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Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858.

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Erste Vorlesung.
Theiles. Die specifische (im engern Sinne animalische) Function
zeigt sich am deutlichsten am Muskel, am Nerven, an der
Drüsenzelle; ihre besonderen Thätigkeiten der Contraction, der
Sensation, der Secretion, scheinen in keiner unmittelbaren
Weise mit den Kernen etwas zu thun zu haben. Aber dass
inmitten aller Function das Element ein Element bleibt, dass
es nicht vernichtet wird und zu Grunde geht unter der fort-
dauernden Thätigkeit, dies scheint wesentlich an die Thätig-
keit des Kerns gebunden zu sein. Alle diejenigen zelligen
Bildungen, welche ihren Kern verlieren, sehen wir mehr tran-
sitorisch zu Grunde gehen, sie verschwinden, sterben ab, lösen
sich auf. Ein menschliches Blutkörperchen z. B. ist eine Zelle
ohne Kern; es besitzt eine äussere Membran und einen rothen
Inhalt, aber damit ist seine Zusammensetzung, so weit man
sie erkennen kann, erschöpft, und was man vom Blutkörper-
chen-Kern beim Menschen erzählt hat, bezieht sich auf Täu-
schungen, welche allerdings sehr leicht und häufig hervorge-
bracht werden dadurch, dass kleine Unebenheiten der Ober-
fläche sich bilden. Man könnte daher nicht sagen, dass Blut-
körperchen Zellen seien, wenn wir nicht wüssten, dass eine
gewisse Zeit existirt, wo auch die menschlichen Blutkörper-
chen Kerne haben, nehmlich die Zeit innerhalb der ersten
Monate des intrauterinen Lebens. Hier cursiren auch beim
Menschen kernhaltige Blutkörperchen, wie man sie bei Frö-
schen, Vögeln, Fischen das ganze Leben hindurch sieht. Das
ist bei Säugethieren auf eine gewisse Zeit der Entwick-
lung beschränkt, so dass in der späteren Zeit die rothen
Blutkörperchen nicht mehr die volle Zellennatur an sich tra-
gen, sondern einen wichtigen Bestandtheil ihrer Zusammen-
setzung eingebüsst haben. Aber wir alle sind auch darüber
einig, dass gerade das Blut eines von den wechselnden Bestand-
theilen des Körpers ist, die keine Dauerhaftigkeit der Ele-
mente besitzen, von denen Jeder annimmt, dass ihre Theile
zu Grunde gehen und ersetzt werden durch neue, die wie-
derum der Vernichtung bestimmt sind, und die überall (wie
die obersten Epidermiszellen, in welchen wir auch keine Kerne
finden, so bald sie sich abschilfern) schon ein Stadium ihrer
Entwicklung erreicht haben, wo sie nicht mehr jener Dauer-

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Theiles. Die specifische (im engern Sinne animalische) Function
zeigt sich am deutlichsten am Muskel, am Nerven, an der
Drüsenzelle; ihre besonderen Thätigkeiten der Contraction, der
Sensation, der Secretion, scheinen in keiner unmittelbaren
Weise mit den Kernen etwas zu thun zu haben. Aber dass
inmitten aller Function das Element ein Element bleibt, dass
es nicht vernichtet wird und zu Grunde geht unter der fort-
dauernden Thätigkeit, dies scheint wesentlich an die Thätig-
keit des Kerns gebunden zu sein. Alle diejenigen zelligen
Bildungen, welche ihren Kern verlieren, sehen wir mehr tran-
sitorisch zu Grunde gehen, sie verschwinden, sterben ab, lösen
sich auf. Ein menschliches Blutkörperchen z. B. ist eine Zelle
ohne Kern; es besitzt eine äussere Membran und einen rothen
Inhalt, aber damit ist seine Zusammensetzung, so weit man
sie erkennen kann, erschöpft, und was man vom Blutkörper-
chen-Kern beim Menschen erzählt hat, bezieht sich auf Täu-
schungen, welche allerdings sehr leicht und häufig hervorge-
bracht werden dadurch, dass kleine Unebenheiten der Ober-
fläche sich bilden. Man könnte daher nicht sagen, dass Blut-
körperchen Zellen seien, wenn wir nicht wüssten, dass eine
gewisse Zeit existirt, wo auch die menschlichen Blutkörper-
chen Kerne haben, nehmlich die Zeit innerhalb der ersten
Monate des intrauterinen Lebens. Hier cursiren auch beim
Menschen kernhaltige Blutkörperchen, wie man sie bei Frö-
schen, Vögeln, Fischen das ganze Leben hindurch sieht. Das
ist bei Säugethieren auf eine gewisse Zeit der Entwick-
lung beschränkt, so dass in der späteren Zeit die rothen
Blutkörperchen nicht mehr die volle Zellennatur an sich tra-
gen, sondern einen wichtigen Bestandtheil ihrer Zusammen-
setzung eingebüsst haben. Aber wir alle sind auch darüber
einig, dass gerade das Blut eines von den wechselnden Bestand-
theilen des Körpers ist, die keine Dauerhaftigkeit der Ele-
mente besitzen, von denen Jeder annimmt, dass ihre Theile
zu Grunde gehen und ersetzt werden durch neue, die wie-
derum der Vernichtung bestimmt sind, und die überall (wie
die obersten Epidermiszellen, in welchen wir auch keine Kerne
finden, so bald sie sich abschilfern) schon ein Stadium ihrer
Entwicklung erreicht haben, wo sie nicht mehr jener Dauer-

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[10/0032] Erste Vorlesung. Theiles. Die specifische (im engern Sinne animalische) Function zeigt sich am deutlichsten am Muskel, am Nerven, an der Drüsenzelle; ihre besonderen Thätigkeiten der Contraction, der Sensation, der Secretion, scheinen in keiner unmittelbaren Weise mit den Kernen etwas zu thun zu haben. Aber dass inmitten aller Function das Element ein Element bleibt, dass es nicht vernichtet wird und zu Grunde geht unter der fort- dauernden Thätigkeit, dies scheint wesentlich an die Thätig- keit des Kerns gebunden zu sein. Alle diejenigen zelligen Bildungen, welche ihren Kern verlieren, sehen wir mehr tran- sitorisch zu Grunde gehen, sie verschwinden, sterben ab, lösen sich auf. Ein menschliches Blutkörperchen z. B. ist eine Zelle ohne Kern; es besitzt eine äussere Membran und einen rothen Inhalt, aber damit ist seine Zusammensetzung, so weit man sie erkennen kann, erschöpft, und was man vom Blutkörper- chen-Kern beim Menschen erzählt hat, bezieht sich auf Täu- schungen, welche allerdings sehr leicht und häufig hervorge- bracht werden dadurch, dass kleine Unebenheiten der Ober- fläche sich bilden. Man könnte daher nicht sagen, dass Blut- körperchen Zellen seien, wenn wir nicht wüssten, dass eine gewisse Zeit existirt, wo auch die menschlichen Blutkörper- chen Kerne haben, nehmlich die Zeit innerhalb der ersten Monate des intrauterinen Lebens. Hier cursiren auch beim Menschen kernhaltige Blutkörperchen, wie man sie bei Frö- schen, Vögeln, Fischen das ganze Leben hindurch sieht. Das ist bei Säugethieren auf eine gewisse Zeit der Entwick- lung beschränkt, so dass in der späteren Zeit die rothen Blutkörperchen nicht mehr die volle Zellennatur an sich tra- gen, sondern einen wichtigen Bestandtheil ihrer Zusammen- setzung eingebüsst haben. Aber wir alle sind auch darüber einig, dass gerade das Blut eines von den wechselnden Bestand- theilen des Körpers ist, die keine Dauerhaftigkeit der Ele- mente besitzen, von denen Jeder annimmt, dass ihre Theile zu Grunde gehen und ersetzt werden durch neue, die wie- derum der Vernichtung bestimmt sind, und die überall (wie die obersten Epidermiszellen, in welchen wir auch keine Kerne finden, so bald sie sich abschilfern) schon ein Stadium ihrer Entwicklung erreicht haben, wo sie nicht mehr jener Dauer-

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Zitationshilfe: Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/32>, abgerufen am 29.03.2024.