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Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 1. Göttingen, 1802.

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Zweytes Capitel.
Fundamentalsätze der Biologie.

Der Gegenstand unserer Untersuchungen ist das
physische Leben. Der erste Schritt hierin muss al-
so die Beantwortung der Frage seyn: Was ist Le-
ben? Gerade dieser ist aber der schwerste unter al-
len. Noch keinem Schriftsteller glückte es, jene
Frage befriedigend zu beantworten. Dies soll in-
dess unsern Muth nicht niederschlagen. Vielleicht
gelingt es unserer Kleinheit, was grössere Männer
umsonst versuchten. Finden wir übrigens eine be-
friedigende Erklärung des Lebens, so wird uns da-
mit auch der Gang bey unsern weitern Untersu-
chungen vorgezeichnet seyn.

Unter Leben denken wir uns einen Zustand
von Thätigkeit. Wir nennen ein Thier, eine Pflan-
ze lebend, so lange wir noch Spuhren von Wachs-
thum und Bewegung, also von Thätigkeit, bey ih-
nen antreffen. Allein zugleich denken wir uns die-
se Thätigkeit als etwas in dem Körper, dem wir
Leben zuschreiben, von Innen, nicht von Aussen
hervorgebrachtes. Das Meer, das vom Sturme be-
wegt wird, ist auch in Thätigkeit. Dennoch aber
schreiben wir ihm kein Leben zu: warum? weil
ihm jene Bewegung durch äussere Kräfte mitge-

theilt

Zweytes Capitel.
Fundamentalsätze der Biologie.

Der Gegenstand unserer Untersuchungen ist das
physische Leben. Der erste Schritt hierin muſs al-
so die Beantwortung der Frage seyn: Was ist Le-
ben? Gerade dieser ist aber der schwerste unter al-
len. Noch keinem Schriftsteller glückte es, jene
Frage befriedigend zu beantworten. Dies soll in-
deſs unsern Muth nicht niederschlagen. Vielleicht
gelingt es unserer Kleinheit, was gröſsere Männer
umsonst versuchten. Finden wir übrigens eine be-
friedigende Erklärung des Lebens, so wird uns da-
mit auch der Gang bey unsern weitern Untersu-
chungen vorgezeichnet seyn.

Unter Leben denken wir uns einen Zustand
von Thätigkeit. Wir nennen ein Thier, eine Pflan-
ze lebend, so lange wir noch Spuhren von Wachs-
thum und Bewegung, also von Thätigkeit, bey ih-
nen antreffen. Allein zugleich denken wir uns die-
se Thätigkeit als etwas in dem Körper, dem wir
Leben zuschreiben, von Innen, nicht von Aussen
hervorgebrachtes. Das Meer, das vom Sturme be-
wegt wird, ist auch in Thätigkeit. Dennoch aber
schreiben wir ihm kein Leben zu: warum? weil
ihm jene Bewegung durch äussere Kräfte mitge-

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[16/0036] Zweytes Capitel. Fundamentalsätze der Biologie. Der Gegenstand unserer Untersuchungen ist das physische Leben. Der erste Schritt hierin muſs al- so die Beantwortung der Frage seyn: Was ist Le- ben? Gerade dieser ist aber der schwerste unter al- len. Noch keinem Schriftsteller glückte es, jene Frage befriedigend zu beantworten. Dies soll in- deſs unsern Muth nicht niederschlagen. Vielleicht gelingt es unserer Kleinheit, was gröſsere Männer umsonst versuchten. Finden wir übrigens eine be- friedigende Erklärung des Lebens, so wird uns da- mit auch der Gang bey unsern weitern Untersu- chungen vorgezeichnet seyn. Unter Leben denken wir uns einen Zustand von Thätigkeit. Wir nennen ein Thier, eine Pflan- ze lebend, so lange wir noch Spuhren von Wachs- thum und Bewegung, also von Thätigkeit, bey ih- nen antreffen. Allein zugleich denken wir uns die- se Thätigkeit als etwas in dem Körper, dem wir Leben zuschreiben, von Innen, nicht von Aussen hervorgebrachtes. Das Meer, das vom Sturme be- wegt wird, ist auch in Thätigkeit. Dennoch aber schreiben wir ihm kein Leben zu: warum? weil ihm jene Bewegung durch äussere Kräfte mitge- theilt

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Zitationshilfe: Treviranus, Gottfried Reinhold: Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte. Bd. 1. Göttingen, 1802, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treviranus_biologie01_1802/36>, abgerufen am 29.03.2024.