mit der ganzen Bitterkeit der Ent-
täuschung zu bekämpfen. Selbst General Gerlach, der getreue Freund
und Diener, sagte zuweilen: "die Wege des Herrn sind wunderbar," und
der nicht minder ergebene Bunsen schrieb neben die Klage des Königs:
"Niemand versteht mich, Niemand begreift mich" die verzweifelte Rand-
bemerkung: "Wenn man ihn verstände, wie könnte man ihn begreifen!"
Friedrich Wilhelm vermochte nicht, wie sein ebenso phantasiereicher bairi-
scher Schwager, durch despotische Härte und durchtriebene Schlauheit sich

Friedrich Wilhelm’s Verhältniß zu ſeiner Zeit.
verfiel. Die Schwäche jeder neuen Regierung, die Unberechenbarkeit aller
Verhältniſſe, währte unter dem vierten Friedrich Wilhelm nahezu acht
Jahre, bis eine furchtbare Niederlage des Königthums die ganze Lage
veränderte. Und wenn nur die Zeit und ihr königlicher Erwecker einander
irgend verſtanden hätten! Er aber hatte ſich in einem ſeltſam verſchlun-
genen Entwicklungsgange ſo eigenthümliche Ideale gebildet, daß er zu-
weilen in den Worten, niemals in der Sache mit der Durchſchnitts-
meinung der Zeitgenoſſen übereinſtimmen konnte; er redete eine andere
Sprache als ſein Volk. Man jauchzte ihm zu, weil er nach dem Wunſche
aller Welt dem Zwange, der Stille des alten Syſtems ein Ende bereitete,
und auch durch die Form ſeiner Reden ſchien er zu beweiſen, daß Niemand
ſich völlig von ſeiner Zeit losſagen kann; denn ganz wie die Poeten
des jungen Deutſchlands, die er ſo tief verabſcheute, liebte er durch das
Ungewöhnliche zu blenden und verſchmähte Schlichtes ſchlicht zu ſagen.
Doch wenn er von Freiheit ſprach, ſo meinte er ſein althiſtoriſches Stände-
weſen, das nur die Macht des Beamtenthums, nimmermehr die monar-
chiſche Gewalt beſchränken ſollte, während ſeine Zuhörer an das Reprä-
ſentativſyſtem dachten, das man allmählich für die einzige eines geſitteten
Volkes würdige Staatsform anſah. Wenn er die deutſche Einheit pries,
ſo dachte er an den Deutſchen Bund und deſſen friedliche Fortbildung, der-
weil die Gebildeten das ganze Treiben in der Eſchenheimer Gaſſe ſchon
längſt als einen geſpenſtiſchen Mummenſchanz verurtheilten. Wenn er
von der Selbſtändigkeit der Kirchen redete, ſo ſtimmte ihm Jedermann
zu, denn wer konnte dem Zauberworte der Freiheit widerſtehen? — aber
die chriſtliche Geſinnung, die er für die freien Gemeinden der Gläubigen
verlangte, war den Wortführern des Zeitgeiſtes völlig fremd, und alle die
edlen Stiftungen ſeiner großartigen Wohlthätigkeit, die von ihren Pfleg-
lingen noch heute dankbar geſegnet werden, galten der Welt für Fröm-
melei und Muckerei. Wenn er der Kunſt und Wiſſenſchaft freie Bahn
verſprach, ſo dachte er an die alte Naturphiloſophie und die romantiſche
Dichtung, geiſtige Mächte, welche das ſelbſtgefällige neue Geſchlecht längſt
überwunden zu haben glaubte.

So ward die erſte Zeit ſeiner Regierung eine lange Kette von Miß-
verſtändniſſen, und an dieſer wechſelſeitigen Verkennung trug der König
ebenſo viel Schuld wie die unklar gährende Zeitſtimmung, die ihn erſt
für ihren Helden hielt, um ihn dann mit der ganzen Bitterkeit der Ent-
täuſchung zu bekämpfen. Selbſt General Gerlach, der getreue Freund
und Diener, ſagte zuweilen: „die Wege des Herrn ſind wunderbar,“ und
der nicht minder ergebene Bunſen ſchrieb neben die Klage des Königs:
„Niemand verſteht mich, Niemand begreift mich“ die verzweifelte Rand-
bemerkung: „Wenn man ihn verſtände, wie könnte man ihn begreifen!“
Friedrich Wilhelm vermochte nicht, wie ſein ebenſo phantaſiereicher bairi-
ſcher Schwager, durch despotiſche Härte und durchtriebene Schlauheit ſich

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[15/0029] Friedrich Wilhelm’s Verhältniß zu ſeiner Zeit. verfiel. Die Schwäche jeder neuen Regierung, die Unberechenbarkeit aller Verhältniſſe, währte unter dem vierten Friedrich Wilhelm nahezu acht Jahre, bis eine furchtbare Niederlage des Königthums die ganze Lage veränderte. Und wenn nur die Zeit und ihr königlicher Erwecker einander irgend verſtanden hätten! Er aber hatte ſich in einem ſeltſam verſchlun- genen Entwicklungsgange ſo eigenthümliche Ideale gebildet, daß er zu- weilen in den Worten, niemals in der Sache mit der Durchſchnitts- meinung der Zeitgenoſſen übereinſtimmen konnte; er redete eine andere Sprache als ſein Volk. Man jauchzte ihm zu, weil er nach dem Wunſche aller Welt dem Zwange, der Stille des alten Syſtems ein Ende bereitete, und auch durch die Form ſeiner Reden ſchien er zu beweiſen, daß Niemand ſich völlig von ſeiner Zeit losſagen kann; denn ganz wie die Poeten des jungen Deutſchlands, die er ſo tief verabſcheute, liebte er durch das Ungewöhnliche zu blenden und verſchmähte Schlichtes ſchlicht zu ſagen. Doch wenn er von Freiheit ſprach, ſo meinte er ſein althiſtoriſches Stände- weſen, das nur die Macht des Beamtenthums, nimmermehr die monar- chiſche Gewalt beſchränken ſollte, während ſeine Zuhörer an das Reprä- ſentativſyſtem dachten, das man allmählich für die einzige eines geſitteten Volkes würdige Staatsform anſah. Wenn er die deutſche Einheit pries, ſo dachte er an den Deutſchen Bund und deſſen friedliche Fortbildung, der- weil die Gebildeten das ganze Treiben in der Eſchenheimer Gaſſe ſchon längſt als einen geſpenſtiſchen Mummenſchanz verurtheilten. Wenn er von der Selbſtändigkeit der Kirchen redete, ſo ſtimmte ihm Jedermann zu, denn wer konnte dem Zauberworte der Freiheit widerſtehen? — aber die chriſtliche Geſinnung, die er für die freien Gemeinden der Gläubigen verlangte, war den Wortführern des Zeitgeiſtes völlig fremd, und alle die edlen Stiftungen ſeiner großartigen Wohlthätigkeit, die von ihren Pfleg- lingen noch heute dankbar geſegnet werden, galten der Welt für Fröm- melei und Muckerei. Wenn er der Kunſt und Wiſſenſchaft freie Bahn verſprach, ſo dachte er an die alte Naturphiloſophie und die romantiſche Dichtung, geiſtige Mächte, welche das ſelbſtgefällige neue Geſchlecht längſt überwunden zu haben glaubte. So ward die erſte Zeit ſeiner Regierung eine lange Kette von Miß- verſtändniſſen, und an dieſer wechſelſeitigen Verkennung trug der König ebenſo viel Schuld wie die unklar gährende Zeitſtimmung, die ihn erſt für ihren Helden hielt, um ihn dann mit der ganzen Bitterkeit der Ent- täuſchung zu bekämpfen. Selbſt General Gerlach, der getreue Freund und Diener, ſagte zuweilen: „die Wege des Herrn ſind wunderbar,“ und der nicht minder ergebene Bunſen ſchrieb neben die Klage des Königs: „Niemand verſteht mich, Niemand begreift mich“ die verzweifelte Rand- bemerkung: „Wenn man ihn verſtände, wie könnte man ihn begreifen!“ Friedrich Wilhelm vermochte nicht, wie ſein ebenſo phantaſiereicher bairi- ſcher Schwager, durch despotiſche Härte und durchtriebene Schlauheit ſich

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/29>, abgerufen am 29.03.2024.