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Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858.

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Die Theorie der freien Zellenbildung.
das Erste aufträte, indem er sich aus einer Bildungsflüssig-
keit (Blastem, Cytoblastem) ausscheide, dass er schnell eine
gewisse Grösse erreiche, dass sich dann um ihn kleine Körn-
[Abbildung] Fig. 4.
chen aus dem Blastem niederschlü-
gen, um die sich eine Membran
verdichte; damit wäre ein Nucleus
fertig, um den sich nun allmählich
neue Masse ansammle und seiner
Zeit eine kleine Membran erzeuge
(die berühmte Uhrglasform.) Diese
Darstellung der ersten Entwicklung von Zellen aus freiem Blas-
tem, wonach der Kern der Zellenbildung voraufgehen und als
eigentlicher Zellenbildner (Cytoblast) auftreten sollte, ist es,
welche man gewöhnlich unter dem Namen der Zellentheorie
(genauer Theorie der freien Zellenbildung) zusammenzufassen
pflegt, -- eine Theorie der Entwicklung, welche fast vollständig
verlassen ist, und für deren Richtigkeit keine einzige Thatsache
mit Sicherheit beigebracht werden kann. In Beziehung auf
das Kernkörperchen ist vorläufig nur das festzuhalten, dass,
wenn wir entwickelte, grosse Zellen haben, wir fast constant
auch einen Nucleolus in ihnen sehen, dass dagegen bei vielen
jungen Elementen derselbe vermisst wird.

Sie werden späterhin eine Reihe von Thatsachen
der pathologischen und physiologischen Entwicklungsgeschichte
kennen lernen, welche es in hohem Grade wahrscheinlich
machen, dass der Kern eine ausserordentlich wichtige Rolle
innerhalb der Zelle spielt, eine Rolle, die, wie ich gleich her-
vorheben will, weniger auf die Function, die specifische Leis-
tung der Elemente sich bezieht, als vielmehr auf die Erhal-
tung und Vermehrung des Elementes als eines lebendigen

Fig. 4. Nach Schleiden, Grundzüge der wiss. Botanik I. Fig. 1.
"Inhalt des Embryosackes von Vicia faba bald nach der Befruchtung. In
der hellen, aus Gummi und Zucker bestehenden Flüssigkeit schwimmen
Körnchen von Proteinverbindungen (a), unter denen sich einzelne grös-
sere auffallend auszeichnen. Um diese letzteren sieht man dann die er-
steren zu einer kleinen Scheibe zusammengeballt (b. c.). Um andere Schei-
ben erkennt man einen hellen, scharf begrenzten Saum, der sich allmäh-
lich weiter von der Scheibe (dem Cytoblasten) entfernt und endlich
deutlich als junge Zelle (d. e.) erkannt wird."

Die Theorie der freien Zellenbildung.
das Erste aufträte, indem er sich aus einer Bildungsflüssig-
keit (Blastem, Cytoblastem) ausscheide, dass er schnell eine
gewisse Grösse erreiche, dass sich dann um ihn kleine Körn-
[Abbildung] Fig. 4.
chen aus dem Blastem niederschlü-
gen, um die sich eine Membran
verdichte; damit wäre ein Nucleus
fertig, um den sich nun allmählich
neue Masse ansammle und seiner
Zeit eine kleine Membran erzeuge
(die berühmte Uhrglasform.) Diese
Darstellung der ersten Entwicklung von Zellen aus freiem Blas-
tem, wonach der Kern der Zellenbildung voraufgehen und als
eigentlicher Zellenbildner (Cytoblast) auftreten sollte, ist es,
welche man gewöhnlich unter dem Namen der Zellentheorie
(genauer Theorie der freien Zellenbildung) zusammenzufassen
pflegt, — eine Theorie der Entwicklung, welche fast vollständig
verlassen ist, und für deren Richtigkeit keine einzige Thatsache
mit Sicherheit beigebracht werden kann. In Beziehung auf
das Kernkörperchen ist vorläufig nur das festzuhalten, dass,
wenn wir entwickelte, grosse Zellen haben, wir fast constant
auch einen Nucleolus in ihnen sehen, dass dagegen bei vielen
jungen Elementen derselbe vermisst wird.

Sie werden späterhin eine Reihe von Thatsachen
der pathologischen und physiologischen Entwicklungsgeschichte
kennen lernen, welche es in hohem Grade wahrscheinlich
machen, dass der Kern eine ausserordentlich wichtige Rolle
innerhalb der Zelle spielt, eine Rolle, die, wie ich gleich her-
vorheben will, weniger auf die Function, die specifische Leis-
tung der Elemente sich bezieht, als vielmehr auf die Erhal-
tung und Vermehrung des Elementes als eines lebendigen

Fig. 4. Nach Schleiden, Grundzüge der wiss. Botanik I. Fig. 1.
„Inhalt des Embryosackes von Vicia faba bald nach der Befruchtung. In
der hellen, aus Gummi und Zucker bestehenden Flüssigkeit schwimmen
Körnchen von Proteinverbindungen (a), unter denen sich einzelne grös-
sere auffallend auszeichnen. Um diese letzteren sieht man dann die er-
steren zu einer kleinen Scheibe zusammengeballt (b. c.). Um andere Schei-
ben erkennt man einen hellen, scharf begrenzten Saum, der sich allmäh-
lich weiter von der Scheibe (dem Cytoblasten) entfernt und endlich
deutlich als junge Zelle (d. e.) erkannt wird.“
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[9/0031] Die Theorie der freien Zellenbildung. das Erste aufträte, indem er sich aus einer Bildungsflüssig- keit (Blastem, Cytoblastem) ausscheide, dass er schnell eine gewisse Grösse erreiche, dass sich dann um ihn kleine Körn- [Abbildung Fig. 4. ] chen aus dem Blastem niederschlü- gen, um die sich eine Membran verdichte; damit wäre ein Nucleus fertig, um den sich nun allmählich neue Masse ansammle und seiner Zeit eine kleine Membran erzeuge (die berühmte Uhrglasform.) Diese Darstellung der ersten Entwicklung von Zellen aus freiem Blas- tem, wonach der Kern der Zellenbildung voraufgehen und als eigentlicher Zellenbildner (Cytoblast) auftreten sollte, ist es, welche man gewöhnlich unter dem Namen der Zellentheorie (genauer Theorie der freien Zellenbildung) zusammenzufassen pflegt, — eine Theorie der Entwicklung, welche fast vollständig verlassen ist, und für deren Richtigkeit keine einzige Thatsache mit Sicherheit beigebracht werden kann. In Beziehung auf das Kernkörperchen ist vorläufig nur das festzuhalten, dass, wenn wir entwickelte, grosse Zellen haben, wir fast constant auch einen Nucleolus in ihnen sehen, dass dagegen bei vielen jungen Elementen derselbe vermisst wird. Sie werden späterhin eine Reihe von Thatsachen der pathologischen und physiologischen Entwicklungsgeschichte kennen lernen, welche es in hohem Grade wahrscheinlich machen, dass der Kern eine ausserordentlich wichtige Rolle innerhalb der Zelle spielt, eine Rolle, die, wie ich gleich her- vorheben will, weniger auf die Function, die specifische Leis- tung der Elemente sich bezieht, als vielmehr auf die Erhal- tung und Vermehrung des Elementes als eines lebendigen Fig. 4. Nach Schleiden, Grundzüge der wiss. Botanik I. Fig. 1. „Inhalt des Embryosackes von Vicia faba bald nach der Befruchtung. In der hellen, aus Gummi und Zucker bestehenden Flüssigkeit schwimmen Körnchen von Proteinverbindungen (a), unter denen sich einzelne grös- sere auffallend auszeichnen. Um diese letzteren sieht man dann die er- steren zu einer kleinen Scheibe zusammengeballt (b. c.). Um andere Schei- ben erkennt man einen hellen, scharf begrenzten Saum, der sich allmäh- lich weiter von der Scheibe (dem Cytoblasten) entfernt und endlich deutlich als junge Zelle (d. e.) erkannt wird.“

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Zitationshilfe: Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/31>, abgerufen am 25.04.2024.