Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

Erste Vorlesung.
ein bestimmter Theil davon der einen, ein anderer der an-
deren Zelle angehöre.

Nach Schwann war die Intercellularsubstanz eine Art
von Cytoblastem, für die Entwicklung neuer Zellen bestimmt.
Dies halte ich nicht für richtig, vielmehr bin ich durch eine
Reihe von pathologischen Erfahrungen dahin gekommen, ein-
zusehen, dass die Intercellularsubstanz in einer bestimmten Ab-
hängigkeit von den Zellen sich befindet und dass es nothwen-
dig ist, auch in ihr Grenzen zu ziehen und zuzugestehen, dass
auch von der Intercellularsubstanz gewisse Bezirke der einen
und gewisse der andern Zelle angehören. Sie werden sehen,
wie pathologische Vorgänge diese Grenzen scharf markiren,
wie sich direkt zeigen lässt, dass ein bestimmtes Territorium
von Zwischensubstanz beherrscht wird von einem Zellen-Ele-
mente, welches in dessen Mitte gelegt ist und von welchem
Wirkungen auf die Nachbarschaft ausgehen

Es wird jetzt deutlich sein, wie ich mir die Zellen-Terri-
torien denke: Es gibt Gewebe, welche ganz aus Zellen be-
stehen, Zelle an Zelle gelagert. Hier kann über die Grenze
der einzelnen Zelle keine Schwierigkeit bestehen, aber es ist nö-
thig, hervorzuheben, dass auch in diesem Falle jede einzelne Zelle
ihre besonderen Wege gehen, ihre besonderen Veränderungen er-
fahren kann, ohne dass mit Nothwendigkeit das Geschick der zu-
nächstliegenden Zelle daran geknüpft ist. In andern Gewe-
ben dagegen, wo wir Zwischenmassen haben, versorgt die Zelle
ausser ihrem eignen Inhalt noch eine gewisse Menge von
äusserer Substanz, die mit an ihren Veränderungen Theil
nimmt, ja sogar häufig frühzeitiger afficirt wird, als das Innere der
Zelle, welches mehr gesichert ist durch seine Lagerung als die
äussere Zwischenmasse. Endlich gibt es eine dritte Reihe
von Geweben, deren Elemente untereinander in engeren Ver-
bindungen stehn. Es kann z. B. eine sternförmige Zelle mit
einer ähnlichen zusammenhängen, und dadurch eine netzför-
mige Anordnung entstehen, ähnlich der bei den Capillaren und ande-
ren analogen Gebilden. In diesem Falle könnte man glauben,
dass die ganze Reihe beherrscht werde von irgend Etwas, was
wer weiss wie weit entfernt liegt, indessen bei genauerem
Studium ergibt sich, dass selbst in diesen kettenartigen Ele-

Erste Vorlesung.
ein bestimmter Theil davon der einen, ein anderer der an-
deren Zelle angehöre.

Nach Schwann war die Intercellularsubstanz eine Art
von Cytoblastem, für die Entwicklung neuer Zellen bestimmt.
Dies halte ich nicht für richtig, vielmehr bin ich durch eine
Reihe von pathologischen Erfahrungen dahin gekommen, ein-
zusehen, dass die Intercellularsubstanz in einer bestimmten Ab-
hängigkeit von den Zellen sich befindet und dass es nothwen-
dig ist, auch in ihr Grenzen zu ziehen und zuzugestehen, dass
auch von der Intercellularsubstanz gewisse Bezirke der einen
und gewisse der andern Zelle angehören. Sie werden sehen,
wie pathologische Vorgänge diese Grenzen scharf markiren,
wie sich direkt zeigen lässt, dass ein bestimmtes Territorium
von Zwischensubstanz beherrscht wird von einem Zellen-Ele-
mente, welches in dessen Mitte gelegt ist und von welchem
Wirkungen auf die Nachbarschaft ausgehen

Es wird jetzt deutlich sein, wie ich mir die Zellen-Terri-
torien denke: Es gibt Gewebe, welche ganz aus Zellen be-
stehen, Zelle an Zelle gelagert. Hier kann über die Grenze
der einzelnen Zelle keine Schwierigkeit bestehen, aber es ist nö-
thig, hervorzuheben, dass auch in diesem Falle jede einzelne Zelle
ihre besonderen Wege gehen, ihre besonderen Veränderungen er-
fahren kann, ohne dass mit Nothwendigkeit das Geschick der zu-
nächstliegenden Zelle daran geknüpft ist. In andern Gewe-
ben dagegen, wo wir Zwischenmassen haben, versorgt die Zelle
ausser ihrem eignen Inhalt noch eine gewisse Menge von
äusserer Substanz, die mit an ihren Veränderungen Theil
nimmt, ja sogar häufig frühzeitiger afficirt wird, als das Innere der
Zelle, welches mehr gesichert ist durch seine Lagerung als die
äussere Zwischenmasse. Endlich gibt es eine dritte Reihe
von Geweben, deren Elemente untereinander in engeren Ver-
bindungen stehn. Es kann z. B. eine sternförmige Zelle mit
einer ähnlichen zusammenhängen, und dadurch eine netzför-
mige Anordnung entstehen, ähnlich der bei den Capillaren und ande-
ren analogen Gebilden. In diesem Falle könnte man glauben,
dass die ganze Reihe beherrscht werde von irgend Etwas, was
wer weiss wie weit entfernt liegt, indessen bei genauerem
Studium ergibt sich, dass selbst in diesen kettenartigen Ele-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0036" n="14"/><fw place="top" type="header">Erste Vorlesung.</fw><lb/>
ein bestimmter Theil davon der einen, ein anderer der an-<lb/>
deren Zelle angehöre.</p><lb/>
        <p>Nach <hi rendition="#g">Schwann</hi> war die Intercellularsubstanz eine Art<lb/>
von Cytoblastem, für die Entwicklung neuer Zellen bestimmt.<lb/>
Dies halte ich nicht für richtig, vielmehr bin ich durch eine<lb/>
Reihe von pathologischen Erfahrungen dahin gekommen, ein-<lb/>
zusehen, dass die Intercellularsubstanz in einer bestimmten Ab-<lb/>
hängigkeit von den Zellen sich befindet und dass es nothwen-<lb/>
dig ist, auch in ihr Grenzen zu ziehen und zuzugestehen, dass<lb/>
auch von der Intercellularsubstanz gewisse Bezirke der einen<lb/>
und gewisse der andern Zelle angehören. Sie werden sehen,<lb/>
wie pathologische Vorgänge diese Grenzen scharf markiren,<lb/>
wie sich direkt zeigen lässt, dass ein bestimmtes Territorium<lb/>
von Zwischensubstanz beherrscht wird von einem Zellen-Ele-<lb/>
mente, welches in dessen Mitte gelegt ist und von welchem<lb/>
Wirkungen auf die Nachbarschaft ausgehen</p><lb/>
        <p>Es wird jetzt deutlich sein, wie ich mir die Zellen-Terri-<lb/>
torien denke: Es gibt Gewebe, welche ganz aus Zellen be-<lb/>
stehen, Zelle an Zelle gelagert. Hier kann über die Grenze<lb/>
der einzelnen Zelle keine Schwierigkeit bestehen, aber es ist nö-<lb/>
thig, hervorzuheben, dass auch in diesem Falle jede einzelne Zelle<lb/>
ihre besonderen Wege gehen, ihre besonderen Veränderungen er-<lb/>
fahren kann, ohne dass mit Nothwendigkeit das Geschick der zu-<lb/>
nächstliegenden Zelle daran geknüpft ist. In andern Gewe-<lb/>
ben dagegen, wo wir Zwischenmassen haben, versorgt die Zelle<lb/>
ausser ihrem eignen Inhalt noch eine gewisse Menge von<lb/>
äusserer Substanz, die mit an ihren Veränderungen Theil<lb/>
nimmt, ja sogar häufig frühzeitiger afficirt wird, als das Innere der<lb/>
Zelle, welches mehr gesichert ist durch seine Lagerung als die<lb/>
äussere Zwischenmasse. Endlich gibt es eine dritte Reihe<lb/>
von Geweben, deren Elemente untereinander in engeren Ver-<lb/>
bindungen stehn. Es kann z. B. eine sternförmige Zelle mit<lb/>
einer ähnlichen zusammenhängen, und dadurch eine netzför-<lb/>
mige Anordnung entstehen, ähnlich der bei den Capillaren und ande-<lb/>
ren analogen Gebilden. In diesem Falle könnte man glauben,<lb/>
dass die ganze Reihe beherrscht werde von irgend Etwas, was<lb/>
wer weiss wie weit entfernt liegt, indessen bei genauerem<lb/>
Studium ergibt sich, dass selbst in diesen kettenartigen Ele-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[14/0036] Erste Vorlesung. ein bestimmter Theil davon der einen, ein anderer der an- deren Zelle angehöre. Nach Schwann war die Intercellularsubstanz eine Art von Cytoblastem, für die Entwicklung neuer Zellen bestimmt. Dies halte ich nicht für richtig, vielmehr bin ich durch eine Reihe von pathologischen Erfahrungen dahin gekommen, ein- zusehen, dass die Intercellularsubstanz in einer bestimmten Ab- hängigkeit von den Zellen sich befindet und dass es nothwen- dig ist, auch in ihr Grenzen zu ziehen und zuzugestehen, dass auch von der Intercellularsubstanz gewisse Bezirke der einen und gewisse der andern Zelle angehören. Sie werden sehen, wie pathologische Vorgänge diese Grenzen scharf markiren, wie sich direkt zeigen lässt, dass ein bestimmtes Territorium von Zwischensubstanz beherrscht wird von einem Zellen-Ele- mente, welches in dessen Mitte gelegt ist und von welchem Wirkungen auf die Nachbarschaft ausgehen Es wird jetzt deutlich sein, wie ich mir die Zellen-Terri- torien denke: Es gibt Gewebe, welche ganz aus Zellen be- stehen, Zelle an Zelle gelagert. Hier kann über die Grenze der einzelnen Zelle keine Schwierigkeit bestehen, aber es ist nö- thig, hervorzuheben, dass auch in diesem Falle jede einzelne Zelle ihre besonderen Wege gehen, ihre besonderen Veränderungen er- fahren kann, ohne dass mit Nothwendigkeit das Geschick der zu- nächstliegenden Zelle daran geknüpft ist. In andern Gewe- ben dagegen, wo wir Zwischenmassen haben, versorgt die Zelle ausser ihrem eignen Inhalt noch eine gewisse Menge von äusserer Substanz, die mit an ihren Veränderungen Theil nimmt, ja sogar häufig frühzeitiger afficirt wird, als das Innere der Zelle, welches mehr gesichert ist durch seine Lagerung als die äussere Zwischenmasse. Endlich gibt es eine dritte Reihe von Geweben, deren Elemente untereinander in engeren Ver- bindungen stehn. Es kann z. B. eine sternförmige Zelle mit einer ähnlichen zusammenhängen, und dadurch eine netzför- mige Anordnung entstehen, ähnlich der bei den Capillaren und ande- ren analogen Gebilden. In diesem Falle könnte man glauben, dass die ganze Reihe beherrscht werde von irgend Etwas, was wer weiss wie weit entfernt liegt, indessen bei genauerem Studium ergibt sich, dass selbst in diesen kettenartigen Ele-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/36
Zitationshilfe: Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Berlin, 1858, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/virchow_cellularpathologie_1858/36>, abgerufen am 29.03.2024.